Huttens letzte Tage
Meyer, Conrad Ferdinand
Huttens letzte Tage
Conrad Ferdinand Meyer
Huttens letzte Tage
Eine Dichtung
Franz Wille
und
Eliza Wille
zu eigen
Da mir's zum erstenmal das Herz bewegt,
Hab ich das Buch auf euren Herd gelegt,
Und nun, sooft es tritt ans Tageslicht,
Vergißt es seine alten Wege nicht.
... ich bin kein ausgeklügelt Buch,
Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch ...
Die Ufenau
I
Die Landung
Schiffer! Wie nennst du dort im Wellenblau
Das Eiland? – »Herr, es ist die Ufenau!«
Ein grüner Ort. Dank, Zwingli, für die Rast,
Die du, der Gute, mir bereitet hast!
In braunen Wölklein wirbelt auf ein Rauch,
Bewohnt von Menschen scheint das Eiland auch.
Willkommen, mein gewünschtes Ithaka!
Ein irrender Odysseus bin ich ja.
Viel kämpfen, edler Dulder, beide wir;
In andern Stücken gleich ich wenig dir
Und nicht im Eignen werd ich wohnen dort,
Ich bleibe Gast auf Erden immerfort.
Dir, Vielgewandter, ward ein besser Los,
Der du im Fabeln und im Lügen groß!
Auch ohne deine Göttin fahr ich hier...
Ein Kirchlein winkt herüber still zu mir
Und dort! Ein Mann erwartet mich am Strand.
Er grüßt. Den Priester kündet das Gewand.
Es ist der Arzt, den Zwingli mir verhieß...
Hier waltet Friede wie im Paradies!
Die Wache hält ein Eichbaum düsterkühn
Und färbt den kleinen Hafen dunkelgrün.
Der Ferge mäßigt seinen Ruderschwung
In breiter Abendschatten Dämmerung.
Mein Wirt, der Pfarrer, hat ein mild Gesicht,
Mit diesem Antlitz disputier ich nicht...
– »Die Hand, Herr Hutten! Tretet aus dem Kahn!
Ihr seid's. Das Falkenauge zeigt es an.«
Wes ist der Boden? – »Klostergut. Doch jetzt
Schier herrenlos; hier wohnt Ihr unverletzt.«
Wie stark ist, Pfarrer, die Besatzung hier?
– »Der Schaffner drüben, ich und, Ritter, Ihr.«
Du gibst mir Herberg unter deinem Dach?
– »Ihr habt in meinem Haus das Gastgemach.
Hier durch! Jetzt. Ritter, bückt Euch, tretet ein!
Die Tür ist niedrig, das Gemach ist klein;
Doch steht der Bau nach allen Seiten frei,
Ihr schlürfet Bergluft ein als Arzenei
Und schauet auf den hellsten See der Schweiz,
Blickt aus! Er ist nicht ohne Augenreiz.
Dem einen Ufer fern, dem andern nah,
Haust, Ritter, Ihr nicht allzu einsam da.
Macht's Euch bequem! Hier werdet Ihr gesund!«
Ich glaub's. So oder so! Wahr spricht dein Mund.
II
Die erste Nacht
Ich hört's im Traum und hör es noch erwacht:
Ein Glockenreigen wandert durch die Nacht.
Nicht Domesglocken sind es dumpf und schwer,
Des Schaffners Herde weidet um mich her.
Sie läutete vom nahen Wiesenrain
In die Gefilde meines Traums herein.
Mir träumte von der Ahnen Burg so schön,
Die auch umklungen wird von Herdgetön.
Vor zwanzig Jahren aus der Väter Haus
Zog ich mit leichtem Wanderbündel aus.
Ein redlich Stück von Arbeit ist getan,
Nun hebt das Herdeläuten wieder an.
Der Reigen, der die Wiege mir umfing,
Hallt wieder hell und schließt den Schicksalsring.
III
Huttens Hausrat
Ich schau mich um in meinem Kämmerlein
Und räume meine Siebensachen ein.
Ich gebe jedem seinen eignen Ort,
Die Klinge lehn ich in den Winkel dort.
Die Feder leg ich, meinen besten Stolz,
Auf diesen Tisch von rohem Tannenholz.
Mein ganzes knappes Hausgerät ist hier,
Mit Schwert und Feder half und riet ich mir.
In einer schwertgewohnten Hand begehrt
Die Feder ihre Fehde, wie das Schwert.
Erst flog sie wie der Pfeil in Feindes Heer,
Doch meine Feder wuchs und ward zum Speer!
Frohlockend stieß ich sie, ein tötend Erz,
Der Priesterlüge mitten durch das Herz.
Und Schwert und Feder, wenn mein Arm erschlafft,
Sind Huttens ganze Hinterlassenschaft.
Mein Schwert, das länger ich nicht führen kann,
Ergreifen mag's getrost ein andrer Mann –
Von keinem Finger werde sie berührt,
Die Feder, welche Huttens Hand geführt!
Die streitet fort. Sie streitet doppelt kühn,
Wann ich vermodert bin im Inselgrün.
IV
»Ritter, Tod und Teufel«
Weil etwas kahl mein Kämmerlein ich fand,
Sprach ich zum Pfarrer: Ziere mir die Wand.
– »Da meine Brief' und Helgen! Hutten, schaut,
Was Euch belustigt oder auferbaut!
Ergötzt Euch ›Ritter, Tod und Teufel‹1 hier?
Nehmt hin das Blatt! Der Ritter, Herr, seid Ihr.«
Das sagst du, Pfarrer, gut. Ich häng es auf
Und nagl es an mit meines Schwertes Knauf.
Dem garst'gen Paar, davor den Memmen graut,
Hab immerdar ich fest ins Aug geschaut.
Mit diesen beiden starken Knappen reit
Ich auf des Lebens Straßen allezeit,
Bis ich den einen zwing mit tapferm Sinn
Und von dem andern selbst bezwungen bin.
V
Konsultation
Gib deine Weisheit kund! Was ist der Schluß,
Mein Gastfreund, Seelenhirt und Medicus?
Berichtet hab ich dir, was ich vermocht,
Du hast mir lauschend an die Brust gepocht.
Wie steht's? Sag an! – »Herr Hutten, Eure Kraft
Erliegt dem Stoß der Herzensleidenschaft
Und Euer Geist, das scharfe Schwert, zerstört
Den Leib, die Scheide, die zum Schwert gehört.
Des Leibes strengstes Fasten tut es nicht,
Solang die Seele noch die Fasten bricht.
Beschränket Euch auf dieses Eiland hier!
Horcht nicht hinaus, horcht nicht hinüber mir!
Vergesset, Ritter, was die Welt bewegt
Und Euch in jeder Fiber aufgeregt!
In dieser Bucht erstirbt der Sturm der Zeit:
Vergesset, Hutten, daß Ihr Hutten seid!«
Für deinen weisen Ratschlag habe Dank!
Ich sehe schon, ich bin zum Sterben krank.
Wie? Wenn der Papst die Christenheit betrügt,
So ruf ich nicht: Der arge Römer lügt?
Wie? Wirft die Wahrheit auf ihr kühn Panier,
So jubl ich nicht auf meiner Insel hier?
Wie? Springt ein deutsches Heer in heißen Kampf,
So atm und schlürf ich nicht den Pulverdampf?
Wie? Sinkt der Sickingen, bedeckt mit Blut,
So brennt mich's nicht, wie eigner Wunde Glut?
Freund, was du mir verschreibst, ist wundervoll:
Nicht leben soll ich, wenn ich leben soll!
Das Buch der Vergangenheit
VI
Das Geflüster
Erinnrung plaudert leise hinter mir
Auf diesen stillen Inselpfaden hier.
Sie rauscht im Eichenlaub, im Buchenhag,
Am Ufer plätschert sie im Wellenschlag,
Und mag ich schreiten oder stille stehn,
So kann ich ihrem Flüstern nicht entgehn.
Da streck ich lieber gleich mich aus ins Gras!
Erinnrung, rede laut! Erzähle was!
Hier lagre dich, zeig dein Geschichtenbuch!
Und wir ergötzen uns an Bild und Spruch.
VII
Gloriola
Wir malten eine Sonnenuhr zum Spaß,
Als ich in Fuldas Klosterschule saß.
Ringsum ein Spruch gedankentief und fein
Und schlagend mußte nun ersonnen sein.
Herr Abbas sprach: »Zwei Worte sind gegönnt,
Ihr Schüler, sucht und eifert, ob ihr's könnt!«
Hell träumend ging ich um, mich mied der Schlaf,
Bis mich wie Blitzesstrahl das Rechte traf:
»Ultima latet.« Stund um Stunde zeigt
Die Uhr, die doch die letzte dir verschweigt.
Herr Abbas sprach: »Das hast du klug gemacht.
Es ist antik und christlich ist's gedacht.«
Manch Kränzlein hab ich später noch erjagt,
Wie dieses erste hat mir keins behagt;
Denn Süßres gibt es auf der Erde nicht
Als ersten Ruhmes zartes Morgenlicht.
VIII
Der Stoff
Als ich von hoher Schule Weisheit troff,
Bat ich die Muse: Jungfrau, gib mir Stoff.
»Wohlan, Herr Ritter«, sagte sie, »bedenkt,
Ob etwa jemand Euch das Herz gekränkt?«
Ich sprach: Die Lötze schenkten mir Gewand
Und nahmen's wieder mir mit Räuberhand.
Zornmütiger Querelen zweimal zehn
Ließ gegen Sohn und Vater ich ergehn.
Was, Muse, nun? Gib Stoff! Hilf ab der Not!
Sie sang: »In Schwaben rinnt ein Bächlein rot.«
Da rannt ich wütend Herzog Ulrich an,
Der Vetter Hansen schimpflich abgetan.
Und wieder sprach ich zu der Muse nun:
Ich bin der starke Knecht. Frau, gib zu tun!
Sie lachte. »Ritter, mäßigt Euren Sturm!
Sonst singt Ihr um den Steckelbergerturm.«
Gib, Muse, Stoff! Erhöre mein Gesuch!
Gib Stoff! Ein starkes, dauerhaftes Tuch!
»Ein sächsisch Mönchlein aus der Kutte schloff.
Da, Ritter, habt Ihr einen guten Stoff!«
IX
Epistolae obscurorum virorum
Wir scharten uns zu lust'gem Mummenschanz,
Kapuzen über vollem Lockenkranz!
Wir trugen Pfaffenlarven heuchlerisch
Und blitzten draus mit Augen jugendfrisch.
Wir schlurften tappig mit Sandalentritt,
Wir äfften nach bis auf der Kutte Schnitt.
Gründlich studierten wir beim Becherklang
Der Mönchlein närrischen Gedankengang.
Die Dummheit haben wir mit Witz verziert,
Die Torheit mit Sentenzen ausstaffiert!
Wir haben sie zum Spott der Welt gemacht,
Wir haben uns und sie zu Tod gelacht!
Zu Tode? Nein. Wir haben sie geweiht
Aristophanischer Unsterblichkeit.
Schleiferius! Caprimulgius! Ochsenhorn!
Schlaraff! Der saubre Täufling Pfefferkorn!
Wir brachen keck in ihre Zellen ein
Und hausten schlimm in ihrem Bücherschrein.
Wir sprachen ihr Latein – ergötzlich Spiel –
Und Briefe schrieben wir im Klosterstil:
»Laetificor archiangelice
Cum una speciosa virgine!«
Hellauf! Der Narrenglöcklein schriller Schall!
Und heißa, hussa, Jagd und Peitschenknall!
Die Pfaffen sprangen über Stock und Stein,
Der Esel bockte, grunzend lief das Schwein.
Du Fest der jugendlichen Grausamkeit,
Verklungen bist du längst! Streng ward die Zeit.
Als wir im losen Mummenschanz getobt,
Da hat man unsres Witzes Salz gelobt;
Doch als die Wahrheit wir im Ernst gesagt,
Da wurden wir, die Jäger, selbst gejagt.
Wir irren heimatlos, geächtet, arm
Und essen fremdes Brot in Not und Harm.
Die Pfäfflein, denen unsre Hetze galt,
Sie tafeln alle noch gesund und alt.
Die Mönchlein, die wir kniffen bis aufs Blut,
Sie bechern alle wieder wohlgemut;
Und schneidet eines apfelschälend sich
Und quillt ein Tropfen Bluts bescheidentlich,
So stöhnt es: »Würd'ge Brüder, schauet hier!
Das blut'ge Märtertum erleiden wir!«
X
Der Vetter Hans
Ein schöner Mensch, mit dem das Glück gedahlt,
Hat dunklem Schicksal schweren Zoll bezahlt.
Fortunens Liebling war der Vetter Hans,
Der mich an Lebenskraft verdunkelt ganz.
Oft dacht ich, dem die Wange früh gebleicht:
In einem solchen Körper lebt sich's leicht!
Das Haupt mit dem gepflegten Bart, er trug's
Siegreich und war von schlankem Edelwuchs.
Er ritt und focht und tanzte meisterhaft,
War aller Fraun und Mädchen Leidenschaft.
Er freite flink. Das junge Weib gefiel
Dem Herzog und der Teufel trat ins Spiel.
Der Herzog sank vor Vetter Hans aufs Knie:
»Dein Weib! Nicht leben kann ich ohne sie!«
Das fand der Vetter Hans ein komisch Wort
Und er bespottet's weidlich hier und dort:
»Der Herzog wendet an den Rechten sich!
Den Mann ums Weib zu bitten! Lächerlich.«
Das Lachen ward dem Herzog hinterbracht
Und Vetter Hans hat sich zu Tod gelacht.
XI
Der Ritter ohne Furcht und Tadel
Als in Pavia ich studierte, ward
Mir dort gezeigt der tapfre Held Bayard.
Der »Ritter ohne Furcht«, der nie geflohn,
Befehligte die welsche Garnison.
Nach längst verschollnen Moden trug er sich,
Er und sein Knappe schritten feierlich.
Die abgekommne Cortesie erhob
Er hoch und seufzt': »Das junge Volk ist grob!«
Entgegen hielt den Spiegel zücht'ger Zeit
Er unsrer heut'gen Ungebundenheit.
Zu Grabe werde, gab er zu verstehn,
Mit ihm der letzte wahre Ritter gehn.
Lang, hager, würdevoll, galant mit Fraun,
Dabei ein bißchen komisch anzuschaun,
Hob er den Zeigefinger, wann er schalt,
Als eine unvergleichliche Gestalt.
Man grüßte tief und raunte sich ins Ohr,
Der »Ritter ohne Tadel« sei ein Tor.
Doch, daß ich sein gespottet, reut mich schwer;
Denn, Hutten, bist du nicht ein Tor wie er?
Ins Abendgold hat er zurückgeschaut –
Dein Auge späht, wo kaum der Morgen graut.
Dein Ohr vernimmt durch Nebel und durch Nacht
Den Siegesjubel einer künft'gen Schlacht.
Wie Mittagsglut hast du den Strahl verspürt,
Der kaum der Berge Spitzen noch berührt.
Bayard sah das Entschwundene verschönt,
Bayard, den du mit manchem Witz verhöhnt!
Er war ein Narr der eignen Phantasie
Die Zukunft aber, Hutten, kennst du die?
Wer weiß, erlebst du noch die neue Welt,
Ob sie dem fränk'schen Edelblut gefällt!
Wer weiß, ob nicht das Ziel, drob du verscherzt
Der Erde Güter, ist's erreicht, dich schmerzt?
Bayard, der ohne Furcht und Tadel war,
Vergib! Reich mir die Hand! Wir sind ein Paar.
Wir sind ein fahrend Ritterpaar, Bayard,
Und taugen beide nicht zur Gegenwart.
XII
Romfahrt
Erwerben wollt ich fremder Muse Gunst,
Den edlen Kranz der alten Redekunst.
Latein gedrechselt hab ich manches Jahr
Und ein Latein, das schlank und zierlich war.
Nun blieb mir die Rotunde noch zu sehn,
Als Pilger auf das Kapitol zu gehn.
Am Wege traf ich manchen Lorbeerstrauch
Und Myrtenbusch und manchen Fladen auch.
Gewölk und schneid'ger Wind und Tannenduft
Bekommt mir besser als die welsche Luft.
Die Trümmer sah ich alter Römerpracht
Zur Festung dienen einer Priestermacht.
Entartet und verheuchelt sah ich da
Den Kopf des Claudiers und der Claudia.
Ich sah ein Weib, das mit sich handeln ließ,
Die man die »allgemeine Kirche« hieß.
Ich fand von feiler Schreiberschar entweiht
Die ciceronische Beredsamkeit.
Ich sah, wie man in dieser Pfaffenstadt
Uns ohne große Kunst zum Narren hat,
Sah unsrer Väter Glauben in der Hand
Ungläub'ger Priester als ein Gängelband.
Sag ich es kurz und klassisch, was ich sah
Am Tiberstrom? Cloaca maxima!
Mich freute Tempel nicht, noch Monument.
Mein Volk verachtet sehn! Das würgt und brennt!
Mir den Geschmack zu bilden hofft ich dort
Und bitter war der Mund mir immerfort.
Mir gor das Blut, die Galle regte sich,
Ich sprach: Jetzt, Hutten, schilt! sonst tötet's dich.
Vor Petri neuem Tempel höhnt ich laut:
Der Simon hat's mit unserm Geld gebaut!
Was soll die übermüt'ge Pfarre da
Mit Zinne, Portikus und Statua?
Wir wissen es, wer hier zu Miete saß:
Der unverschämten Hölle frechster Spaß!
Der Stier im Wappen sagt: Hie hat gehaust
Der Borgia Lust, davor's dem Teufel graust!
Der zehnte Leo nun verkauft den Geist,
Der über seinem roten Käppchen kreist!
Du malest, Raffael, zu seinem Glanz?
Freund! Mal ihm einen dreisten Totentanz,
Damit der Unfehlbare nicht vergißt,
Daß er, wie wir, ein armer Sünder ist.
Ich ging. Mit einem derben Kohlenstrich
Beschrieb des Vatikanes Mauer ich:
»In diesen tausend Kammern thront der Trug!
Ein Deutscher kam nach Rom und wurde klug.«
XIII
Die Ablaßbude
Und, sieh, da wälzte sich das Rad der Zeit,
Wir traten mit der welschen Macht in Streit.
Ich schrie: Ihr Männer, geht mir an die Hand:
Des Papstes Ablaßbude wird berannt!
Erkaufen Gold und Silber Seelenheil,
So steht es bald auf allen Märkten feil.
Die Ware wird von jung und alt gesucht
Und nur der arme Schlucker bleibt verflucht.
Die Tasche wende jeder! Ist sie leer,
So trete keck in unser Lager er!
Das rat ich dir, du heilsbedürft'ger Mann,
Der keinen Ablaßzettel lösen kann!
Wir greifen nach dem Himmel unverwehrt!
Uns wird die Seligkeit umsonst beschert!
Ich sprach ein rauhes Deutsch in Hast und Zorn,
Es dröhnte wie vom Turm das Wächterhorn.
Antwort erscholl wie Sturm und Meergebraus:
»Herr Hutten, fasset an und räumet aus!«
XIV
Lügengeister
Der Zaubrer Faust erschien am Hof zu Mainz,
Er liebt der Kardinäle Purpur, scheint's.
Verhangen ward ein Saal und blaß erhellt
Für die Besuche der Gespensterwelt.
Der Kurfürst setzte sich. Ihm stand ich links.
Der bleiche Magier harrte seines Winks.
Natürlich ging die erste Frage da
Nach der erlauschten Bübin Helena.
Er rief der Leda Kind. Es zeigte sich
Ein blanker Fuß und tanzte wunderlich.
Das leere Gaukelspiel, das mich verdroß,
Entzückte den vernarrten Pfaffentroß.
Was schiert die Metze mich? Herr Nekromant,
Seid Ihr mit edlern Toten nicht bekannt?
– »Wen fordert Ihr?« Den Kaiser Konstantin!
Er rief. Ein Purpurtragender erschien.
Ich frage Majestät, ob ihr gedenkt,
Daß sie dem Papst die ew'ge Stadt geschenkt?
»Ja«, nickte das Gespenst. Wie? Wo? und wann?
Ein Märchen ist's, das Eigennutz ersann!
Es ist Betrug und das beweis ich stramm
Mit scharfer Kunst, die nennt man Criticam.
Du bist ein Pfaffengeist! Zur Hölle fort!
Der Lügenkaiser schwand vor meinem Wort.
XV
Das Hütlein
Es war in Brüssel vor dem Ständehaus.
Die Sage ging: »Der Kaiser reitet aus!«
Noch hatt ich nie das junge Haupt geschaut,
Dem wir des Reiches höchstes Amt vertraut.
Ein edles Roß ist unsre Zeit. Es stampft.
Es wiehert mutig. Seine Nüster dampft.
Ob er die Zügel klug und kühn ergreift?
Ob er's bewältigt? Ob's ihn wirft und schleift?
Da wir Poeten abergläubisch sind,
Erdacht ich ein Orakel mir geschwind:
Für diesen Kaiser gelte fort und fort
Das erste seinem Mund entfallne Wort!
Er kam. Ein Hütlein trug er, meiner Treu,
Mit Reiherfedern, funkelnagelneu!
Der Himmel macht' ein mißvergnügt Gesicht,
Sich selber fragend: Regn ich oder nicht?
Jetzt klatschten Tropfen auf das Pflaster schwer,
Die junge Stirne legt' in Falten er
Und lugte sorgend zu den Wolken auf.
»Mein altes Hütlein!« rief er, »Kämmrer, lauf!«
Ich aber sprach zu mir: Das wird nicht gut!
Sein erster Ruf geht nach dem alten Hut.
XVI
Das Kindlein in Mainz
O Mainz, du lust'ger Sitz, du traute Stadt,
Die Huttens Feder oft belobet hat!
Der Mainzer Albrecht war mir redlich hold
Und bot mir manchen Trunk in purem Gold.
Er lauschte meinen kühnen Scherzen gern,
Ich nannt ihn meinen Freund und meinen Herrn.
Ich spottete vor seinem Ohre dreist,
Er zürnte nicht, er ist ein freier Geist;
Doch in der Stunde der Versuchung, ach,
Der Geist war willig und das Fleisch war schwach.
Ihm hielt ich Treue, bis er mich verstieß.
Wo lebt der Freund, den Hutten je verließ?
Die Kanzelei von Rom schrieb Brief um Brief,
Bis mich der Albrecht nicht mehr zu sich rief.
Geächtet wurde Luther und gebannt...
Ich lebte von der Faust und streift im Land.
Ein treuer Rüde, stahl ich wieder hin
Zum Mainzer mich und still umschlich ich ihn.
Ich blickt ihm ins Gemach; er saß beim Mahl,
Landfremden Pfaffen bot er den Pokal.
Gemunkel ging: mit Luther sei's vorbei,
Der eingetan und aufgehoben sei.
Die langen welschen Nasen nickten fein
Und freuten sich an ihren Schelmerein.
Er lächelte! Mir gab es einen Stich –
Mein Edelfalke, Gott behüte dich!
Ade, mein Albrecht, mein verlorner Hort!..
Ich schlich betrübt mich in die Krone fort,
Wo einst bei Becherklang ich manche Nacht
Mit witzigen Gesellen durchgelacht.
Hier setzt ich mich zu einem Kruge Bier,
Des Wirtes Kind gesellte sich zu mir.
Das Mägdlein, mein ich, stand im vierten Jahr,
Ich fuhr ihm durch das blonde Ringelhaar:
Sag mir dein Nachtgebetlein, wie du's weißt!
Das Kind hub an: »Gott Vater, Sohn und Geist,
Dein Name sei gelobt! Hüt uns vor drei:
Vor Wassernot und Brand und Kriegsgeschrei!«
Den Schiffern gnade Du in Nacht und Sturm!
Sei Bruder Martins Burg und fester Turm!
Umschleicht ihn mit dem Dolch ein Mörder wild,
So deck ihn, Herr, mit Deinem starken Schild!
Und leidet Dein Gerechter Hungersnot,
So schick ihm Du durch Deine Raben Brot!
Wer lehrte dich, mein Kindlein, dies Gebet?
– »Die Mutter heißt mich's beten früh und spät.«
Nun mein ich aber, daß kein Leid geschieht
Dem Mann, für den in Mainz ein Kindlein kniet.
XVII
Die Mainzerspieße
Sie machten mir ein Kämmerlein bereit,
Doch mied der Schlaf mich drinnen lange Zeit.
Ich hörte, wie das Pflaster dumpf erklang:
Die Mainzer Scharwach schritt mit schwerem Gang.
Mich heimelt's aus den alten Zeiten an,
Denn oft mit diesem Heer gedieh mir Span,
Wann nächtlich ich, vom Humpen übermocht,
Mit ihnen auf der Gasse klirrend focht.
Versuchte Männer sind's von Schluck und Hand,
Geworben rings in Hoch- und Niederland.
Ich lauscht im Finstern heiter und mir schien:
Die Spieße sangen etwas vor sich hin.
Ein alter Bierbaß sang gemütlich vor
Und zehen Bässe brummten nach im Chor:
»Das reine Wort sie sollen lassen stan
Und dafür keinen Dank noch Löhnung han.
Gerichtet ist der Fürste dieser Welt,
Uns tut er nichts, wie saur er auch sich stellt –«
Ich, von den Mainzerspießen auferbaut,
Sang mit in meiner dunkeln Kammer laut:
»Drum fürchten wir uns wahrlich nicht zu sehr,
Denn unser Gott ist eine starke Wehr.«
XVIII
Die Gebärde
's war in der Krone, daß mich einer fand,
Der mich in meinem ersten Flaum gekannt.
Der Ott von Gemmingen. Er drückte sich
Durch das Gelag und rückte neben mich.
»He da! Utz! Lieber Utz! Was ward aus dir?
Bist du am Hof von Mainz ein großes Tier?
Bist Doctor juris utriusque du?
Des Kaisers Schreiber oder Rat dazu?
Nein? Nun, was bist du denn? Des Hofgerichts?«
Ich aber sagte trocken: Ich bin nichts.
Jetzt mustert' er mein ausgedient Gewand,
Die hohlen Wangen auch, die magre Hand.
»Eins bist du: Siech! Das redet dein Gesicht!«
Ich glaubte mich geheilt und bin es nicht.
Da streckt' den Finger er und zog damit
Sich sauber um die Gurgel einen Schnitt.
Du rätst...? Er nickte. Drob hab ich gelacht.
Dann hab ich der Gebärde nachgedacht.
Unleidlich scheint dem frohen Kind der Welt
Dein Dasein, Hutten – drum verbrauch's als Held!
Wovor des kühnsten Mannes Busen zagt,
Das sei von dir in freier Lust gewagt!
XIX
Mißverständnis
Der Vater sprach zu mir mit leisem Hohn:
»Verstehst du's, bau mir eine Presse, Sohn!«
(Sie nennen Presse dort im Frankenland,
Was andern Ortes Kelter wird benannt.)
Sprach's und verritt. Ich ohne viel Geschrei
Berief die Meister schwarzer Kunst herbei.
Da ward gesetzt, gedruckt, gepreßt, gedreht,
Viel tausend Blätter flogen rings verweht.
Auf einem ward dem Cajetan gedroht:
»Schlagt, fromme Leute, den Legaten tot!«
Hier stand: »Und würd ich drüber Lands verjagt,
Ich Hutten breche durch, ich hab's gewagt!«
Und dort: »Die harsche Luft der Freiheit weht,
Ich Hutten sporn und stachle früh und spät.«
Das war ein heißer und ein zorn'ger Wein,
Den ich gepreßt am Steckelbergerrain.
XX
Jacta est alea
Nachdem ich meinen großen Wurf getan,
Da hub der Vater mich zu schelten an:
»Du trittst mit Rom in Fehde? Bist du toll?
Mich wundert's, Ulrich, wie das enden soll!
Poet war schlimm und klingt erbärmlich schon,
Doch Ketzer ist noch weit ein schlimmrer Ton!
Erlebt ich's nicht! Ein Sohn in Bann und Acht,
Der meinen grauen Haaren Schande macht!
So, Ulrich, mehrst du deines Stammes Glanz?
Jetzt gehst du halb zerlumpt, bald bist du's ganz!
Was kümmert dich, ob unser Haus zerfällt?
Was kümmert irgend noch dich auf der Welt?
Wenn nur in Holzschnitt du und Kupferstich
Den Lorbeer trägst – was anders kümmert dich?
Du lächelst? Du verziehst den Mund zum Scherz?
Ich wußt es nicht: du hast ein schlechtes Herz.«
Der Vater sprach's und blickte finster drein,
Mit Tränen bat das fromme Mütterlein:
»Mein süßer Ulrich, laß das böse Spiel!«
Ich gab zur Antwort: Nein! Der Würfel fiel.
Mein Mütterlein, behalt mich lieb und gern!
Bleib du mir milde wie der Abendstern!
Du kränkst mich, Vater, nicht, so herb du bist!
Hier schlägt ein Herz, das guter Meinung ist.
Beleidigt dich mein abgebraucht Gewand,
So laß mich treten aus des Hauses Band!
Ich sei ein Fremdling dir! Du bleibst in Ruh,
Mein Gut, du teilst es meinen Brüdern zu.
Und ärgre, Vater, dich am Lorbeer nicht,
Der nur im Bildnis mir die Stirn umflicht!
Ich selber trage sonder Prunk und Glanz
Im Leben einen schlichten Dornenkranz.
Wozu der Lorbeer? Das hat keinen Sinn.
Ein jeder weiß, daß ich der Hutten bin,
Den weder Zeit noch Tod noch Acht noch Bann
Vom Herzen seines Volkes scheiden kann!
Burg Steckelberg, die von der Höhe schaut,
Von Frankens schönen Hügeln rings umblaut,
Die Brücke nieder! öffne mir dein Tor!
Ich reit aus dir zum letztenmal hervor.
Blas, Türmer, blas mir noch ein tapfer Stück!
Ich fahr in Kampf und kehre nicht zurück.
XXI
Der Edelstein
Als ich gen Zürich ritt im Abendschein,
Da rief ich aus: »Du schmucker Edelstein!«
Bei Meister Zwingli lebte man nicht schlecht,
Er deckte mir den Tisch mit einem Hecht.
Den hab ich auf der Brücke dann verdaut,
Lustwandelnd nahes Schneegebirg geschaut –
Da sah ich einen unterm Volke gehn,
Von dessen Hute Geierfedern wehn.
Dem bog ich fluchend aus dem Wege schnell,
Denn Herzog Ulrich war's, der Mordgesell!
O blaue Flut, o freier Bergeshauch,
Gibst ein Asyl du dem Tyrannen auch?
XXII
Der Komtur
Als ich entlang das helle Seegestad
Nach Pfäffers ritt ins heiße Felsenbad,
Wo man in Unterwelt und Wellenguß
An schwankem Seile niederschweben muß,
Wo keck zur Hölle fahren Mann und Weib
Und wiederkehren mit geheiltem Leib –
Fand ich in Küsnach gastlich Nachtquartier
Und scherzend sagte der Komtur zu mir:
»Braucht Ihr Moneten? Tuet nicht verschämt!
Der Pächter brachte zwanzig Gulden. Nehmt!
Werft keinen nieder! Hier ist's unerlaubt. Nehmt!
Und Ihr habet bloß den Staat beraubt!
Mein teurer Ritter, nehmet ungeziert!
Wir werden morgen säkularisiert
Und lieber als dem Staat, der alles frißt,
Gönn Euch ich's, der ein Mensch und Würfler ist.«
Ich strich es ein und schwang mich in den Sitz
Und lachte: Herr Komtur, Ihr habet Witz.
Und weiter oben, wo sich biegt der See
Und nah und näher tritt der ew'ge Schnee,
Bespiegelt' in der Flut ein Eiland sich,
Daran ich leichten Sinns vorüberstrich.
Ich ließ es rechts im flücht'gen Wellenspiel
Und ahnte nicht mein letztes Wanderziel.
Einsamkeit
XXIII
Die Flut
In meine Kammer blickt das blaue Licht
Der nahen Flut. Ich widerstehe nicht.
Die Mittagssonne rüstet mir das Bad,
Ich schleiche mich verstohlen ans Gestad.
Ich hab es eilig. Wär mein Pfleger hier,
Mich hieß' er Waghals und verwehrt' es mir.
Zum Strande nieder führt mich diese Schlucht
Und krause Wellchen plätschern in der Bucht.
Hinaus! Hinaus! Du abgrundkühle Flut,
Wie tust du meinem heißen Herzen gut.
Mit blauen Bannern ziehst du weit heran
Und immer neue Heere seh ich nahn.
Die Reihen schlagen mit gelindem Prall
Mir an die Brust und brechen sich am Wall.
Noch lob ich meiner Arme Schwung und Zug –
Nur etwas sachter – eben Kraft genug.
Die Kunst des Knaben hab ich nicht verlernt,
Doch sind die Ufer weiter hier entfernt.
Ich schlug als Kind in übermüt'ger Lust
Den sanften Main und trat ihn auf die Brust.
Da hab ich unter mir zu sehn geglaubt
Ein schilfbekränztes, göttlich mildes Haupt.
Es war mir immer nur zu nah das Land,
Mich warf der Flußgott scherzend auf den Sand.
Was einst des Knaben Spiel und Freude war,
Wird nun dem Mann zur Arbeit und Gefahr.
Er weiß es, wenn er ringt und wenn er strebt,
Daß er auf einer Todestiefe schwebt!
XXIV
Was die Glocken sagen
Heut geht am See ein endlos Glockenspiel,
Mir scheint, die taufen und begraben viel.
Wann Menschenblut in neuen Adern kreist,
Erneuert sich der träge Menschengeist.
Das Glöcklein sagt, das dort so kläglich schallt:
Ein Päpstler steigt ins Grab vergilbt und alt.
Das Glöcklein sagt, das hier so lustig schellt:
Es kam ein kleiner Protestant zur Welt.
XXV
Astrologie
Ihr lieben Sterne tröstet allezeit,
Wer dächte, daß ihr arge Zwingherrn seid!
Ihr seid's! Als sich die Erde mir erhellt,
Ward mir ein widrig Horoskop gestellt.
Weil, als ich kam, der Widder just geglüht,
Bin ich von unverträglichem Gemüt.
Ein flackernd Himmelsirrlicht trägt die Schuld
An meiner Wanderlust und Ungeduld.
Gewissen, lasse fürder mich in Ruh!
Den Sternen schreib ich meine Sünden zu.
Doch überleg es, Hutten! Dreimal nein!
Ein Sklave willst du nie gewesen sein.
Du bist ein Feind von jeder Tyrannei
Und deine Sünden auch begingst du frei!
XXVI
Homo sum
Ich halte Leib und Geist in strenger Zucht
Und werde doch vom Teufel scharf versucht.
Ich möchte meiner Seele Seligkeit
Und bin mit Petri Schlüsselamt im Streit.
Am Tisch der Fugger speist ich dort und hie
Und schimpfe weidlich Pfeffersäcke sie.
Den Städterhochmut haßt ich allezeit
Und hätte gern ein städtisch Kind gefreit.
Auf ehrenfeste Sitten geb ich viel
Und fröne dem verdammten Würfelspiel.
Ich bin des Kaisers treuster Untertan
Und riet dem Sickingen Empörung an.
Das plumpe Recht der Faust ist mir verhaßt
Und selber hab ich wohl am Weg gepaßt.
Ich bete christlich, daß es Friede sei,
Und mich ergötzen Krieg und Kriegsgeschrei.
Der Heiland weidet alle Völker gleich –
Nur meinen Deutschen gönn ich Ruhm und Reich!
Das heißt: ich bin kein ausgeklügelt Buch,
Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch.
XXVII
Ariost
Die Feder leg ich weg. Heut ist ein Tag,
Da keine Zeile mir geraten mag!
Wie wend ich ab der Langenweile Fluch?
Ein Buch, Herr Pfarrer! Ein ergötzlich Buch!
– »Zu Dienst, Herr Ritter! Wenn Ihr Welsch versteht?«
Ich konnt es einst und meine noch, es geht.
Woher das Buch? – »Ein welscher Architekt
Las drinnen hier und hat's nicht eingesteckt.«
Roland in Furie.
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