O wie tief will ich mir das einprägen! wie eifrig will ich es befolgen! – Ich bin – vergebt mir – manchmal wohl gar darauf gefallen, Ihr müßtet irgendein Geheimnis bei Eurer Arbeit besitzen, wovon sich kein anderer Mensch einen Begriff machen könnte. Gar zu gern möchte ich Euch nur einen halben Tag lang bei der Arbeit zusehen; doch Ihr laßt vielleicht keinen dazu. Oder, wenn ich ein großer Herr wäre, würde ich Euch tausend und tausend Goldstücke für Euer Geheimnis anbieten.
Ach habt Nachsicht mit mir, daß ich mich unterstehe, so vielerlei vor Euch zu schwatzen. Ihr seid ein außerordentlicher Mann, der wohl auf alle andre Menschen mit Verachtung heruntersehen muß.
Ihr arbeitet wohl Tag und Nacht, um so herrliche Sachen zuwege zu bringen; und in Eurer Jugend seid Ihr sicher in einem Tage so weit gekommen, als ich nicht in einem Jahre. Nun, ich will doch auch inskünftige meine Kräfte anstrengen, soviel ich nur immer vermögend bin.
Andere, die heller sehen als ich, loben ja auch den Ausdruck in Euren Bildern über alles, und wollen behaupten, daß niemand so gut wie Ihr gleichsam die Beschaffenheit des Gemüts in den Personen vorzustellen wisse, so daß man aus ihren Mienen und Gebärden sozusagen ihre Gedanken erraten könnte. Doch, auf diese Sachen verstehe ich mich nur noch wenig.
Ich muß aber endlich aufhören, Euch lästig zu fallen. Ach, was würde es mir für ein erquickender Trost sein, wenn Ihr auch nur mit wenigen Worten Euren Rat erteilet Eurem Euch über alles verehrenden
Antonio.«
So lautete Antonios Sendschreiben an Raffael; – und dieser schrieb ihm lächelnd folgende Antwort:
»Mein guter Antonio,
Es ist schön, daß Du so große Liebe zu der Kunst trägst und Dich so fleißig übest; Du hast mich sehr damit erfreut. Aber was Du von mir zu wissen verlangst, kann ich Dir leider nicht sagen; nicht, weil es ein Geheimnis, das ich nicht verraten wollte – denn ich wollte es Dir und einem jeden von Grunde des Herzens gern mitteilen –, sondern weil es mir selber unbekannt ist.
Ich sehe Dir an, daß Du mir das nicht glauben willst; und doch ist es so. Sowenig als einer Rechenschaft geben kann, woher er eine rauhe oder eine liebliche Stimme habe, sowenig kann ich Dir sagen, warum die Bilder, unter meiner Hand, grade eine solche und keine andere Gestalt annehmen.
Die Welt sucht viel Besonderes in meinen Bildern; und wenn man mich auf dies und jenes Gute darin aufmerksam macht, so muß ich manchmal selber mein Werk mit Lächeln betrachten, daß es so wohl gelungen ist. Aber es ist wie in einem angenehmen Traum vollendet, und ich habe während der Arbeit immer mehr an den Gegenstand gedacht, als daran, wie ich ihn vorstellen möchte.
Wenn Du das, was Du etwa an meinen Arbeiten Eigentümliches findest, nicht recht begreifen und nachahmen kannst, so rate ich Dir, lieber Antonio, Dir sonst einen oder den andern der mit Recht berühmten Meister jetziger Zeiten zum Muster zu erwählen; denn ein jeder hat etwas Nachahmungswürdiges, und ich habe mich mit Nutzen nach ihnen gebildet und nähre mein Auge noch immer mit ihren mannigfachen Vorzüglichkeiten. Daß ich nun jetzt aber gerade diese und keine andre Art zu malen habe, wie denn ein jeder seine eigene zu haben pflegt, das scheint meiner Natur von jeher schon so eingepflanzet; ich habe es nicht durch sauren Schweiß errungen, und es läßt sich nicht mit Vorsatz auf so etwas studieren. Fahre indessen fort, Dich mit Liebe in der Kunst zu üben, und lebe wohl.«
Ein Brief des jungen florentinischen Malers Antonio an seinen Freund Jacobo in Rom
Geliebter Bruder! Wundre Dich nicht, daß ich Dir so lange nicht geschrieben, denn allerhand Beschäftigungen haben mir meine Zeit unglaublich verkürzt. Aber jetzt will ich Dir öfter schreiben, weil ich Dir als meinem liebsten Freunde meine Gedanken und Empfindungen mitzuteilen wünsche. Du kennst meine Klagen, daß ich mich sonst immer als ein ganz unwürdiger, verlorner Schüler der edlen Malerkunst fühlte; jetzt aber hat meine Seele einen wunderbaren, unbegreiflichen Schwung erhalten, so daß ich freier und dreister Atem hole und nicht mehr mit so demutsvollem Erröten vor den Bildern der großen Meister dastehe.
Und wie soll ich Dir nun schildern, wie und wodurch sich dieses ereignet hat? Der Mensch ist sehr arm, lieber Jacobo; denn wenn er auch einen recht kostbaren Schatz im Busen trägt, so muß er ihn wie ein Geiziger verschließen und kann seinem Freunde nichts davon mitteilen oder zeigen. Tränen, Seufzer, ein Händedruck sind dann unsre ganze Sprache. So ist es jetzt mit mir, und darum möcht' ich Dich jetzt vor mir haben, um Deine liebe Hand zu nehmen und sie auf mein pochendes Herz zu legen. – Ich weiß nicht, ob andre Menschen schon so empfunden haben wie ich, – ob es schon andern gegönnt war, durch die Liebe einen so schönen Weg zur Anbetung der Kunst zu finden. Denn wenn ein Wort meine Gefühle ausdrücken soll, so muß es Liebe sein, die jetzt mein Herz und meinen Geist regiert.
Es ist mir zumute, als wenn ein Vorhang von meinem Leben hinweggezogen wäre, und ich nun erst das zu sehn bekäme, was die Menschen immer die Natur und die Schönheit der Welt nennen. Alle Berge, alle Wolken, der Himmel und sein Abendrot sind jetzt anders und näher zu mir herabgezogen; mit Liebe und unaussprechlicher Sehnsucht möcht' ich jetzt Raffael umfangen, der nun unter den Engeln wohnt, weil er für uns und diese Erde zu gut und zu erhaben war: heiße Tränen der Begeisterung, der reinsten Ehrfurcht treten in mein irdisches Auge und machen meinen Sinn himmlischtrunken, wenn ich jetzt vor seinen Werken stehe und sie mir tief in Sinn und Herz einpräge. Ich kann nun wohl sagen, daß ich nun erst fühle, was die Kunst von allem übrigen Treiben und Arbeiten der sterblichen Menschen unterscheidet; ich bin reiner und heiliger geworden, und darum bin ich nun erst zu den heiligen Altären gelassen. Wie bet' ich jetzt die Mutter Gottes und die erhabenen Apostel in jenen begeisterten Bildern an, die ich sonst nur mit kaltem Auge und halbgeübtem Pinsel Zug für Zug nachzeichnen wollte: – jetzt stehn mir die Tränen in den Augen, meine Hand zittert, mein innerstes Herz ist bewegt, so daß ich (möcht' ich sagen) fast ohne Bewußtsein die Farben auf die Leinwand trage, und dennoch gerät es mir so, daß ich hernach damit zufrieden bin. O wenn doch jetzt Raffael noch lebte, daß ich ihn sehn, ihn sprechen, ihm meine Gefühle sagen könnte! Er muß sie gekannt haben, denn ich finde sie, ich finde mein ganzes Herz in seinen Werken wieder: alle seine Madonnen sehn meiner geliebten Amalia ähnlich.
Auch fall' ich jetzt von selbst auf große und recht dreiste Erfindungen: ich habe schon einiges angefangen, und in manchen Stunden, wenn ich von der Mahlzeit aufstehe, oder eben ein gleichgültiges Gespräch geführt habe, erstaune ich selbst vor meinem verwegenen Unternehmen. Aber innerlich treibt mich dann mein Genius wieder an, so daß ich bei alledem nicht den Mut verliere.
Wie unähnlich die zugeschlossene Knospe der prächtigen Lilie ist, die wie ein großer silberner Stern auf ihrem dunkeln Stengel nach der Sonne blickt: so unähnlich bin ich mir selbst gegen meinen vormaligen Zustand. Ich will noch vieles und mit unermüdeten Kräften arbeiten.
Wenn ich schlafe, ist der Name Amalie wie ein goldnes, schützendes Zelt über mir ausgespannt. Oft wache ich auf, weil ich diesen Namen mit süßem Klange aussprechen höre, als wenn mich eines von den Raffaelschen Engelskindern neckend und liebkosend riefe. Rieselnde Töne schütten dann nach und nach die Lücke wieder zu, und holdselige Träume lassen sich wieder mit leisen Flügeln auf meine Augen herab. –
Ach, Jacobo, glaube mir, jetzt bin ich erst recht Dein Freund, aber spotte nicht über Deinen glücklichen
Antonio.
Jacobos Antwort
Dein lieber Brief, mein sehr teurer Antonio, hat eine freudige Rührung in mir verursacht. Ich brauche Dir nicht Glück zu wünschen, denn Du bist jetzt wahrhaft glücklich, und es sei ferne von mir, daß ich über Dich spotten könnte, denn dann verdiente ich nicht die Gnade des Himmels, der mich zum Werkzeug seiner Verherrlichung, zum Künstler auserkoren.
Ich begreife recht gut Deinen Trieb zur Arbeit und Deine stets rege Erfindsamkeit. Ich lobe, ja ich beneide Dich; aber Du wirst es mir nicht übel deuten, wenn ich außerdem noch einige Worte hinzufüge: denn da ich so manches Jahr, so manche Erfahrung vor Dir voraus habe, möchte ich dadurch vielleicht ein Recht zum Reden haben.
Was Du mir da von der Kunst schreibst, will mir nicht so durchaus gefallen. Schon mancher ist Deinen Weg gegangen, aber ich glaube nicht, daß der große Künstler da stehnbleiben muß, wo Du jetzt stehst.
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