Und sie hat keinen Mann? Was winkst du mit der Hand? Hat Polana keinen Gazda? Ach, so ein Dummkopf erkennt einen nicht; beschattet die Augen mit der Hand und glotzt, glotzt wie ein Klotz.
Juraj Hordubal fühlt das Herz bis in die Kehle pochen, er muß innehalten und tief atmen, ahah! ahah! Es ist beinahe zuviel für ihn, es ist so plötzlich, er verschluckt sich dabei wie einer, der ins Wasser gefallen ist; auf einmal, auf einmal ist er zu Hause, hat nur einen Schritt über diesen steinigen Wasserriß getan, und schon überflutet es ihn von allen Seiten: ja, dieser Wasserriß war immer da, da war das Schlehengesträuch, auch damals vom Hirtenfeuer versengt; wieder blühen im Geröll Königskerzen, der Weg verliert sich in dürrem Gras und trockenem Quendel, dieser Felsblock da mit Heidelbeeren bewachsen, Enzian, Wacholder und der Waldrand, trockene Kuhfladen und die verlassene Sennhütte; es gibt kein Amerika und es gibt keine acht Jahre mehr; alles ist wie früher, der schimmernde Käfer in einem Distelköpfchen, das glitschige Gras und aus der Ferne die Kuhglocken, der Sattel oberhalb der Krivá, die braune Segge und der Weg nach Hause –
– der Weg mit den weichen Schritten des Gebirglers, welcher Opanken trägt und nicht in Amerika gewesen ist, der nach Wald und Kühen duftende Weg, ausgeglüht wie ein Backofen, der Weg talab, der steinige Weg, von den Herden ausgetreten, sumpfig von Quellen, über das Gestein hüpfend, ach, Herrgott im Himmel, ein rechtschaffener Pfad, heftig wie ein Bach, weich vom Gras, über Schotter verbröckelnd, schmatzend in Naß, sich bückend unter den Wipfeln des Waldes: no, sir, kein schlackiger Gehsteig, der unter dem Stiefel knirscht, wie in Johnstown, keine railings, keine Scharen von Männern, die zur mine trotten, kein Mensch zu sehen, kein Mensch, nur der Weg hinunter, der Bach und das Herdengeläute, der Weg nach Hause, der Sturz nach Hause, die Glöckchen der Kälber und blauer Eisenhut am Bachrand –
Juraj Hordubal steigt mit langen Schritten talwärts, was gilt ihm der Koffer, was die acht Jahre; hier ist der Weg nach Hause, man läuft von selbst hinunter, so wie die Herde in der Dämmerung heimkehrt mit vollen Eutern, das Bimbam der Kühe und die Glöckchen der Kälber: schön wär's, hier sitzenzubleiben und die Dämmerung abzuwarten, in das Dorf zu kommen mit dem Läuten der Herden, zur Stunde, wenn die Weiber auf die Schwelle hinaustreten und die Männer sich an den Zaun lehnen: seht, seht, wer kommt denn da? Aber ich wie die Herde von der Weide und stracks in das offene Tor hinein. Guten Abend, Polana. Auch ich komme nicht mit leeren Händen zurück.
Oder nein, bis zur Dunkelheit warten, bis das liebe Vieh vorbei ist, bis alles im Schlummer liegt; und ans Fenster klopfen, Polana! Polana! Jesus Christus, wer ist da? Ich, Polana, du sollst die erste sein, die mich sieht; gelobt sei Gott. Und wo ist Hafia? Hafia schläft; soll ich sie wecken? Nein, laß sie schlafen. Gelobt sei der Herr.
Hordubal schritt noch rüstiger aus. Du mein Gott, es ist leicht zu gehen, wenn einem die Gedanken vorauseilen! Du kannst sie gar nicht einholen, streckst vergeblich die Beine aus: dein Kopf eilt dir voraus und ist schon bei den Vogelbeersträuchern am Dorfrand, husch, Gänse, husch, und schon bist du daheim. Austrompeten solltest du's: seht her, ihr alle, seht ihn euch an, der da kommt, den Amerikaner, tramtara, da guckt man, boys, hallo! Und nun stille, hier sind wir zu Hause, Polana bricht Flachs auf dem Hof man schleicht sich von hinten heran und hält ihr die Augen zu – Juraj! Wie hast du mich erkannt, Polana? Gott sei gelobt, wie sollt' ich deine Hände nicht erkennen!
Hordubal rennt durch das Tal, das Köfferchen in der Hand spürt er nicht, dort ist das ganze Amerika verfrachtet, blaue Hemden, der Manchesteranzug und ein Teddybär für Hafia; und das da, Polana, für dich, Stoff für ein Kleid, wie man's in Amerika trägt, duftende Seife, ein handbag mit Kettchen, und das da, Hafia, ist electric light, du drückst diesen Knopf da und es leuchtet, und hier bring' ich dir Bildchen, aus der Zeitung ausgeschnitten – ach, Mädel, so viele hab' ich gesammelt, acht Jahre hab' ich für dich aufgehoben, was ich nur finden konnte; ich mußte sie drüben lassen, sie gingen nicht mehr in mein suitcase hinein. Aber wart', in dem Koffer dort gibt es noch Dinge!
Und hier, gelobt sei Gott, führt schon der Weg über den Bach; kein Eisensteg, sondern nur Steine im Wasser, du mußt von Stein zu Stein springen und die Arme schwingen, eh, Jungens, dort im Erlengesträuch sind wir auf den Krebsfang gegangen, mit aufgekrempelten Hosen und naß bis an die Ohren; und ist noch das Kreuz an der Wegbiegung da? Gelobt sei Jesus Christus, es ist da, geneigt über den Fahrweg, weich vom warmen Staub und duftend von Herde, Stroh und Korn; und da muß schon der Zaun sein von Michaltschuks Garten, und da ist er, verwachsen mit Flieder und Haselnuß wie damals, und umgestürzt, so wie damals; gepriesen sei der Herr, da sind wir schon im Dorf willkommen daheim, Juraj Hordubal. Und Juraj Hordubal hält inne, der Teufel soll wissen, warum das Köfferchen auf einmal so schwer ist, jetzt nur den Schweiß trocknen und, Jesus Maria, warum hab' ich mich nicht am Bach gewaschen, warum hab' ich nicht Rasierklinge und Spieglein aus dem Koffer geholt, um mich am Bach zu rasieren? Ich seh' ja wie ein Zigeuner aus, wie ein Landstreicher, wie ein Bandit, soll ich nicht zurück, um mich zu waschen, bevor ich mich Polana zeige? Aber das geht nicht mehr, Hordubal, man schaut dir zu; hinter Michaltschuks Zaun, hinter dem Klettengraben guckt regungslos und entsetzt ein Kind hervor. Rufst du es an, Hordubal? Sagst, hej du, bist du dem Michaltschuk seins? Und das Kind, mit den nackten Pfoten klatschend, ergreift die Flucht.
Soll ich ums Dorf herum gehen, denkt Hordubal, und von hinten ins Haus hinein? Das wär' was, damit sie herauslaufen, he, du dort, wohin schleichst du dich? Marsch auf die Straße, sonst kriegst du eins mit der Peitsche! Was tun, man muß mitten durchs Dorf gehen; ach du mein Gott, wenn der Koffer nicht so drücken wollte! Das Gesicht einer Muhme im Fenster hinter dem Muskattopf, die entsetzten Blicke der Sonnenblumen, eine Frau schüttet im Hof etwas aus, scheint sich mit dem Gefäß umzublicken, Kinder bleiben stehen und glotzen, seht, seht, ein Fremder kommt, der alte Kyril mahlt mit dem Kinn in der Luft und blickt nicht auf, noch ein Stich ins Herz, Gott mit uns, und nun tritt mit gebeugtem Nacken in das Tor deines Heims ein.
Ej, du Dummkopf, wie konntest du dich so irren! Das ist ja nicht Hordubals Holzhütte, Holzstall und Balkenscheune; das ist ein richtiger Gutshof, gemauerter Bau und Schindeldach, im Hof eine eiserne Pumpe, eiserner Pflug und eiserne Tore, nun, irgendein Gutshof; flink, Hordubal, mach' dich flink aus dem Staub mitsamt deinem schwarzen Köfferchen, eh' noch der Gazda kommt und sagt: Na, was gaffst du da herum? Guten Tag, Bauer, hat hier nicht Polana Hordubal gewohnt? Bitte um Entschuldigung, Herr, ich weiß nicht, wo ich meine Augen gehabt habe.
Aus dem Haus tritt Polana und stockt wie versteinert, die Augen herausgewälzt, preßt die Hände mit aller Macht an die Brust und atmet heftig, stoßweise.
III
Und jetzt weiß Juraj Hordubal nicht, was er sagen soll: so viele Anfänge hat er sich ausgedacht, wie kommt es, daß keiner hierher paßt? Man hält Polana nicht mit den Händen die Augen zu, pocht nicht nachts an ihr Fenster, kehrt nicht mit dem Herdengeläute und mit Segenswünschen heim; sondern man bricht struppig und ungewaschen hier ein; nun, ist es da ein Wunder, daß die Frau erschrickt? Auch die Stimme würde wunderlich und erstickt aus meiner Kehle kommen – Herrgott, gib mir einen Rat, was man mit so einer menschenunmöglichen Stimme sagen soll.
Polana tritt aus der Vorlaube zurück, viel zu weit weicht sie zurück, ach, Polana, ich wäre auch so durchgeschlüpft; und sagt mit einer Stimme, die fast keine Stimme ist, und fast nicht die ihrige: »Komm herein, ich – rufe Hafia.« Ja, Hafia, aber zuvor möchte ich dir die Hände auf die Schultern legen und sagen, nun, Polana, hab' dich nicht gern erschreckt; Gottlob, daß ich wieder daheim bin. Sieh mal an, wie du dich eingerichtet hast: neu ist das Bett und hoch gebettet, der Tisch neu und schwer, an der Wand Heiligenbilder, meiner Treu, Bruderherz, das hat man nicht einmal in Amerika besser; der Fußboden aus Brettern und Muskattöpfe in den Fenstern, gut hast du gewirtschaftet, Polana! Juraj Hordubal setzt sich ganz still auf sein Köfferchen. Klug ist Polana und weiß sich Rat; es sieht so aus, man muß glauben, sie hat zwölf Kühe, zwölf und mehr – Gott sei gelobt, nicht umsonst hab' ich gerobotet; aber diese Hitze in dem shaft, Seelchen, wenn du wüßtest, was für eine Hölle!
Polana kommt nicht; Juraj Hordubal spürt eine Beklemmung wie einer, der allein in einer fremden Stube ist. Ich werde im Hof warten, sagt er sich, vielleicht könnt' ich mich mittlerweile waschen. Joj, das Hemd ausziehn und mir das kalte Wasser auf Schultern, Kopf und Haar pumpen, Wasser in Fluten herumspritzen und vor Behagen wiehern! Aber das schickt sich wohl nicht, noch nicht; nur ein wenig Wasser aus der eisernen Pumpe (früher war da eine hölzerne Einfassung und ein Eimer am Waagebalken, und wie feucht und kühl hat es heraufgeweht, wenn man sich über die Einfassung beugte), das hier ist wie in Amerika, dort haben die farmers solche Pumpen (mit gefülltem Eimer in den Stall und die Kühe tränken, bis ihnen die Nüstern vor Feuchtigkeit glänzen und sie geräuschvoll schnauben), nur mit etwas Wasser benetzt er das zerknüllte Taschentuch und reibt Stirn, Hände, Nacken, ach, das kühlt, windet das Taschentuch aus und sucht, wohin er es hängen soll, noch nicht, noch bin ich hier nicht zu Hause, und stopft es naß in die Tasche. »Da hast du den Vater, Hafia«, hört Hordubal, und Polana schiebt ihm ein elfjähriges Mädchen mit verängstigten blaßblauen Augen entgegen: »Also du bist Hafia«, brummt Hordubal verlegen (mein Gott, für so ein großes Kind einen Teddybär!) und will ihr Haar berühren, nur so mit dem Finger, Hafia; aber das Mädchen weicht aus, schmiegt sich an die Mutter und hält die Augen auf den fremden Mann gerichtet.
»So grüß' doch, Hafia«, sagt Polana hart und stößt das Mädel in den Rücken. Ach, Polana, laß sie doch – was liegt daran, daß das Kind erschrocken ist! »Guten Tag«, flüstert Hafia und kehrt sich ab. Juraj fühlt plötzlich etwas Seltsames, seine Augen haben sich mit Tränen gefüllt, das Kindergesicht vor ihm zittert und verschwimmt; aber, aber, was ist denn das – eh nichts, das ist nichts, hab' bloß schon so viele Jahre kein »Guten Tag« gehört. »Komm, sieh mal an, Hafia«, sagt er rasch, »was ich dir mitgebracht habe.«
»Geh', du Dummerchen«, schubst die Polana.
Hordubal kniet bei dem Koffer, Heilige Jungfrau, alles ist unterwegs durcheinander geraten, und sucht die elektrische Batterie, da wird Hafia staunen! »Siehst du, Hafia, hier drückst du auf den Knopf, und es leuchtet.« Na, was heißt das, es will nicht leuchten: Hordubal drückt auf den Knopf, dreht die Batterie hin und her und wird traurig. »Was ist damit passiert? Aha, wahrscheinlich ist es da drinnen ausgetrocknet, dort, wo die Elektrizität ist, – du mußt wissen, es war so heiß auf dem lowerdeck. – Nun ja, es hat so klar geleuchtet, Hafia, wie die liebe Sonne. Aber warte, ich habe dir Bildchen mitgebracht, da wirst du Augen machen!« Hordubal angelt aus dem Koffer die Blätter aus Magazinen und Zeitungen heraus, mit denen er die paar Kleidungsstücke unterlegt hatte. »Komm her, Hafia, sollst sehn, wie Amerika ausschaut.«
Das Mädchen dreht sich verlegen und blickt sich nach der Mutter um. Polana deutet trocken und streng mit dem Kopf: geh! Das Kind trippelt ängstlich, ungern zu dem langen fremden Herrn hin – ach, zur Tür hinausschießen und rennen, zur Marica, zur Žofka, zu den Mädchen rennen, die dort am Dorfrand so ein liebes kleines Hündchen in ein Federbettchen packen – »Sieh mal, Hafia, hier diese Damen – und da, schau, wie sie sich prügeln, haha, was? Das ist football, weißt du? So ein Spiel, wie es in Amerika gespielt wird. Und hier die hohen Häuser –«
Hafia berührt ihn bereits mit der Schulter und fragt schüchtern: »Und was ist das da?«
Freude und Rührung haben Juraj Hordubal überflutet: sieh mal an, das Kind gewöhnt sich schon! »Weißt du ... weißt du, das ist Felix the cat.«
»Aber das ist ja eine Katze«, protestiert Hafia.
»Haha, natürlich ist es eine Katze! Bist klug, Hafia! Ja, es ist ... so ein amerikanischer Kater, all right.«
»Und was macht er denn da?«
»Er ... er schleckt ein tin aus, verstehst du? So eine Blechbüchse von Konserven. Das ist das advertisment für die Konserven, weißt du?« –
»Und was steht da geschrieben?«
»Das ist ... das wird etwas auf Amerikanisch sein, Hafia, das verstehst du nicht; aber hier, schau, die Schiffe«, lenkt Hordubal rasch das Gespräch ab. »Auf so einem bin ich gefahren.«
»Und was ist das hier?«
»Das sind die Rauchfänge, weißt du? Diese Schiffe haben drinnen eine Dampfmaschine und hinten so einen ...
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