Er muss sich doch wie in der Fremde fühlen; offenkundig ist das nicht mehr dieselbe Welt. Aber ich glaube dennoch nicht, dass Swann unglücklich ist. Es hat, so viel ist richtig, in den Jahren vor der Heirat ziemlich hässliche Erpressungsmanöver seitens der Frau gegeben; sie entzog Swann jedesmal, wenn er ihr irgendetwas verweigerte, den Umgang mit seiner Tochter. Der arme Swann, ebenso naiv wie andererseits klug, glaubte jedesmal, dass das Verschwinden seiner [57] Tochter ein zufälliges Zusammentreffen sei, und wollte die Wirklichkeit nicht sehen. Sie machte ihm zudem so anhaltende Szenen, dass man dachte, von dem Tage an, an dem sie ihr Ziel erreicht haben und geheiratet werden würde, werde sie nichts mehr zurückhalten und das Leben der beiden würde zum Inferno. Nun gut!, das Gegenteil ist eingetreten. Man belächelt die Art, in der Swann von seiner Frau spricht, man macht sich sogar darüber lustig. Man verlangt gewiss nicht, dass er, sich mehr oder weniger bewusst, ein … (Sie kennen das Wort von Molière*) zu sein, dies urbi et orbi* verkünden werde; das hindert jedoch nicht, dass man es übertrieben findet, wenn er sagt, dass seine Frau eine hervorragende Gattin sei. Nun, das ist nicht einmal so verkehrt, wie man glaubt. Auf ihre Art, die nicht von der ist, die andere Ehemänner bevorzugen würden, aber schließlich erscheint es mir, unter uns gesagt, schwer vorstellbar, dass Swann, der sie seit langem kannte und alles andere als ein Schwachkopf ist, nicht gewusst hätte, wes er sich dabei zu gewärtigen habe, scheint sie ganz unbestreitbar eine Zuneigung zu ihm zu hegen. Ich will nicht sagen, dass sie nicht flatterhaft wäre, und Swann selbst lässt diese Eigenschaft nicht vermissen, wenn man den bösen Zungen glaubt, die, wie Sie sich denken können, das Ihre tun. Aber sie ist ihm dankbar für alles, was er für sie getan hat, und scheint, im Gegensatz zu den begründeten Befürchtungen aller, von einer engelhaften Sanftmut geworden zu sein.« Diese Veränderung war vielleicht gar nicht so außergewöhnlich, wie Monsieur de Norpois sie fand. Odette hatte nicht geglaubt, dass Swann sie schließlich heiraten würde; jedesmal, wenn sie ihm gezielt von einem vorbildlichen Mann erzählte, der sich gerade mit seiner Geliebten verehelicht hatte, war sie auf ein eisiges Schweigen gestoßen, und allenfalls, wenn sie es direkt zur Sprache brachte und ihn fragte: »Also, findest du nicht, dass das sehr richtig ist, dass das sehr edel ist, was er da für eine Frau getan hat, die ihm ihre Jugend [58] geopfert hat?«, auf die schroffe Antwort: »Aber ich sage ja gar nicht, dass es schlecht sei, jeder nach seiner Fasson.« Sie war sogar nahe daran zu glauben, dass er sie, wie er es gelegentlich im Zorn zu ihr gesagt hatte, gänzlich im Stich lassen werde, denn sie hatte vor kurzem von einer Bildhauerin gehört: »Man muss bei den Männern auf alles gefasst sein, sie sind so kaltschnäuzig«, und betroffen von der Tiefe dieser pessimistischen Maxime, hatte sie sich diese zu eigen gemacht, sie wiederholte sie alle naselang mit einer entsagungsvollen Miene, die zu bedeuten schien: »Letzten Endes ist nichts unmöglich, darin liegt meine Chance.« In der Folge war alle Kraft aus der optimistischen Maxime gewichen, die bis dahin Odette durch das Leben geleitet hatte: »Man kann mit Männern, die einen lieben, alles machen, sie sind ja solche Trottel«, und die sich in ihrem Gesicht durch das gleiche Augenzwinkern ausdrückte, das auch Worte wie etwa diese hätte begleiten können: »Habt keine Angst, er wird nichts kaputtstoßen*.« Derweilen litt Odette darunter, was diejenige ihrer Freundinnen, die von einem Mann geheiratet worden war, der kürzere Zeit mit ihr zusammen gewesen war als sie selbst mit Swann, und die kein Kind hatte, die inzwischen einigermaßen angesehen war, die zu Bällen im Élysée eingeladen wurde, von Swanns Verhalten denken musste. Ein gründlicherer Diagnostiker als Monsieur de Norpois hätte zweifellos feststellen können, dass es dieses Gefühl der Demütigung und der Scham war, was Odette verbittert hatte, dass der abscheuliche Charakter, den sie an den Tag legte, nicht ihr eigener, keine unheilbare Krankheit war, und er hätte leicht voraussagen können, was dann eintrat, nämlich, dass eine neue Behandlung, die eheliche Behandlung, mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit jene schmerzhaften, tagtäglichen, aber mitnichten organisch bedingten Anfälle zum Erliegen bringen würde. Fast alle waren über diese Heirat erstaunt, und das seinerseits ist erstaunlich. Offenbar [59] verstehen nur wenige den gänzlich subjektiven Charakter des Phänomens, das die Liebe darstellt, und dass sie in einer Art von Schöpfung einer zusätzlichen Person besteht, die von der verschieden ist, deren Namen sie in der Öffentlichkeit trägt, und deren Bestandteile zum größten Teil aus uns selbst entnommen sind. Daher gibt es nur wenige Leute, die die ungeheuren Dimensionen natürlich finden können, die ein Wesen schließlich für uns einnimmt, das nicht das gleiche ist wie jenes, das sie sehen. Dennoch scheint es, dass man sich, soweit es Odette anging, hätte klarmachen müssen, dass sie, auch wenn sie gewiss niemals das Ausmaß von Swanns Intelligenz ganz begriffen hat, zumindest die Titel seiner Arbeiten kannte und worum es darin ging, so dass ihr der Name Vermeers ebenso vertraut war wie der ihres Schneiders; an Swann kannte sie gründlich jene Charakterzüge, von denen der Rest der Welt nichts weiß oder die er verspottet und von denen einzig eine Mätresse, eine Schwester, ein zutreffendes, und geliebtes, Bild besitzen; und wir hängen so sehr an ihnen, selbst an denen, die wir ganz besonders zu verbessern wünschen, dass gerade deshalb, weil eine Frau schließlich eine nachsichtige und freundlich-amüsierte Vertrautheit mit ihnen annimmt, vergleichbar der Gewöhnung, die wir selbst und die unsere Eltern an sie haben, alte Liebesbeziehungen so etwas wie die Milde und Kraft der Zuneigung in einer Familie aufweisen. Die Bande, die uns mit einem Wesen vereinigen, erfahren ihre Weihe, wenn es sich auf denselben Standpunkt stellt wie wir, um einen unserer Makel zu beurteilen. Und unter diesen besonderen Zügen gab es auch solche, die ebenso sehr mit Swanns Intelligenz wie mit seinem Charakter zusammenhingen und die Odette gleichwohl, anhand der Wurzel, die sie trotz allem in letzterem hatten, mit größerer Leichtigkeit entdeckt hatte. Sie beschwerte sich, dass man, wenn Swann sich als Autor betätigte, wenn er Studien veröffentlichte, besagte Züge nicht so [60] wiedererkenne wie in seinen Briefen oder in seiner Konversation, die von ihnen wimmelten. Sie riet ihm, ihnen größeren Raum zu lassen. Sie hätte das gern gesehen, weil es jene waren, die sie an ihm besonders schätzte, aber da sie sie deshalb besonders schätzte, weil sie ihm so ganz eigentümlich waren, hatte sie vielleicht nicht unrecht damit zu wünschen, dass man sie in dem, was er schrieb, wiederfinden möge. Vielleicht dachte sie auch, dass lebendigere Werke, indem sie ihm schließlich Erfolg brächten, es ihr ermöglichen würden, das zustande zu bringen, was sie bei den Verdurins über alles andere zu stellen gelernt hatte: einen Salon.
Unter den Leuten, die diese Art von Heirat unmöglich fanden, Leuten, die sich im eigenen Fall gefragt hätten: »Was wird Monsieur de Guermantes denken, was wird Bréauté sagen, wenn ich Fräulein von Montmorency heirate?«, unter den Leuten, die diese Sorte gesellschaftlichen Ideals haben, wäre, zwanzig Jahre früher, Swann selbst hervorgetreten, Swann, der sich größte Mühe gegeben hatte, um in den Jockey aufgenommen zu werden, und der zu jener Zeit damit gerechnet hatte, eine glänzende Partie zu machen, durch die er, da sie seinen Status gesichert hätte, zu einem der angesehensten Männer von Paris geworden wäre. Allerdings bedürfen die Vorstellungen, die sich die interessierte Seite von einer solchen Heirat macht, wie alle Vorstellungen, um nicht dahinzusiechen und schließlich ganz zu verlöschen, der Nahrungszufuhr von außen. Vielleicht ist Ihr brennendster Wunschtraum der, den Mann zu demütigen, der Sie beleidigt hat. Aber wenn Sie niemals wieder von ihm hören, da er inzwischen in einem anderen Land lebt, wird Ihr Feind am Ende keinerlei Bedeutung mehr für Sie haben. Wenn man zwanzig Jahre lang alle die Leute aus den Augen verloren hat, um derentwillen man liebend gern in den Jockey oder ins Institut* eingetreten wäre, wird die Aussicht, Mitglied der einen oder der anderen dieser Gemeinschaften zu sein, überhaupt nicht [61] mehr locken. Doch setzt, darin ganz wie eine Pensionierung, wie eine Krankheit, wie eine religiöse Bekehrung, eine längere Liebesbeziehung andere Vorstellungen an die Stelle der alten. Swann musste, als er Odette heiratete, dem gesellschaftlichen Ehrgeiz nicht entsagen, weil Odette ihn von diesem Ehrgeiz schon seit langem, im spirituellen Sinne des Wortes, entbunden hatte. Im übrigen, wäre dem nicht so gewesen, so hätte er damit nur noch größeres Verdienst erworben. Deshalb sind auch im allgemeinen entehrende Heiraten, da sie das Opfer eines mehr oder weniger schmeichelhaften Status für einen rein privaten Genuss nach sich ziehen, die ehrenwertesten von allen (man darf natürlich nicht unter einer entehrenden Heirat eine Geldheirat verstehen, da es ja nicht ein einziges Beispiel gibt, in dem die Frau oder auch der Gatte sich verkauft hätten und man sie am Ende nicht doch empfangen hätte, sei dies auch nur um der Tradition willen und im Vertrauen auf so viele Beispiele und um nicht mit zweierlei Maß zu messen).
1 comment