Und wenn ihr euch nicht in alle fremde Wesen hineinzufühlen, und durch ihr Gemüt hindurch ihre Werke zu empfinden vermöget; so versuchet wenigstens, durch die Schlußketten des Verstandes mittelbar an diese Überzeugung heranzureichen. –

Hätte die aussäende Hand des Himmels den Keim deiner Seele auf die afrikanischen Sandwüsten fallen lassen, so würdest du aller Welt das glänzende Schwarz der Haut, das dicke, stumpfe Gesicht, und die kurzen, krausen Haare, als wesentliche Teile der höchsten Schönheit angepredigt, und den ersten weißen Menschen verlacht oder gehaßt haben. Wäre deine Seele einige hundert Meilen weiter nach Osten, auf dem Boden von Indien aufgegangen, so würdest du in den kleinen, seltsam gestalteten, vielarmigen Götzen den geheimen Geist fühlen, der, unsern Sinnen verborgen, darinnen weht, und würdest, wenn du die Bildsäule der Mediceischen Venus erblicktest, nicht wissen was du davon halten solltest. Und hätte es demjenigen, in dessen Macht du standest und stehst, gefallen, dich unter die Scharen südlicher Insulaner zu werfen, so würdest du in jedem wilden Trommelschlag, und den rohen, gellenden Schlägen der Melodie, einen tiefen Sinn finden, von dem du jetzt keine Silbe fassest. Würdest du aber in irgendeinem dieser Fälle, die Gabe der Schöpfung oder die Gabe des Genusses der Kunst, aus einer andern Quelle, als aus der ewigen und allgemeinen, der du auch jetzt alle deine Schätze verdankest, empfangen haben? –

Das Einmaleins der Vernunft folgt unter allen Nationen der Erde denselben Gesetzen, und wird nur hier auf ein unendlich größeres, dort auf ein sehr geringes Feld von Gegenständen angewandt. – Auf ähnliche Weise ist das Kunstgefühl nur ein und derselbe himmlische Lichtstrahl, welcher aber, durch das mannigfach-geschliffene Glas der Sinnlichkeit unter verschiedenen Zonen sich in tausenderlei verschiedene Farben bricht.

Schönheit: ein wunderseltsames Wort! Erfindet erst neue Worte für jedes einzelne Kunstgefühl, für jedes einzelne Werk der Kunst! In jedem spielt eine andere Farbe, und für ein jedes sind andere Nerven in dem Gebäude des Menschen geschaffen.

Aber ihr spinnt aus diesem Worte, durch Künste des Verstandes, ein strenges System, und wollt alle Menschen zwingen, nach euren Vorschriften und Regeln zu fühlen, – und fühlet selber nicht.

Wer ein System glaubt, hat die allgemeine Liebe aus seinem Herzen verdrängt! Erträglicher noch ist Intoleranz des Gefühls, als Intoleranz des Verstandes; – Aberglaube besser als Systemglaube. –

Könnt ihr den Melancholischen zwingen, daß er scherzhafte Lieder und muntern Tanz angenehm finde? Oder den Sanguinischen, daß er sein Herz den tragischen Schrecknissen mit Freude darbiete?

O lasset doch jedes sterbliche Wesen und jedes Volk unter der Sonne bei seinem Glauben und seiner Glückseligkeit! und freuet euch, wenn andere sich freuen, – wenn ihr euch auch über das, was ihnen das Liebste und Werteste ist, nicht mit zu freuen versteht!

Uns, Söhnen dieses Jahrhunderts, ist der Vorzug zuteil geworden, daß wir auf dem Gipfel eines hohen Berges stehen, und daß viele Länder und viele Zeiten unsern Augen offenbar, um uns herum und zu unsern Füßen ausgebreitet liegen. So lasset uns denn dieses Glück benutzen, und mit heitern Blicken über alle Zeiten und Völker umherschweifen, und uns bestreben, an allen ihren mannigfaltigen Empfindungen und Werken der Empfindung immer das Menschliche herauszufühlen. – –

Jegliches Wesen strebt nach dem Schönsten: aber es kann nicht aus sich herausgehen, und sieht das Schönste nur in sich. So wie in jedes sterbliche Auge ein anderes Bild des Regenbogens kommt, so wirft sich jedem, aus der umgebenden Welt, ein anderes Abbild der Schönheit zurück. Die allgemeine, ursprüngliche Schönheit aber, die wir nur in Momenten der verklärten Anschauung nennen, nicht in Worte auflösen können, zeigt sich dem, der den Regenbogen, und das Auge, das ihn siehet, gemacht hat. Ich habe meine Rede angefangen von ihm, und ich kehre wieder zu ihm zurück: – wie der Geist der Kunst, – wie aller Geist von ihm ausgeht, und durch die Atmosphäre der Erde, ihm zum Opfer wieder entgegendringt. –

 

Ehrengedächtnis unsers ehrwürdigen Ahnherrn Albrecht Dürers

 

Von einem kunstliebenden Klosterbruder

Nürnberg! du vormals weltberühmte Stadt! Wie gerne durchwanderte ich deine krummen Gassen; mit welcher kindlichen Liebe betrachtete ich deine altväterischen Häuser und Kirchen, denen die feste Spur von unsrer alten vaterländischen Kunst eingedrückt ist! Wie innig lieb ich die Bildungen jener Zeit, die eine so derbe, kräftige und wahre Sprache führen! Wie ziehen sie mich zurück in jenes graue Jahrhundert, da du, Nürnberg, die lebendigwimmelnde Schule der vaterländischen Kunst warst, und ein recht fruchtbarer, überfließender Kunstgeist in deinen Mauern lebte und webte: – da Meister Hans Sachs und Adam Kraft, der Bildhauer, und vor allen, Albrecht Dürer mit seinem Freunde, Wilibaldus Pirckheimer, und so viel andre hochgelobte Ehrenmänner noch lebten! Wie oft hab ich mich in jene Zeit zurückgewünscht! Wie oft ist sie in meinen Gedanken wieder von neuem vor mir hervorgegangen, wenn ich in deinen ehrwürdigen Büchersälen, Nürnberg, in einem engen Winkel, beim Dämmerlicht der kleinen, rundscheibigen Fenster saß, und über den Folianten des wackern Hans Sachs, oder über anderem alten, gelben, wurmgefressenen Papier brütete; – oder wenn ich unter den kühnen Gewölben deiner düstern Kirchen wandelte, wo der Tag durch buntbemalte Fenster all das Bildwerk und die Malereien der alten Zeit wunderbar beleuchtet! – –

Ihr wundert euch wieder, und sehet mich an, ihr Engherzigen und Kleingläubigen! O ich kenne sie ja, die Myrtenwälder Italiens, – ich kenne sie ja, die himmlische Glut in den begeisterten Männern des beglückten Südens: – was ruft ihr mich hin, wo immer Gedanken meiner Seele wohnen, wo die Heimat der schönsten Stunden meines Lebens ist! – ihr, die ihr überall Grenzen sehet, wo keine sind! Liegt Rom und Deutschland nicht auf einer Erde? Hat der himmlische Vater nicht Wege von Norden nach Süden, wie von Westen nach Osten über den Erdkreis geführt? Ist ein Menschenleben zu kurz? Sind die Alpen unübersteiglich? – Nun so muß auch mehr als eine Liebe in der Brust des Menschen wohnen können. – –

Aber jetzt wandelt mein trauernder Geist auf der geweiheten Stätte vor deinen Mauern, Nürnberg; auf dem Gottesacker, wo die Gebeine Albrecht Dürers ruhen, der einst die Zierde von Deutschland, ja von Europa war. Sie ruhen, von wenigen besucht, unter zahllosen Grabsteinen, deren jeder mit einem ehernen Bildwerk, als dem Gepräge der alten Kunst, bezeichnet ist, und zwischen denen sich hohe Sonnenblumen in Menge erheben, welche den Gottesacker zu einem lieblichen Garten machen. So ruhen die vergessenen Gebeine unsers alten Albrecht Dürers, um dessentwillen es mir lieb ist, daß ich ein Deutscher bin.

Wenigen muß es gegeben sein, die Seele in deinen Bildern so zu verstehen, und das Eigne und Besondere darin mit solcher Innigkeit zu genießen, als der Himmel es mir vor vielen andern vergönnt zu haben scheinet; denn ich sehe mich um, und finde wenige, die mit so herzlicher Liebe, mit solcher Verehrung vor dir verweilten, als ich.

Ist es nicht, als wenn die Figuren in diesen deinen Bildern wirkliche Menschen wären, welche zusammen redeten? Ein jeglicher ist so eigentümlich gestempelt, daß man ihn aus einem großen Haufen herauskennen würde; ein jeglicher so aus der Mitte der Natur genommen, daß er ganz und gar seinen Zweck erfüllt. Keiner ist mit halber Seele da, wie man es öfters bei sehr zierlichen Bildern neuerer Meister sagen möchte; jeder ist im vollen Leben ergriffen, und so auf die Tafel hingestellt. Wer klagen soll, klagt; wer zürnen soll, zürnt; und wer beten soll, betet. Alle Figuren reden, und reden laut und vernehmlich. Kein Arm bewegt sich unnütz, oder bloß zum Augenspiel und zur Füllung des Raums; alle Glieder, alles spricht uns gleichsam mit Macht an, daß wir den Sinn und die Seele des Ganzen recht fest im Gemüte fassen. Wir glauben alles, was der kunstreiche Mann uns darstellt; und es verwischt sich nie aus unserm Gedächtnis. Wie ists, daß mir die heutigen Künstler unsers Vaterlands so anders erscheinen, als jene preiswürdigen Männer der alten Zeit, und du vornehmlich, mein geliebter Dürer? Wie ists, daß es mir vorkommt, als wenn ihr alle die Malerkunst weit ernsthafter, wichtiger und würdiger gehandhabt hättet als diese zierlichen Künstler unsrer Tage? Mich dünkt, ich sehe euch, wie ihr nachdenkend vor eurem angefangenen Bilde stehet, – wie die Vorstellung, die ihr sichtbar machen wollt, ganz lebendig eurer Seele vorschwebt, – wie ihr bedächtig überlegt, welche Mienen und welche Stellungen den Zuschauer wohl am stärksten und sichersten ergreifen, und seine Seele beim Ansehen am mächtigsten bewegen möchten, – und wie ihr dann, mit inniger Teilnahme und freundlichem Ernst, die eurer lebendigen Einbildung befreundeten Wesen, auf die Tafel treu und langsam auftraget. – Aber die Neueren scheinen gar nicht zu wollen, daß man ernsthaft an dem, was sie uns vorstellen, teilnehmen solle; sie arbeiten für vornehme Herren, welche von der Kunst nicht gerührt und veredelt, sondern aufs höchste geblendet und gekitzelt sein wollen; sie bestreben sich, ihr Gemälde zu einem Probestück von recht vielen lieblichen und täuschenden Farben zu machen; sie prüfen ihren Witz in Ausstreuung des Lichtes und Schattens; – aber die Menschenfiguren scheinen öfters bloß um der Farben und um des Lichtes willen, wahrlich ich möchte sagen, als ein notwendiges Übel im Bilde zu stehen.

Wehe muß ich rufen über unser Zeitalter, daß es die Kunst so bloß als ein leichtsinniges Spielwerk der Sinne übt, da sie doch wahrlich etwas sehr Ernsthaftes und Erhabenes ist. Achtet man den Menschen nicht mehr, daß man ihn in der Kunst vernachlässigt und artige Farben und allerhand Künstlichkeit mit Lichtern, der Betrachtung würdiger findet? –

In den Schriften des von unserm Albrecht sehr hochgeschätzten und verteidigten Martin Luthers, worin ich, wie ich nicht ungern gestehe, einiges aus Wißbegier wohl gelesen habe, und in welchen viel Gutes verborgen sein mag, habe ich über die Wichtigkeit der Kunst eine merkwürdige Stelle gefunden, die mir jetzt lebhaft ins Gemüt kommt. Denn es behauptet dieser Mann irgendwo ganz dreist und ausdrücklich: daß nächst der Theologie, unter allen Wissenschaften und Künsten des menschlichen Geistes, die Musik den ersten Platz einnehme. Und ich muß offenherzig bekennen, daß dieser kühne Ausspruch meine Blicke sehr auf den ausgezeichneten Mann hingerichtet hat. Denn die Seele, aus welcher ein solcher Ausspruch kommen konnte, mußte für die Kunst grade diejenige tiefe Verehrung empfinden, welche, ich weiß nicht woher, in so wenigen Gemütern wohnt, und welche, nach meinem Bedünken, doch so sehr natürlich und so bedeutend ist.

Wenn nun die Kunst (ich meine, ihr Haupt- und wesentlicher Teil) wirklich von solcher Wichtigkeit ist; so ist es sehr unwürdig und leichtsinnig, sich von den sprechenden und lehrreichen Menschenfiguren unsers alten Albrecht Dürers hinwegzuwenden, weil sie nicht mit der gleißenden äußeren Schönheit, welche die heutige Welt für das Einzige und Höchste in der Kunst hält, ausgestattet sind. Es verrät nicht ein ganz gesundes und reines Gemüt, wenn sich jemand vor einer geistlichen Betrachtung, welche an sich triftig und eindringend ist, die Ohren zuhält, weil der Redner seine Worte nicht in zierlicher Ordnung stellet, oder weil er eine üble, fremde Aussprache, oder ein schlechtes Spiel mit Händen an sich hat. Hindern mich aber dergleichen Gedanken, diese äußere, und sozusagen bloß körperliche Schönheit der Kunst, wo ich sie finde, nach Verdienst zu schätzen und zu bewundern?

Auch wird dir das, mein geliebter Albrecht Dürer, als ein grober Verstoß angerechnet, daß du deine Menschenfiguren nur so bequem nebeneinander hinstellst, ohne sie künstlich durcheinander zu verschränken, daß sie ein methodisches Gruppo bilden. Ich liebe dich in dieser deiner unbefangenen Einfalt, und hefte mein Auge unwillkürlich zuerst auf die Seele und tiefe Bedeutung deiner Menschen, ohne daß mir dergleichen Tadelsucht nur in den Sinn kommt.