Hier stand ich vor einer jener Katastrophen, an denen der Westen so reich ist und welche seinen Gestalten und Ereignissen jenen energischen Charakter geben, durch welchen sie sich kräftig auszeichnen. Natürlich hatte ich kein Recht, weiter zu fragen, aber das Verlangen nach weiterem mußte sich deutlich in meinen Mienen aussprechen; denn er fuhr nach einer Pause fort:
„Laßt die Vergangenheit ruhen, Mann. Wollte ich von ihr sprechen, wahrhaftig, Ihr wäret trotz Eurer Jugend der einzige, zu dem ich es täte; denn ich habe Euch lieb gewonnen in der kurzen Zeit, die wir nun beisammen sind.“
„Danke, Sir! Kann Euch offen sagen, daß auch ich nicht ganz empfindungslos bin.“
„Weiß es, weiß es; Ihr habt's ja reichlich bewiesen, und ohne Eure Hilfe wäre ich in jener Nacht verloren gewesen. Ich hatte in der Hitze, in welche mich der Anblick Tim Finneteys brachte, Eure Spur, welcher ich nicht schnell genug folgen konnte, weil mir vor kurzer Zeit ein Pfeil durchs Bein gedrungen ist, aus dem Auge gelassen und geriet, nur mit dem Messer bewaffnet, zwischen eine Truppe der herumschleichenden Ogellallahs, der sich dann noch diejenigen zugesellten, welchen Ihr mit den Pferden davongegangen wart. Ich hatte einen teufelsmäßig harten Stand und blutete wie ein lahmgeschossener Büffel, als Ihr endlich kamt.“
„Das muß gesagt sein, Sir, einer anderen Mutter Sohn wäre in Eurer Lage der Mut in die Beine gefahren, und an der Ehre, lebendig davonzukommen, hätte er vollkommen genug gehabt.“
„Pah, es hat noch nie eine Rothaut sagen können daß Old Firehand ihr den Rücken gekehrt habe. Es war nur ärgerlich, daß ich meine Rechnung mit Tim Finnetey nicht selbst ausgleichen konnte, und ich gäbe auf der Stelle diese meine Hand darum, wenn es mir vergönnt gewesen wäre, dem Halunken mein eigenes Eisen zu schmecken zu geben.“
Bei diesen Worten zuckte eine ingrimmige Erbitterung über das sonst so ruhige und offene Gesicht des Sprechenden, und wie er mit wutblitzenden Augen und festgeballten Fäusten mir gegenüber lag, konnte ich nicht anders denken, als daß die erwähnte Rechnung mit diesem Parranoh oder Finnetey eine ganz außerordentliche gewesen sein müsse.
Ich gestehe gern, daß meine Wißbegierde immer größer wurde, und bei jedem anderen an meiner Stelle wäre es ebenso gewesen; aber ich mußte mich gedulden, was mir auch gar nicht schwerfiel, da ich von der Zukunft ganz sichere Aufklärung erwarten konnte.
Als ich ihn in der Nacht des Überfalls mit Winnetou aufsuchte, fanden wir ihn im Kampf mit einer überlegenen Anzahl Indsmen, und die dabei erhaltenen Wunden hätten bei dem Mangel an Pflege in der Prärie in kurzer Zeit seinen Tod herbeigeführt. Glücklicherweise aber bot sich uns in dem anwesenden Bahnzug ein willkommenes Rettungsmittel, und mit Freude folgten wir der vom Ingenieur ausgesprochenen Einladung, bis an den nächsten und zugleich auch am weitesten vorgeschobenen Verwaltungspunkt der damals noch im Bau begriffenen Bahn mitzufahren und dort die Genesung des Verwundeten abzuwarten.
Diese Genesung war schneller vorgeschritten, als wir erwartet hatten, und so brachen wir nach verhältnismäßig kurzer Zeit auf, um unsere unterbrochene Wanderung fortzusetzen und zunächst durch das Land der Rapahos und Pawnees bis an den Mankizila vorzudringen, an dessen Ufer Old Firehand seine ‚Festung‘ hatte, wie er sich ausdrückte, die wir vielleicht in kurzer Zeit erreichen konnten, da wir schon vorgestern den Kehupahan überschwommen hatten. –
Dort wollten wir einige Tage Rast halten und dann über Dakota und die Hundeprärie die Seen zu gewinnen suchen. Während dieses Aufenthaltes bot sich hoffentlich Gelegenheit, einen Einblick in die Vergangenheit Old Firehands zu tun, und so verharrte ich jetzt schweigend in meiner Stellung, die ich nur zuweilen veränderte, um das Feuer zu schüren und ihm neue Nahrung zu geben.
Bei einer dieser Bewegungen funkelte der an meinem Finger steckende Ring im Strahl der Flamme. Old Firehands scharfes Auge hatte trotz der Schnelligkeit dieses Leuchtens den kleinen, goldenen Gegenstand genau erfaßt, und er fuhr mit betretener Miene aus seiner bequemen Lage empor.
„Was ist das für ein Ring, den Ihr hier tragt, Sir?“
„Es ist das Andenken an eine der schrecklichsten Stunden meines Lebens.“
„Wollt Ihr ihn mir einmal zur Betrachtung geben?“
Ich erfüllte seinen Wunsch. Mit sichtbarer Hast griff er zu, und kaum hatte er einen näheren Blick auf den Ring geworfen, so erklang die Frage:
„Von wem habt Ihr ihn?“
Es war eine unbeschreibliche Aufregung, die sich seiner bemächtigt hatte, und auf meine Antwort:
„Ich erhielt ihn von einer jungen Dame in New Venango“, stieß er hervor:
„In New Venango? Wart Ihr bei Forster? Habt Ihr Ellen gesehen? Ihr spracht von einer schrecklichen Stunde, von einem Unglück?“
„Ein Abenteuer, bei welchem ich mit meinem braven Swallow in Gefahr kam, bei lebendigem Leib gebraten zu werden“, erwiderte ich, die Hand nach dem Ring ausstreckend.
„Laßt das“, wehrte er ab. „Ich muß wissen, wie dieser Reif in Euren Besitz gekommen ist. Ich habe ein heiliges Anrecht auf ihn, heiliger und größer als irgendein anderes Menschenkind!“
„Laßt Euch ruhig nieder, Sir. Verweigerte mir ein anderer die Zurückgabe, so würde ich ihn dazu zu zwingen wissen, Euch aber will ich das Nähere berichten, und Ihr werdet dann mir wohl auch Euer Anrecht beweisen können.“
„Sprecht; aber wißt auch Ihr, daß dieser Ring in der Hand eines Mannes, dem ich weniger vertraute als Euch, sehr leicht sein Todesurteil werden könnte. Also erzählt, erzählt!“
Er kannte Ellen, er kannte auch Forster, und die Erregung, in welcher er sich befand, zeigte von dem großen Interesse, welches er an diesen Personen nahm. Ich hatte hundert Fragen auf der Zunge, aber ich drängte sie zurück und begann meinen Bericht von der Begegnung mit dem wunderbaren und rätselhaften Mädchen, dessen Bild sich meiner Erinnerung so fest eingedrückt hatte, daß ich den Gedanken an sie nur auf kurze Unterbrechungen von mir zu weisen vermochte.
Auf den einen Ellenbogen gestützt, lag er, das Feuer zwischen uns, mir gegenüber, und in jedem einzelnen seiner Züge sprach sich die Spannung aus, mit welcher er dem Lauf meiner Erzählung folgte. Von Wort zu Wort wuchs seine Aufmerksamkeit, und als ich zu dem Augenblick kam, in welchem ich sie vor mich auf das Pferd gerissen hatte, sprang er auf und rief:
„Mann, das war das einzige, sie zu retten! Ich zittre für ihr Leben; rasch, rasch, sprecht weiter!“
Auch ich hatte mich in dem Wiederfühlen jener furchtbaren Aufregung erhoben und fuhr in meiner Schilderung fort. Er trat mir näher und immer näher; seine Lippen öffneten sich, als wolle er jedes einzelne meiner Worte trinken; sein Auge hing, weit aufgerissen, an meinem Mund, und sein Körper bog sich in eine Stellung, als säße er selbst auf dem dahinbrausenden Swallow, stürze sich selbst mit in die hochaufschäumenden Fluten des Flusses und strebe selbst in fürchterlicher Angst um das holde Wesen die steile, zackige Felswand empor. Längst schon hatte er meinen Arm erfaßt, den er unbewußt drückte, daß ich hätte die Zähne zusammenpressen mögen, und laut und ächzend drängte sich der Atem aus seiner von fürchterlicher Besorgnis zusammengepreßten Brust.
„Heavens!“ rief er mit einem tiefen, tiefen Atemzuge, als er hörte, daß ich glücklich mit ihr über den Rand der Schlucht gekommen sei und sie also in Sicherheit gebracht habe. „Das war entsetzlich – fürchterlich! Ich habe eine Angst ausgestanden, als ob mein eigener Körper in den Flammen stäke, und doch wußte ich vorher, daß Euch die Rettung gelungen sei, denn sonst hätte sie Euch ja den Ring nicht geben können!“
„Sie hat es auch nicht getan, ich streifte ihn wider Willen von ihrem Finger, und sie hat den Verlust gar nicht bemerkt.“
„So mußtet Ihr das fremde Eigentum der Besitzerin unbedingt zurückstellen.“
„Ich wollte es; doch sie floh mich. Zwar folgte ich ihr, doch sah ich sie erst am anderen Morgen in Gesellschaft einer Familie wieder, welche dem Tod entgangen war, weil ihre Wohnung im obersten Winkel des Tals lag und der Brand seine Richtung abwärts genommen hatte.“
„Und da spracht Ihr von dem Ring?“
„Nein, sie ließ mich gar nicht vor, und ich bin dann natürlich meines Weges fortgeritten.“
„So ist sie, ja, so ist sie! Sie haßt nichts mehr als Feigheit und hat Euch für mutlos gehalten. Was ist aus Forster geworden?“
„Ich habe gehört, daß nur allein jene Familie davongekommen sei. Das Glutmeer, von welchem der Talkessel erfüllt war, hat alles verschlungen, was in seinen Bereich gekommen ist.“
„Es ist schrecklich und eine zu furchtbare Strafe für das allerdings unnütze und lächerliche Vorhaben, das Öl fortlaufen zu lassen, um den Preis desselben in die Höhe zu bringen!“
„Auch Ihr habt ihn gekannt, Sir?“ fragte ich jetzt.
„Ich war einige Male bei ihm in New Venango. Er war ein stolzer, geldprotziger Mann, der wohl Ursache gehabt hätte, wenigstens mit mir etwas manierlicher umzuspringen.“
„Und Ellen habt Ihr bei ihm gesehen?“
„Ellen?“ sagte er mit einem eigentümlichen Lächeln in seinem jetzt wieder ruhigen Angesichte. „Ja, bei ihm und in Omaha, wo sie einen Bruder hat – vielleicht auch noch sonst irgendwo.“
„Ihr könntet mir wohl etwas über das Mädchen mitteilen?“
„Möglich, aber jetzt nicht, jetzt nicht! Eure Erzählung hat mich so mitgenommen daß ich keine rechte Sammlung zu einer solchen Unterhaltung verspüre; aber zu gelegener Zeit sollt Ihr mehr über sie erfahren, das heißt natürlich, soviel ich selbst von ihr weiß. Hat sie Euch nicht gesagt, was sie in Venango wollte?“
„Doch! Sie wollte ihren Vater sehen und hatte dort nur Absteigequartier genommen.“
„So, so; das tut sie alle Jahre. Also Ihr behauptet, daß sie der Gefahr dort wirklich und ganz bestimmt entgangen sei?“
„Ganz sicher.“
„Und schießen habt Ihr sie auch sehen?“
„Wie ich Euch sagte, und zwar ganz vorzüglich. Sie muß eine sehr ungewöhnliche Erziehung genossen haben.“
„Das ist so. Ihr Vater ist ein alter Skalper, der keine einzige Kugel gießt, die nicht ihren Weg zwischen die bewußten zwei Indianerrippen fände. Von ihm hat sie das Zielen gelernt, und wenn Ihr etwa glaubt, daß sie es nicht zur rechten Zeit und am richtigen Ort anzuwenden versteht, so irrt Ihr Euch ganz gewaltig.“
„Wo ist dieser Vater?“
„Er ist bald da, bald dort zu finden, und ich darf wohl sagen, daß wir einander so ziemlich kennen gelernt haben. Es ist möglich, daß ich Euch helfe, ihn einmal zu sehen.“
„Wenn Ihr das könntet, Sir!“ rief ich aufspringend.
„Werden ja sehen, Mann, habt es an der Tochter verdient, daß Euch der Vater Dank sage.“
„Oh, das ist's nicht, was ich meine.“
„Versteht sich, versteht sich, kenne Euch gut genug; aber hier habt Ihr Euren Ring.
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