»Mundus explicatus! Das gelöste Welträtsel oder der durchhaune gordische Knoten!« Ich weiß, Onkelchen, ich weiß!
ONKEL LUDWIG durch diese offenbare »Unbotmäßigkeit« erbittert; sich mehr und mehr wieder in Eifer schwatzend. Nichts weißte! Das war damals bloß meine Habilitationsschrift, die mir der Hohlkopf, dein seliger Herr Großvater ...
MARIANNE achselzuckend; seine Redseligkeit unterbrechend. »Hohlkopf!« Du hast mir ... mehr als einmal selbst ...
ONKEL LUDWIG das ihm beanstandete Wort seiner Gewohnheit gemäß, mit noch größerem Nachdruck wieder ergreifend; von seinem gefällten Urteil jetzt noch überzeugter. Die mir der Hohlkopf, dein seliger Herr Großvater, mein ehmaliger Hauslehrer, nachdem er sich hier ins warme Nest gesetzt und durch das angeheiratete Geld meines verstorbnen, armen Vaters zu staatlich sanktioniertem, amtlichem Rang und Nimbus gekommen war, mit seiner übrigen Zunftbruderschaft, die er natürlich dazu bestempelt hatte, abgelehnt hat!
MARIANNE die diese alte Beschwerde bereits kennt. Du willst doch damit nicht sagen ...
ONKEL LUDWIG der sie nicht ausreden läßt. Nichts will ich damit sagen! Als was ich dir schon oft gesagt, und was ich dir immer wieder sagen werde! Daß n königlich preußischer Armeelieferant, der mit seiner ersten Frau, trotzdem se keine Kinder gehabt ... oder vielmehr vielleicht grade, weil se keine gehabt ... was man so nennt, »glücklich« gewesen war, nicht die Erzdummheit hätte begehn sollen, sich mit schon halb kahl gewordnem Schädelbein, nachdem er die Nummer eins sozusagen optima forma auf dem regulär üblichen Wege unverdient los geworden war, nu auch noch ne zweite auf n Hals zu laden! Zumal, wenn diese zweite so praeter propter vierzig Jahre jünger war, als er, und ihre anmutige Erziehung nicht in irgendeinem tugendsamen Fräuleinsinstitut, sondern beim hiesigen ... Kurzes fernes Radfahrersignal. Berliner Corps de ballet genossen!
MARIANNE die seinen Wortschwall mit Geduld ertragen; gegen die mehr als eigentümliche Form seines rabiaten Schlußverdikts, sich jetzt aber doch auflehnend. Was konnte Großmutter dafür, wenn sie als arme Tochter eines bürgerlichen Offiziers ...
ONKEL LUDWIG verächtlich-wegwerfend; als ob ihm so was nicht imponieren könne. »Offiziers«!
MARIANNE ihre Verteidigung fortsetzend; in ihrem selben Satz weiter. Der sein Leben in den Befreiungskriegen gelassen ...
ONKEL LUDWIG sie wieder brüsk unterbrechend; noch ungenierter. Man heiratet nicht aus Liebe mit siebzehn einen alt gewordnen Geldsack, der außer damals drei Millionen und sieben Zahnlücken ...
MARIANNE die kaum ihren Ohren traut. Du sprichst ... von deinem leiblichen ...
ONKEL LUDWIG mit erhobner Stimme; sie znrechtstupsend. Ich spreche von der Dame, verwitwete Brodersen, emeritierte Tänzerin, die noch keine zehn Monate nach dem Hinscheiden meines Vaters ...
MARIANNE ironisch, bitter. Dem du ein dankbar Andenken ...
ONKEL LUDWIG auch dadurch wieder noch keineswegs, auch nur um einen Millimeter, aus seinem Konzept gebracht. Dem ich ein dankbares Andenken ... du kannst kakeln, was du willst ... nie verweigern werde ...
MARIANNE nickend-amüsiert. Wie das Exempel ...
ONKEL LUDWIG von der absoluten Richtigkeit seiner vorgebrachten Behauptung aufs tiefste überzeugt; fast grob; die letzte »Syllaba« schon mehr im Posaunenton. Wie das Exempel beweist!!
MARIANNE da sie weiß, daß sich gegen diesen Ton bei ihm nicht ankämpfen läßt. M! ... Sarkastisch. Also du sprichst von der »Dame« ...
ONKEL LUDWIG erst jetzt seinen ganzen und, wie er glaubt, höchst gerechten Zorn in dies Schlußwort packend; mit von neuem und abermals erhobner Stimme. Von der Dame, die als kaum eben erst fröhlich Hinterbliebne, mit stark dreiunddreißig, deinen um mehr wie sieben Jahre als sie selbst jüngeren Großvater geehelicht hat!
MARIANNE ihn, ganz verwundert, groß anblickend. War das ... ein Verbrechen?
ONKEL LUDWIG mit Emphase ausholend; in ungeheuerlichster Naivität; argloser und unschuldiger als ein neugebornes Kind.
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