Seinem hohen Alter war es vorbehalten, mit seinen eigenen Augen ein Bild von Raffael zu sehen.

Ganz unerwartet empfing er einen Brief von ihm, worin jener ihm die Nachricht erteilte, er habe eben ein Altargemälde von der heiligen Cäcilia vollendet, welches für die Kirche des heiligen Johannes zu Bologna bestimmt sei; und dabei schrieb er, er werde das Stück an ihn, als seinen Freund, senden, und bat, daß er ihm den Gefallen erzeigen möchte, es auf seiner Stelle gehörig aufrichten zu lassen, auch, wenn es auf der Reise irgendwo beschädigt sei, oder er sonst im Bilde selbst irgendein Versehen oder einen Fehler wahrnähme, überall als Freund zu bessern und nachzuhelfen. Dieser Brief, worin ein Raffael demütig ihm den Pinsel in die Hände gab, setzte ihn außer sich selbst, und er konnte die Ankunft des Bildes nicht erwarten. Er wußte nicht, was ihm bevorstand!

Einst, als er von einem Ausgange nach Hause kam, eilten seine Schüler ihm entgegen, und erzählten ihm mit großer Freude, das Gemälde vom Raffael sei indes angekommen, und sie hätten es in seinem Arbeitszimmer schon in das schönste Licht gestellt. Francesco stürzte, außer sich, hinein. –

Aber wie soll ich der heutigen Welt die Empfindungen schildern, die der außerordentliche Mann beim Anblick dieses Bildes sein Inneres zerreißen fühlte. Es war ihm, wie einem sein müßte, der voll Entzücken seinen von Kindheit an von ihm entfernten Bruder umarmen wollte, und statt dessen auf einmal einen Engel des Lichts vor seinen Augen erblickte. Sein Inneres war durchbohrt; es war ihm, als sänke er in voller Zerknirschung des Herzens vor einem höheren Wesen in die Kniee.

Vom Donner gerührt stand er da; und seine Schüler drängten sich um den alten Mann herum, und hielten ihn, fragten ihn, was ihn befallen habe? und wußten nicht, was sie denken sollten.

Er hatte sich etwas erholt, und starrte immerfort das über alles göttliche Bild an. Wie war er auf einmal von seiner Höhe gefallen! Wie schwer mußte er die Sünde büßen, sich allzu vermessen bis an die Sterne erhoben, und sich ehrsüchtig über ihn, den unnachahmlichen Raffael, gesetzt zu haben. Er schlug sich vor seinen grauen Kopf und weinte bittere, schmerzende Tränen, daß er sein Leben mit eitelm, ehrgeizigem Schweiße verbracht, und sich dabei nur immer törichter gemacht habe, und nun endlich, dem Tode nahe, mit geöffneten Augen auf sein ganzes Leben als auf ein elendes, unvollendetes Stümperwerk zurücksehen müsse. Er hob mit dem erhobenen Antlitz der heiligen Cäcilia auch seine Blicke empor, zeigte dem Himmel sein wundes, reuiges Herz, und betete gedemütigt um Vergebung.

Er fühlte sich so schwach, daß seine Schüler ihn ins Bett bringen mußten. Beim Herausgehen aus dem Zimmer fielen ihm einige seiner Gemälde, und besonders seine sterbende Cäcilia, welche noch dort hing, in die Augen; und er verging fast vor Schmerz.

Von der Zeit an war sein Gemüt in beständiger Verwirrung, und man bemerkte fast immer eine gewisse Abwesenheit des Geistes bei ihm. Die Schwächen des Alters und die Ermattung des Geistes, welcher so lange in immer angestrengter Tätigkeit bei der Schöpfung von so tausenderlei Gestalten gewesen war, traten hinzu, um das Haus seiner Seele von Grund aus zu erschüttern. Alle die unendlich mannigfaltigen Bildungen, die sich von jeher in seinem malerischen Sinn bewegt hatten, und in Farben und Linien auf der Leinwand zur Wirklichkeit übergegangen waren, fuhren jetzt, mit verzerrten Zügen, durch seine Seele, und waren die Plagegeister, die ihn in seiner Fieberhitze ängstigten. Ehe seine Schüler es sich versahen, fanden sie ihn tot im Bette liegen. –

So ward dieser Mann erst dadurch recht groß, daß er sich so klein gegen den himmlischen Raffael fühlte. Auch hat ihn der Genius der Kunst, in den Augen der Eingeweihten, längst heilig gesprochen, und sein Haupt mit dem Strahlenkreise umgeben, der ihm als einem echten Märtyrer des Kunstenthusiasmus gebührt. – –

Die obige Erzählung von dem Tode des Francesco Francia hat uns der alte Vasari überliefert, in welchem der Geist der Urväter der Kunst noch wehte.

Diejenigen kritischen Köpfe, welche an alle außerordentliche Geister, als an übernatürliche Wunderwerke, nicht glauben wollen noch können, und die ganze Welt gern in Prosa auflösen möchten, spotten über die Märchen des alten ehrwürdigen Chronisten der Kunst, und erzählen dreist, Francesco Francia sei an Gift gestorben.

 

Der Schüler und Raffael

 

Zu jener Zeit, als die bewundernde Welt noch Raffael unter sich leben sah, – dessen Name nicht leicht über meine Lippen geht, ohne daß ich ihn unwillkürlich den Göttlichen nenne, – zu jener Zeit, – o wie gern gäb' ich alle Klugheit und Weisheit der spätern Jahrhunderte hin, um in jenem gewesen zu sein! – lebte in einem kleinen Städtchen des florentinischen Gebiets ein junger Mensch, den wir Antonio nennen wollen, welcher sich in der Malerkunst übte. Er hatte von Kindheit auf einen recht eifrigen Trieb zur Malerei, und zeichnete als Knabe schon alle Heiligenbilder emsig nach, die ihm in die Hände fielen. Aber bei aller Stetigkeit seines Eifers und seiner recht eisernen Begier, irgend etwas Vortreffliches hervorzubringen, besaß er zugleich eine gewisse Blödigkeit und Eingeschränktheit des Geistes, bei welcher die Pflanze der Kunst immer einen unterdrückten und gebrechlichen Wuchs behält, und nie frei und gesund zum Himmel emporschießen kann: eine unglückliche Konstellation der Gemütskräfte, welche schon manche Halbkünstler auf die Welt gesetzt hat.

Antonio hatte sich schon nach verschiedenen Meistern seiner Zeit geübt, und es war ihm so weit gelungen, daß ihm selber die Ähnlichkeit seiner Nachahmungen ungemeines Vergnügen machte und er über seine allmählichen Fortschritte sehr genaue Rechnung hielt. Endlich sah er einige Zeichnungen und Gemälde Raffaels; er hatte seinen Namen schon oft mit großen Lobeserhebungen aussprechen hören, und er schickte sich den Augenblick an, nach den Werken dieses hochgepriesenen Mannes zu arbeiten. Als er aber mit seinen Kopien gar nicht zustandekommen konnte, und nicht wußte, woran es lag, legte er ungeduldig den Pinsel aus der Hand, besann sich, was er tun wollte, und setzte endlich folgendes Schreiben auf:

»An den allervortrefflichsten Maler, Raffael von Urbino.

Vergebt mir, daß ich nicht weiß, wie ich Euch anreden soll, denn Ihr seid ein unbegreiflicher und außerordentlicher Mann; und ich bin überdies gar nicht geübt, die Feder zu führen. Ich habe auch lange bei mir überlegt, ob es wohl schicklich sei, daß ich Euch schriebe, ohne Euch von Person jemals gesehn zu haben. Aber da man ja überall von Eurer leutseligen und freundlichen Gemütsart reden hört, so habe ich mich es endlich unterstanden.

Doch ich will Euch Eure kostbare Zeit nicht mit vielen Worten rauben, denn ich kann mir denken, wie fleißig Ihr sein müßt; sondern ich will nur gleich mein Herz vor Euch aufschließen und Euch meine Bitte recht angelegentlich vortragen. Ich bin ein junger Anfänger in der vortrefflichen Malerkunst, welche ich über alles liebe, und welche mein ganzes Herz erfreut, so daß ich fast nicht glauben kann, daß, wenn ich (wie es natürlich ist) Euch und andre berühmte Meister dieser Zeiten ausnehme, irgend jemand anders solche innerliche Liebe und so einen unaufhörlichen Drang zu der Kunst trüge. Ich bestrebe mich aufs allerbeste, dem Ziel, das ich in der Entfernung vor mir sehe, immer ein wenig näher zu rücken; ich bin keinen Tag, ja, ich möchte beinahe sagen, keine Stunde müßig; und ich merke, daß ich jeden Tag, so wenig es auch sein mag, weiterkomme. Nun habe ich mich schon nach vielen unsrer heutigestages berühmten Männer wohl geübt; aber da ich angefangen habe, Eure Arbeiten nachzumalen, ist es mir gewesen, als wenn ich gar nichts wüßte und noch einmal von vorn anfangen sollte. Ich habe doch schon so manchen Kopf auf der Tafel zustandegebracht, woran weder in den Umrissen, noch in den Lichtern und Schatten etwas Falsches oder Unrechtliches gefunden werden mochte; aber wenn ich die Köpfe Eurer Apostel und Jünger Christi, sowie Eurer Madonnen und Christkindlein, auch Zug für Zug auf meine Tafel übertrage, mit solcher Pünktlichkeit, daß mir die Augen brechen möchten – und ich denn das Ganze übersehe, und es mit dem Original vergleiche, so bin ich erschrocken, daß es himmelweit davon entfernt und ein ganz anderes Gesicht ist. Und doch sehen Eure Köpfe, wenn man sie zum erstenmal betrachtet, beinahe leichter aus als andre; denn sie haben ein gar zu natürliches Ansehen, und es ist, als wenn man darin die Personen, die es sein sollen, gleich erkennte, und als wenn man sie schon lebendig gesehen hätte. Auch finde ich bei Euch nicht ebensolche schwere und außerordentliche Verkürzungen der Glieder, womit wohl andre Meister heutigestages die Vollkommenheit ihrer Kunst zu zeigen und uns arme Schüler zu quälen pflegen.

Darum, soviel ich auch immer nachgegrübelt habe, weiß ich mir doch durchaus das Besondere nicht zu erklären, was Eure Bilder an sich haben, und kann gar nicht ergründen, worin es eigentlich liegt, daß man Euch nicht recht nachahmen und Euch nie ganz und gar erreichen kann. O leistet mir hierin Euren Beistand – ich bitte Euch dringend und flehentlich darum, und sagt mir (denn Ihr könnt es gewiß am besten), was ich tun muß, um Euch nur einigermaßen ähnlich zu werden.