An einigen Orten in seinem Buche gibt er Anleitung, wie man eine Schlacht, einen Seesturm, eine große Versammlung malen solle; und da ist seine Einbildung so tätig und wirksam, daß sie schnell die deutlichsten und sprechendsten Züge in Worten zu einem auffallenden Ganzen zusammenträgt.

Leonardo wußte, daß der Kunstgeist eine Flamme von ganz anderer Natur ist als der Enthusiasmus der Dichter. Es ist nicht darauf angesehen, etwas ganz aus eigenem Sinne zu gebären; der Kunstsinn soll vielmehr emsig außer sich herumschweifen, und sich um alle Gestalten der Schöpfung mit behender Geschicklichkeit herumlegen, und die Formen und Abdrücke davon in der Schatzkammer des Geistes aufbewahren; so daß der Künstler, wenn er die Hand zur Arbeit ansetzt, schon eine Welt von allen Dingen in sich finde. Leonardo ging nie, ohne seine Schreibtafeln bei sich zu tragen; sein begieriges Auge fand überall ein Opfer für seine Muse. Dann kann man sagen, daß man vom Kunstsinne ganz durchglüht und durchdrungen sei, wenn man so alles um sich her seiner Hauptneigung untertänig macht. Jeden kleinen Teil des menschlichen Körpers, der ihm an irgendeinem Vorübergehenden wohlgefiel, jede flüchtige reizende Stellung und Wendung, haschte er auf und trug es seinem Schatze bei. Es gefielen ihm vorzüglich wunderliche Angesichter mit besonderen Haaren und Bärten; weswegen er solchen Leuten manchmal lange nachging, daß er sie fest in seinen Sinn faßte, da er sie alsdann zu Hause so natürlich, als ob sie ihm gegenwärtig gesessen hätten, hinmalte. Auch wann zwei Personen, ohne daß sie einen Zuschauer zu haben glaubten, ganz unbefangen und ihrem Willen überlassen, miteinander sprachen, oder wann ein heftiges Gezänk entstand, oder ihm sonst menschliche Affekten und Gemütsbewegungen in ihrem vollen Leben und ihrer ganzen Kraft in den Weg kamen, so versäumte er niemals, sich die Umrisse und die Zusammenfügung der Teile zum Ganzen wohl zu merken. Auch betrachtete er, was manchem lächerlich vorkommen mag, oft lange und ganz in sich verloren, altes Gemäuer, worauf die Zeit mit allerlei wunderbaren Figuren und Farben gespielt hatte, oder vielfarbige Steine mit irgend seltsamen Zeichnungen. Daraus sprang ihm dann, während des unverrückten Anschauens, manche schöne Idee von Landschaften oder Schlachtgewimmel oder fremden Stellungen und Gesichtern hervor. Darum gibt er auch in seinem Buche selbst die Regel, dergleichen zur Ergetzung fleißig zu betrachten, weil der Geist durch dergleichen verwirrte Dinge zu Erfindungen aufgemuntert werde. – Man sieht, wie der ungemeine und von keinem nach ihm erreichte Geist des Leonardo aus allen Dingen, auch den geringgeachtetsten und kleinsten, Gold zu ziehen wußte.

In der Wissenschaft seiner Kunst war vielleicht nie ein Maler erfahrner und gelehrter als er. Die Kenntnis der inneren Teile des menschlichen Körpers und des ganzen Räder- und Hebelwerks dieser Maschine, – die Kenntnis des Lichts und der Farben, und wie beide aufeinander wirken, und sich eines mit dem andern vermählt, – die Lehre von den Verhältnissen, nach welchen die Dinge in der Entfernung kleiner und schwächer erscheinen – alle diese Wissenschaften, welche in der Tat zu dem wahren, ursprünglichen Fundamente der Kunst gehören, hatte er bis in ihre tiefsten Abgründe durchdrungen.

Wie aber schon erwähnt ist, so war er nicht bloß ein großer Maler, sondern auch ein guter Bildhauer, wie auch ein ansehnlicher Baumeister. Er war in allen Zweigen der mathematischen Wissenschaften erfahren; ein tiefer Kenner der Musik, ein angenehmer Sänger und Spieler auf der Geige und ein sinnreicher Dichter. Kurz, wenn er in den fabelhaften Zeiten gelebt hätte, so wäre er unfehlbar für einen Sohn des Apollo gehalten worden. Ja, er hatte seine Lust daran, sich in allerlei Fertigkeiten, wenn sie auch ganz außer seinem Wege lagen, hervorzutun. So war er im Reiten und Regieren der Pferde sowie auch in der Führung des Degens so wohlgeübt, daß ein Unwissender hätte meinen sollen, er habe sein ganzes Leben hindurch diesem allein obgelegen. Mit wunderbaren mechanischen Kunststücken und mit den geheimen Kräften der Naturkörper war er so vertraut, daß er einst, bei einer feierlichen Gelegenheit, die Figur eines Löwen von Holz machte, welcher sich selbst bewegte; und ein andermal hatte er aus einem gewissen dünnen Zeuge kleine Vögel gebildet, welche von selbst frei in die Luft emporschwebten. So hatte sein Geist einen angebornen Reiz, immer etwas Neues zu ersinnen, der ihn in beständiger Tätigkeit und Anstrengung erhielt. Alle seine Talente aber wurden durch edle und einnehmende Sitten, wie Edelgesteine durch eine goldene Einfassung, erhöht. Und damit der außerordentliche Mann auch den gemeinsten und blödesten Augen hervorstechend und ausgezeichnet erscheinen möchte, so hatte die freigebige Natur ihn ausdrücklich mit einer wunderbaren Leibesstärke, und zu allem dem endlich mit einer sehr ehrwürdigen Bildung und einem Gesichte, das man lieben und verehren mußte, begabt.

Der forschende Geist der ernsthaften Wissenschaften scheinet dem bildenden Geiste der Kunst so ungleichartig, daß man fast, dem ersten Anblicke nach, zwei verschiedene Gattungen von Wesen für beide glauben möchte. Und in der Tat sind nur wenige Sterbliche so eingerichtet, daß sie diesem zwiefachen Genius opfern könnten. Welcher aber in seiner eigenen Seele die Heimat aller der Erkenntnisse und Kräfte, worin sonst viele sich teilen, findet, und wessen Geist mit gleichem Eifer und Glücke, durch Schlüsse der Vernunft Wahrheiten ausrechnet und Einbildungen seines inneren Sinnes durch Mühsamkeit der Hand in sichtbare Darstellungen hervordrängt: – ein solcher muß der ganzen Welt Erstaunen und Bewunderung abnötigen. Und wenn er überdies nicht bloß einer einzigen Kunst ergeben ist, sondern mehrere in sich vereinigt, ihre geheime Verwandtschaft fühlt, und die göttliche Flamme, die in allen weht, in seinem Inneren empfindet, so ist dieser Mann von der Hand des Himmels gewiß auf eine wunderbare Weise vor andern Menschen hervorgehoben, und es werden viele mit ihren Gedanken nicht einmal an ihn heranreichen können. –

Der Hof des mailändischen Herzogs, Lodovico Sforza, war der Hauptschauplatz, wo Leonardo da Vinci, als oberster Vorsteher der Akademie, seine vielfachen Geschicklichkeiten entfaltete. Hier zeigte er sich in vortrefflichen Gemälden und Bildwerken; hier verbreitete er seinen guten Geschmack in Gebäuden; er war förmlich unter der Zahl der Tonkünstler als Spieler auf der Geige angestellt; er führte mit tiefer Einsicht den schweren Bau eines Wasserkanals über Berge und Täler, – und so stellte er bloß in seiner Person fast eine ganze Akademie aller menschlichen Erkenntnisse und Fertigkeiten vor. Ehe er den Bau des Kanals übernahm, begab er sich nach Valverola, dem Landsitz eines seiner angesehenen Freunde, und legte sich dort, unter Begünstigung der ländlichen Muse, mit großem Fleiß auf das Mathematische der Baukunst. Auf diesem stillen Landsitz brachte er nachher etliche Jahre zu, lag mit philosophischem Geiste den mathematischen und allen nur irgend zu einer gründlichen Theorie der bildenden Künste gehörigen Studien ob, und verlor sich ganz in tiefsinnige Spekulationen. Das Gepräge der in sich gekehrten Weisheit trug er auch in seinem Äußeren, indem er sich Haar und Bart so lang hatte wachsen lassen, daß er das Ansehen eines Einsiedlers hatte; – wie denn einige in seinem unermüdeten Fleiß auch den Bewegungsgrund finden wollen, daß er zeitlebens unverheiratet blieb. – Während des Aufenthaltes in seiner ländlichen Einsamkeit trug er nun auch die Resultate seines Studiums, durch seinen Geist gesteigert und geläutert, und mit seinen eigenen sehr scharfsinnigen Gedanken und Beobachtungen versetzt, in ausführlichen Werken zusammen, welche sich, von seiner eigenen teuren Hand geschrieben, noch itzt in dem großen ambrosianischen Bücherschatze zu Mailand befinden.

Aber ach! Es ist auch diese, wie so manche andre uralte, mit ehrwürdigem Staube bedeckte Handschrift in den Bücherschätzen der Großen, ein unangerührtes Heiligtum, vor welchem die unverständigen Söhne unsers Zeitalters, höchstens mit einer leeren Ehrfurchtsbezeugung, vorübergehn. Das Manuskript wartet noch auf denjenigen, welcher den Geist des alten Malers, der darin verzaubert schläft, daraus erwecken, und aus den lange getragenen Banden erlösen soll.

Alle die Schönheiten und das Vortreffliche in den vielen Gemälden unsers Leonardo auseinanderzusetzen, ist meine Feder nicht imstande.