Die Liebe eröffnet uns freilich die Augen über uns selber und über die Welt, die Seele wird stiller und andächtiger, und aus allen Winkeln des Herzens brechen tausend glimmende Empfindungen in hellen Flammen hervor: man lernt dann die Religion und die Wunder des Himmels begreifen, der Geist wird demütiger und stolzer, und die Kunst redet uns besonders mit allen ihren Tönen bis in das innerste Herz hinein. Aber nun kommt der Künstler gar zu leicht in Gefahr, sich in jedem Kunstwerke zu suchen, alle seine Empfindungen werden nach einer Richtung hinausschweifen, und so opfert er denn sein mannigfaltiges Talent einem einzigen Gefühle auf. Hüte Dich davor, lieber Antonio, weil Du sonst zur engsten und am Ende unbedeutendsten Manier geführt werden kannst. Jedes schöne Werk muß der Künstler in sich schon antreffen, aber nicht sich mühsam darin aufsuchen; die Kunst muß seine höhere Geliebte sein, denn sie ist himmlischen Ursprungs; gleich nach der Religion muß sie ihm teuer sein; sie muß eine religiöse Liebe werden oder eine geliebte Religion, wenn ich mich so ausdrücken darf: – nach dieser darf dann wohl die irdische Liebe folgen. Dann weht ein herrlicher, labender Wind alle Empfindungen, alle schönen Blumen in dieses eroberte Land hinein, das mit Morgenrot überzogen, und von heiliger Wonne durchklungen ist.

Deute mir diese meine Worte nicht übel, mein ungemein geliebter Antonio: meine Verehrung der Kunst spricht so aus mir, und so wirst Du denn alles zum besten auslegen. – Lebe wohl.

 

Das Muster eines kunstreichen und dabei tiefgelehrten Malers, vorgestellt in dem Leben des Leonardo da Vinci, berühmten Stammvaters der Florentinischen Schule

 

Das Zeitalter der Wiederaufstehung der Malerkunst in Italien hat Männer ans Licht gebracht, zu denen die heutige Welt billig wie zu Heiligen in der Glorie hinaufsehen sollte. Von ihnen möchte man sagen, daß sie zuerst die wilde Natur durch ihre Zauberkünste bezwungen und gleichsam beschworen, – oder auch, daß sie zuerst aus der verworrenen Schöpfung den Funken der Kunst herausgeschlagen hätten. Ein jeder von diesen prangte mit eigenen, namhaften Vollkommenheiten, und es sind im Tempel der Kunst für viele von ihnen Altäre errichtet.

Ich habe mir aus diesen für jetzt den berühmten Stammvater der Florentinischen Schule, den nie genug gepriesenen Leonardo da Vinci, auserwählt, um ihn, wem daran gelegen ist, als das Muster in einem wahrhaft gelehrten und gründlichen Studium der Kunst, und als das Bild eines unermüdlichen, und dabei geistreichen Fleißes darzustellen. An ihm mögen die lehrbegierigen Jünger der Kunst ersehen, daß es nicht damit getan sei, zu einer Fahne zu schwören, nur ihre Hand in gelenkiger Führung des Pinsels zu üben, und mit einem leichten und flüchtigen Afterenthusiasmus ausgerüstet gegen das tiefsinnige und auf das wahre Fundament gerichtete Studium zu Felde zu ziehen. Ein solches Beispiel wird sie belehren, daß der Genius der Kunst sich nicht unwillig mit der ernsthaften Minerva zusammenpaart; und daß in einer großen und offenen Seele, wenn sie auch auf ein Hauptbestreben gerichtet ist, doch das ganze, vielfach zusammengesetzte Bild menschlicher Wissenschaft sich in schöner und vollkommener Harmonie abspiegelt. –

Der Mann, von dem wir reden, erblickte das Licht der Welt in dem Flecken Vinci, welcher unten im Arnotale, unweit der prächtigen Stadt Florenz, belegen ist. Seine Geschicklichkeit und sein Witz, die er von der Natur zum Erbteil bekommen hatte, verrieten sich, wie es bei solchen auserlesenen Geistern zu geschehen pflegt, schon in seiner zarten Jugend und sahen durch die bunten Figuren, die seine kindische Hand spielend herausbrachte, deutlich hervor. Dies ist wie das erste Sprudeln einer kleinen, muntern Quelle, welche nachher zum mächtigen und bewunderten Strome wird. Wer es kennt, hält das Gewässer in seinem Laufe nicht zurück, weil es sonst durch Wall und Dämme bricht; sondern läßt ihm seinen freien Willen. So tat Leonardos Vater, indem er den Knaben seiner ihm von Natur eingepflanzten Neigung überließ, und ihn der Lehre des sehr berühmten und verdienten Mannes, Andrea Verocchio zu Florenz, übergab.

Aber ach! Wer kennt und wer nennt unter uns noch diese Namen, die damals wie funkelnde Sterne am Himmel glänzten? Sie sind untergegangen, und es wird nichts mehr von ihnen gehört, – man weiß nicht ob sie jemals waren. Und dieser Andrea Verocchio war keiner der gemeinsten. Er war dem heiligen Trifolium aller bildenden Künste, der Maler-, Bildner- und Baukunst ergeben, – wie es denn dazumal nichts Ungewöhnliches war, daß für eine solche dreifache Liebe und Fähigkeit, eines Menschen Geist Raum genug hatte. Außerdem aber war er in den mathematischen Erkenntnissen bewandert, und auch ein eifriger Freund der Musik. Es mag wohl sein, daß dessen Vorbild, welches sich früh in die weiche Seele Leonardos eindrückte, viel auf ihn gewirkt hat; indes mußten die Keime doch auf dem Grunde seiner Seele liegen. Aber wer mag überhaupt bei der Geschichte der Ausbildung eines fremden Geistes alle die feinen Fäden zwischen Ursachen und Wirkungen auffinden, da die Seele während ihrer Handlungen sich dieses Zusammenhanges selbst nicht einmal immer bewußt ist.

Zur Erlernung jeder bildenden Kunst, selbst wenn sie ernsthafte oder trübselige Dinge abschildern soll, gehört ein lebendiges und aufgewecktes Gemüt; denn es soll ja durch allmähliche mühsame Arbeit endlich ein vollkommenes Werk, zum Wohlgefallen aller Sinne, hervorgebracht werden, und traurige und in sich verschlossene Gemüter haben keinen Hang, keine Lust, keinen Mut und keine Stetigkeit hervorzubringen. Solch ein aufgewecktes Gemüt besaß der Jüngling Leonardo da Vinci; und er übte sich nicht nur mit Eifer im Zeichnen und im Setzen der Farben, sondern auch in der Bildhauerei, und zur Erholung spielte er auf der Geige und sang artige Lieder. Wohin also sein vielbefassender Geist sich auch wandte, so ward er immer von den Musen und Grazien, als ihr Liebling, in ihrer Atmosphäre schwebend getragen und berührte nie, auch in den Stunden der Erholung nicht, den Boden des alltäglichen Lebens. Von allen Beschäftigungen aber lag die Malerei ihm zunächst am Herzen; und zu seines Lehrers Beschämung brachte er es darin nach kurzer Zeit so weit, daß er ihn selbst übertraf. Ein Beweis, daß die Kunst sich eigentlich nicht lernt und nicht gelehrt wird, sondern daß ihr Strom, wenn er nur auf eine kurze Strecke geführt und gerichtet ist, unbeherrscht aus eigener Seele quillt.

Da seine Einbildung so fruchtbar und reich an allerlei bedeutenden und sprechenden Bildern war, so zeigte sich in seiner lebhaften Jugend, wo alle Kräfte sich mit Gewalt in ihm hervordrängten, sein Geist nicht in gewöhnlichen, unschmackhaften Nachahmungen, sondern in außerordentlichen, reichen, ja fast ausschweifenden und seltsamen Vorstellungen. So malte er einst unsre ersten Voreltern im Paradiese, welches er durch alle mögliche Arten wunderbarer und fremdgestalteter Tiere, und durch eine unendliche, mühsame Verschiedenheit der Pflanzen und Bäume, so bereicherte und ausschmückte, daß man über die Mannigfaltigkeit erstaunen mußte und seine Augen nicht von dem Bilde abziehen konnte. Noch wunderbarer war der Medusenkopf, den er einst auf ein hölzernes Schild für einen Bauern malte: er setzte ihn aus den Gliedern aller nur ersinnlichen häßlichen Gewürme und greulicher Untiere zusammen, so daß man gar nichts Erschrecklicheres sehen mochte. Die Erfahrenheit der Jahre ordnete nachher diesen wilden, üppigen Reichtum in seinem Geiste.

Aber ich will zur Hauptsache eilen und versuchen, ob ich eine Abschilderung von dem vielumfassenden Eifer dieses Mannes geben kann.

In der Malerei trachtete er mit unermüdlicher Begier nach immer höheren Vollkommenheiten, und nicht in einer, sondern in allen Arten; und mit dem Studium der Geheimnisse des Pinsels verband er die fleißigste Beobachtung, die, als sein Genius, ihn durch alle Szenen des gewöhnlichen Lebens leitete und ihn auf allen seinen Wegen, wo andre es nicht ahndeten, die schönsten Früchte für sein Lieblingsfach einsammeln ließ. Also war er selber das größeste Beispiel zu den Lehren, die er in seinem vortrefflichen Werke von der Malerei erteilt, daß nämlich ein Maler sich allgemein machen solle, und nicht alle Dinge nach einem einzigen angewöhnten Handgriff, sondern ein jedes nach seiner besonderen Eigentümlichkeit darstellen müsse; – und denn, daß man sich nicht an einen Meister hängen, sondern selbst frei die Natur in allem ihren Wesen erforschen solle, indem man sonst ein Enkel, nicht aber ein Sohn der Natur genannt zu werden verdiene.

Aus ebendieser Schrift, der einzigen unter seinen gelehrten Arbeiten, die zu den Augen der Welt gelangt ist, und die man mit Recht das goldene Buch des Leonardo nennen könnte, wird uns offenbar, wie tiefsinnig er immer die Lehren und Regeln der Kunst mit dem Ausüben derselben verknüpfte. Die Beschaffenheit des menschlichen Körpers hatte er in allen nur ersinnlichen Wendungen und Stellungen, bis auf das kleinste, so in seiner Gewalt, als wenn er ihn selber geschaffen hätte; und immer ging er geradezu auf den bestimmten Sinn und die körperliche sowohl als geistige Bedeutung los, die in jeder Figur liegen sollte. Denn billig muß, wie auch er selbst in seinem Buche zu verstehen gibt, ein jedes Kunstwerk eine doppelte Sprache reden, eine des Leibes und eine der Seele.