Sein berühmtestes Bild ist wohl die Vorstellung des heiligen Abendmahles in dem Refektorium der Dominikaner zu Mailand. Man bewundert darin den seelenvollen Ausdruck in den Köpfen der Jünger Christi, wie jeder den Herrn zu fragen scheinet: Herr! Bin ichs? Die alten Anekdotensammler der Kunst erzählen, daß Leonardo, nachdem er die übrigen Figuren vollendet, eine Weile gezögert, und immer bei sich überlegt und nachgedacht, oder, (um vielleicht eigentlicher zu reden,) auf glückliche Eingebungen geharret habe, wie er das verräterische Gesicht des Judas, und das erhabene Antlitz Jesu, recht vollkommen ausdrücken solle; worauf der Prior des Klosters einen einleuchtenden Beweis seines Unverstandes gegeben, indem er ihn, wie einen Tagelöhner, über sein Zögern zur Rede gestellt habe.

Noch eines Gemäldes des Leonardo muß ich, eines merkwürdigen Umstandes halber, gedenken. Ich meine das Bildnis der Lisa del Giocondo, (der Gemahlin des Francesco), an welchem er vier Jahre arbeitete, ohne durch die sorgfältigste und feinste Ausarbeitung jedes Härchens, den Geist und das Leben des Ganzen zu ersticken. Sooft nun die edle Frau ihm zum Malen saß, rief er allemal einige Personen herzu, die sie durch eine angenehme und muntre Musik auf Instrumenten, mit der menschlichen Stimme begleitet, aufheitern mußten. Ein sehr sinnreicher Einfall, wegen dessen ich den Leonardo immer bewundert habe. Er wußte nur zu wohl, daß bei Personen, welche zum Malen sitzen, sich gewöhnlich eine trockene und leere Ernsthaftigkeit auf ihrem Gesichte einzufinden pflegt, und daß eine solche Miene, wenn sie im Gemälde in bleibenden Zügen festgehalten wird, ein ungefälliges oder wohl gar finsteres Ansehen gewinnt. Dagegen kannte er die Wirkung einer fröhlichen Musik, wie sie sich in den Mienen des Gesichts abspiegelt, wie sie alle Züge auflöst, und in ein liebliches, reges Spiel setzt. So trug er die sprechenden Reize des Antlitzes lebendig auf die Tafel über, und wußte bei Ausübung der einen Kunst sich der andern so glücklich als Gehülfin zu bedienen, daß diese auf jene ihren Widerschein warf.

Wie viele geschickte Maler aus des Leonardo Schule ausgegangen, und wie angesehen und allgemein verehrt er in seinem Leben war, läßt sich gedenken. Als er einst in einem Kloster vor Florenz nur den Entwurf zu einem großen Altarblatte gemacht hatte, ward der Ruf dieses Entwurfs so groß, daß zwei Tage lang eine Menge Volk aus der Stadt dahin wallfahrtete, und man hätte meinen sollen, es würde ein Fest oder eine Prozession gehalten.

In Florenz hatte Leonardo da Vinci sich wieder aufgehalten, seitdem, in den kriegerischen Zeiten von Italien, der Herzog Lodovico Sforza von Mailand eine gänzliche Niederlage erlitten hatte, und die Akademie zu Mailand ganz zerstiebt war. In seinem hohen Alter ward er noch von König Franz dem Ersten, aus Florenz nach Frankreich berufen.

Der Monarch schätzte ihn über alles hoch, und empfing den alten fünfundsiebzigjährigen Mann mit besonderer Freundlichkeit und Achtung. Allein es war ihm nicht beschieden, sein Leben in dem ihm neuen Lande noch hoch zu bringen. Die Beschwerlichkeiten der Reise und die Verschiedenheit der Landesart mußten ihm die Krankheit zugezogen haben, die ihn nicht lange nach seiner Ankunft befiel. Der König besuchte ihn fleißig in seiner Krankheit, und bezeigte sich sehr besorgt um ihn. Als er einst auch zu ihm kam, an sein Lager trat, und der alte Mann sich im Bette aufrichten wollte, um dem Könige für seine Gnade zu danken, ward er unvermerkt von einer Schwachheit überfallen, – der König unterstützte ihn mit seinen Armen, – aber der Atem ging ihm aus, – und der Geist, der so viele und große Dinge gewirkt hatte, welche noch jetzt in ihrer Vollkommenheit bestehen, war durch einen einzigen Hauch, wie ein Blatt von der Erde, weggeweht. –

Wenn der Glanz der Kronen das Licht ist, welches das Gedeihen der Künste vorzüglich befördert, so kann man die Szene, die an dem Ende von Leonardos Leben steht, gewissermaßen als eine Apotheose des Künstlers ansehen; in den Augen der Welt wenigstens mußte es für alle Taten des großen Mannes ein würdiger Lohn erscheinen, in den Armen eines Königs zu erblassen. – –

Man wird mich nun vielleicht fragen: Ob ich denn nun diesen hier so hochgepriesenen Leonardo da Vinci als den vortrefflichsten, und als das Haupt aller Maler aufstellen, und alle Schüler auffordern wollte, daß sie gerade so zu werden streben sollten wie er?

Aber anstatt zu antworten, frage ich wieder: Ob es denn nicht erlaubt sei, seinen Blick einmal absichtlich auf den großen und betrachtungswürdigen Geist eines einzigen Mannes zu beschränken, um seine eigentümlichen Vortrefflichkeiten einmal recht für sich, in ihrem Zusammenhange zu überschauen? – Und ob man wohl so dreist, mit der anmaßenden Strenge eines Richteramtes, die Künstler nach Maß und Gewicht ihrer Verdienste in Reih und Glied stellen könne, wie die Lehrer der Moral tugend- und lasterhafte Menschen, nach genauen Regeln des Ranges, über- und untereinanderzusetzen sich vermessen?

Ich meine, man könne Geister von sehr verschiedener Beschaffenheit, die beide große Eigenschaften haben, beide bewundern. Die Geister der Menschen sind ebenso unendlich- mannigfaltig, als es ihre Gesichtsbildungen sind. Und nennen wir nicht das ehrwürdige, faltenreiche, weisheitsvolle Antlitz des Greises ebensowohl schön, als das unbefangene, Empfindung atmende, zauberhafte Gesicht der Jungfrau?

Allein bei dieser bildlichen Vorstellung möchte mir jemand sagen: Wenn aber das Losungswort Schönheit ertönt, drängt sich dir da nicht unwillkürlich aus innerer Seele das letztere Bild, das Bild der Venus Urania in deinem Busen hervor?

Und hierauf weiß ich freilich nichts zu antworten.

Wer bei meinem zwiefachen Bilde, wie ich, an den Geist des Mannes, den wir eben geschildert haben, und an den Geist desjenigen, den ich den Göttlichen zu nennen pflege, gedenkt, wird in dieser Gleichnisrede vielleicht Stoff zum Nachsinnen finden. Dergleichen Phantasien, die uns in den Sinn kommen, verbreiten oftmals auf wunderbare Weise ein helleres Licht über einen Gegenstand, als die Schlußreden der Vernunft; und es liegt neben den sogenannten höheren Erkenntniskräften ein Zauberspiegel in unsrer Seele, der uns die Dinge manchmal vielleicht am kräftigsten dargestellt zeigt. –

 

Zwei Gemäldeschilderungen

 

Ein schönes Bild oder Gemälde ist, meinem Sinne nach, eigentlich gar nicht zu beschreiben; denn in dem Augenblicke, da man mehr als ein einziges Wort darüber sagt, fliegt die Einbildung von der Tafel weg, und gaukelt für sich allein in den Lüften. Drum haben die alten Chronikenschreiber der Kunst mich sehr weise gedünket, wenn sie ein Gemälde bloß: ein vortreffliches, ein unvergleichliches, ein über alles herrliches nennen; indem es mir unmöglich scheint, mehr davon zu sagen. Indessen ist es mir beigefallen, ein paar Bilder einmal auf die folgende Art zu schildern, wovon ich die zwei Proben, die mir von selbst in den Sinn gekommen sind, um der eignen Art willen, ohne daß ich diese Art für etwas sehr Vorzügliches halten mag, doch zu jedermanns Ansicht hersetzen will.

 

 

Die heilige Jungfrau mit dem Christuskinde, und der kleine Johannes
Maria

Warum bin ich doch so überselig,

Und zum allerhöchsten Glück erlesen,

Das die Erde jemals tragen mag?

Ich verzage bei dem großen Glücke,

Und ich weiß nicht Dank dafür zu sagen,

Nicht mit Tränen, nicht mit lauter Freude.

Nur mit Lächeln und mit tiefer Wehmut

Kann ich auf dem Götterkinde ruhen,

Und mein Blick vermag es nicht, zum Himmel,

Und zum gütgen Vater aufzusteigen.

Nimmer werden meine Augen müde,

Dieses Kind, das mir im Schoße spielet,

Anzusehn mit tiefer Herzensfreude.

Ach! und welche fremde, große Dinge,

Die das unschuldvolle Kind nicht ahndet,

Leuchten aus den klugen blauen Augen,

Und aus all den kleinen Gaukeleien!

Ach! ich weiß nicht, was ich sagen soll!

Dünkt michs doch, ich sei nicht mehr auf dieser Erde,

Wenn ich in mir recht lebendig denke:

Ich, ich bin die Mutter dieses Kindes.

 

Das Jesuskind

Hübsch und bunt ist die Welt um mich her!

Doch ists mir nicht wie den andern Kindern,

Doch kann ich nicht recht spielen,

Nichts fest angreifen mit der Hand,

Nicht lautjauchzend frohlocken.

Was sich lebendig

Vor meinen Augen regt und bewegt,

Kommt mir vor, wie vorbeigehend Schattenbild

Und artiges Blendwerk.

Aber innerlich bin ich froh,

Und denke mir innerlich schönere Sachen,

Die ich nicht sagen kann.

 

Der kleine Johannes

Ach! wie bet ich es an, das Jesuskindlein!

Ach wie lieblich und voller Unschuld

Gaukelt es in der Mutter Schoß! –

Lieber Gott im Himmel, wie bet ich heimlich zu Dir,

Und danke Dir,

Und preise Dich um Deine große Gnade,

Und flehe Deinen Segen herab auch für mich!

 

Zweites Bild
Die Anbetung der drei Weisen aus dem Morgenlande
Die drei Weisen

Siehe! aus dem fernen Morgenlande

Kommen wir, vom schönen Stern geführet,

Wir, drei Weisen aus dem fernen Lande,

Wo die Sonn' in ihrer Pracht hervorgeht.

Lange Jahre haben wir nach Weisheit,

Nach der Weisheit Urquell hingetrachtet,

Haben viel erdacht in unserm Geiste;

Und dabei hat uns der Herr der Dinge

Kron' und Zepter gnädiglich verliehen,

Und bei unsrer langen Geistesarbeit

Uns mit silberweißem Haupt gesegnet.

Doch, wir kommen jetzt dahergezogen,

Aus dem Lande, wo die Sonn' emporsteigt,

Um die ganze Weisheit unsrer Jahre,

Unsre ganze Wissenschaft und Kenntnis,

Ach! vor Dir, du wunderbares Kindlein,

Demutvoll hier in den Staub zu legen,

Und in unsern goldnen Königsmänteln,

Und mit unsern silberweißen Häuptern,

Ehrfurchtsvoll uns hier vor Dir zu beugen,

Hier zu huldigen und anzubeten.

Und zum Zeichen unsrer tiefen Ehrfurcht

Bringen wir Dir Myrrhen, Gold und Weihrauch,

Als ein würdig Opfer unsrer Andacht,

Wie wir es zu geben nur vermögen.

 

Maria

Ach! preise, meine Seele, den Herrn!

Daß er mich so herrlich gemacht hat,

So hoch erhoben vor allem Volke!

Daß ich das Kindlein geboren habe,

Das mir im Schoße spielet,

Das die Weisen anzubeten

Aus dem fernen Morgenlande herziehn!

Ach! mein Auge vermags nicht zu ertragen,

Und mein Herz bricht!

Alle tiefe Weisheit ihrer Jahre

Legen sie vor dem Kindlein in den Staub:

Ihre Kniee gebeugt,

Ihre Häupter zur Erde geneigt,

Und am Boden liegen die goldnen Königsmäntel.

Gold, und Weihrauch, und Myrrhen

Bringen sie zum Opfer;

Ach! dem Kind ein groß und herrlich Opfer! –

O wie selig ist die Mutter innerlich!

Aber ich vermag den weisen Männern

Nicht für ihre große Huld zu danken,

Nicht den Blick zum Himmel aufzuheben.

Aber herrliche und große Dinge

Stehen innerlich mir im Gemüte.

 

Das Jesuskindlein

Schön muß wohl das ferne Land sein,

Wo die helle Sonn' emporsteigt;

Denn wie herrlich sind die Männer!

Aber wie so alt und prächtig?

Ach! das ist die tiefe Weisheit,

Daß sie goldne Königsmäntel,

Silberweiße Häupter haben.

Und recht wunderbare Dinge

Haben sie mir hergetragen!

Und doch knien sie vor mir nieder, –

Seltsam scheinen mir die Männer,

Und ich weiß mir nicht zu sagen,

Wie ich sie recht nennen soll.

 

 

Einige Worte über Allgemeinheit, Toleranz und Menschenliebe in der Kunst

 

Der Schöpfer, welcher unsre Erde und alles, was darauf ist, gemacht hat, hat das ganze Erdenrund mit seinem Blick umfaßt, und den Strom seines Segens über den ganzen Erdkreis ausgegossen. Aber aus seiner geheimnisvollen Werkstatt hat er tausenderlei unendlich-mannigfaltige Keime der Dinge über unsre Kugel hergestreut, die unendlich-mannigfaltige Früchte tragen, und zu seiner Ehre zu dem größesten, buntesten Garten hervorschießen. Auf wunderbare Weise führt er seine Sonne um den Erdball in gemessenen Kreisen herum, daß ihre Strahlen in tausend Richtungen zur Erde kommen, und unter jedem Himmelsstriche das Mark der Erde zu verschiedenartigen Schöpfungen auskochen und hervortreiben.

Mit gleichem Auge ruht er in einem großen Moment auf dem Werke seiner Hände, und empfängt mit Wohlgefallen das Opfer der ganzen lebendigen und leblosen Natur. Das Brüllen des Löwen ist ihm so angenehm wie das Schreien des Rentiers; und die Aloe duftet ihm ebenso lieblich als Rose und Hyazinthe.

Auch der Mensch ist in tausendfacher Gestalt aus seiner schaffenden Hand gegangen: – die Brüder eines Hauses kennen sich nicht, und verstehen sich nicht; sie reden verschiedene Sprachen, und staunen übereinander: – aber er kennt sie alle, und freut sich aller; mit gleichem Auge ruht er auf seiner Hände Werk, und empfängt das Opfer der ganzen Natur.

Auf mancherlei Weise hört er die Stimmen der Menschen von den himmlischen Dingen durcheinanderreden, und weiß, daß alle, – alle, wär' es auch wider ihr Wissen und Willen, – dennoch ihn, den Unnennbaren, meinen.

So hört er auch die innere Empfindung der Menschen in verschiedenen Zonen und in verschiedenen Zeitaltern verschiedene Sprachen reden, und hört, wie sie miteinander streiten und sich nicht verstehen: aber dem ewigen Geiste löst sich alles in Harmonie auf; er weiß, daß ein jeder die Sprache redet, die er ihm angeschaffen hat, daß ein jeder sein Inneres äußert, wie er kann und soll; – wenn sie in ihrer Blindheit untereinander streiten, so weiß und erkennet er, daß für sich ein jeglicher recht hat; er sieht mit Wohlgefallen auf jeden und auf alle, und freut sich des bunten Gemisches.

Kunst ist die Blume menschlicher Empfindung zu nennen. In ewig wechselnder Gestalt erhebt sie sich unter den mannigfaltigen Zonen der Erde zum Himmel empor, und dem allgemeinen Vater, der den Erdball mit allem, was daran ist, in seiner Hand hält, duftet auch von dieser Saat nur ein vereinigter Wohlgeruch.

Er erblickt in jeglichem Werke der Kunst, unter allen Zonen der Erde, die Spur von dem himmlischen Funken, der, von ihm ausgegangen, durch die Brust des Menschen hindurch, in dessen kleine Schöpfungen überging, aus denen er dem großen Schöpfer wieder entgegenglimmt. Ihm ist der gotische Tempel so wohlgefällig als der Tempel des Griechen; und die rohe Kriegsmusik der Wilden ist ihm ein so lieblicher Klang, als kunstreiche Chöre und Kirchengesänge.

Und wenn ich nun von ihm, dem Unendlichen, durch die unermeßlichen Räume des Himmels, wieder zur Erde gelange, und mich unter meinen Mitbrüdern umsehe, – ach! so muß ich laute Klagen erheben, daß sie ihrem ewigen großen Vorbilde im Himmel so wenig ähnlich zu werden sich bestreben. Sie zanken miteinander, und verstehen sich nicht, und sehen nicht, daß sie alle nach demselben Ziele eilen, weil jeder mit festem Fuße auf seinem Standort stehenbleibt, und seine Augen nicht über das Ganze zu erheben weiß.

Blöden Menschen ist es nicht begreiflich, daß es auf unserer Erdkugel Antipoden gebe, und daß sie selber Antipoden sind. Sie denken sich den Ort, wo sie stehen, immer als den Schwerpunkt des Ganzen, – und ihrem Geiste mangeln die Schwingen, das ganze Erdenrund zu umfliegen, und das in sich selbst gegründete Ganze mit einem Blicke zu umspielen.

Und ebenso betrachten sie ihr Gefühl als das Zentrum alles Schönen in der Kunst, und sprechen, wie vom Richterstuhle, über alles das entscheidende Urteil ab, ohne zu bedenken, daß sie niemand zu Richtern gesetzt hat, und daß diejenigen, die von ihnen verurteilt sind, sich ebensowohl dazu aufwerfen könnten.

Warum verdammt ihr den Indianer nicht, daß er indianisch, und nicht unsre Sprache redet? –

Und doch wollt ihr das Mittelalter verdammen, daß es nicht solche Tempel baute wie Griechenland? –

O so ahndet euch doch in die fremden Seelen hinein, und merket, daß ihr mit euren verkannten Brüdern die Geistesgaben aus derselben Hand empfangen habt! Begreifet doch, daß jedes Wesen nur aus den Kräften, die es vom Himmel erhalten hat, Bildungen aus sich herausschaffen kann, und daß einem jeden seine Schöpfungen gemäß sein müssen.