Und Sie, gnädige Frau, haben Sie schon überlegt, wie Sie die Ferien verbringen wollen?« – »Ich weiß noch nicht, ich werde womöglich mit meinem Sohn nach Balbec fahren.« – »Ah!, Balbec ist angenehm, ich bin vor einigen Jahren dort vorbeigekommen. Man beginnt, ausgesprochen schmucke Villen zu bauen: ich glaube, dass der Ort Ihnen gefallen wird. Doch gestatten Sie mir zu fragen, was Sie Balbec hat wählen lassen?« – »Mein Sohn hat sich sehr gewünscht, einige Kirchen der Gegend anzusehen, besonders diejenige von Balbec. Seiner Gesundheit wegen fürchtete ich ein wenig die Anstrengungen der Reise und überhaupt des Aufenthalts. Aber ich habe gehört, dass man gerade ein ausgezeichnetes Hotel gebaut hat, das es ihm ermöglichen wird, unter den komfortablen Bedingungen zu leben, die sein Zustand erfordert.« – »Ah!, diese Empfehlung muss ich an eine gewisse Person weitergeben, [54] die nicht die Frau ist, sie geringzuschätzen.« – »Aber die Kirche von Balbec ist doch bewundernswert, nicht wahr, mein Herr?«, fragte ich und überwand den Schmerz, zu erfahren, dass eine der Attraktionen von Balbec in seinen schmucken Villen bestand. »Nein, sie ist nicht übel, doch freilich kann sie dem Vergleich mit diesen wahrhaft ziselierten Schmuckstücken wie den Kathedralen von Reims, von Chartres und, für meinen Geschmack, der Perle von allen, der Sainte-Chapelle in Paris, nicht standhalten.« – »Aber die Kirche von Balbec ist doch zum Teil romanisch?« – »In der Tat ist sie von romanischem Stil, der schon an sich außerordentlich kalt ist und in nichts die Eleganz, die Phantasie der gotischen Baumeister erahnen lässt, die den Stein klöppeln wie Spitzen. Die Kirche von Balbec lohnt den Besuch, wenn man in der Gegend ist, sie ist durchaus bemerkenswert; wenn Sie an einem Regentag nichts anzufangen wissen, können Sie hineingehen, Sie werden das Grab von Tourville* sehen.«

»Waren Sie gestern beim Empfang des Außenministeriums?, ich habe nicht hingehen können«, sagte mein Vater. »Nein«, antwortete Monsieur de Norpois mit einem Lächeln, »ich gestehe, dass ich auf ihn zugunsten eines gänzlich anderen Abends verzichtet habe. Ich habe bei einer Dame gespeist, von der Sie vielleicht gehört haben, der schönen Madame Swann.« Meine Mutter unterdrückte ein Schaudern, denn da sie bei ihrer Sensibilität schneller reagierte als mein Vater, erschrak sie um seinetwillen über das, was ihn erst einen Augenblick später verdrießen würde. Die Unannehmlichkeiten, die ihm zustießen, wurden vorweg von ihr wahrgenommen, so wie die schlechten Nachrichten über Frankreich im Ausland früher bekannt sind als bei uns. Aber neugierig, zu erfahren, welche Art von Leuten die Swanns empfangen konnten, erkundigte sie sich bei Monsieur de Norpois nach denen, die er dort angetroffen hatte. »Mein Gott … das ist ein Haus, in dem vor allem, [55] wie mir scheint … Herren verkehren. Es waren einige verheiratete Männer dort, aber ihre Frauen waren an dem Abend unpässlich und nicht gekommen«, antwortete der Botschafter mit von Biederkeit verschleierter Verschmitztheit und indem er Blicke um sich warf, deren Sanftheit und Zurückhaltung die Bosheit mildern zu wollen schienen und sie geschickt verstärkten.

»Ich muss«, fügte er hinzu, »um der Wahrheit die Ehre zu geben, noch anmerken, dass zwar auch Frauen gekommen waren, die aber … vor allem eher … wie soll ich sagen, der republikanischen Welt denn der Gesellschaftsschicht Swanns zugehörten« (er sprach den Namen »Svann« aus*). »Wer weiß? Daraus wird vielleicht eines Tages noch ein politischer oder literarischer Salon. Im übrigen schien es, als seien sie damit ganz zufrieden. Ich finde, dass Swann es ein bisschen zu sehr zeigt. Er zählte die Leute auf, zu denen er und seine Frau in der folgenden Woche eingeladen waren und deren Bekanntschaft sich, mit einem Mangel an Zurückhaltung und Geschmack, ja, fast von Takt, der mich bei einem so gebildeten Mann erstaunt hat, zu brüsten keinerlei Anlass besteht. Er sagte immer wieder: ›Wir haben keinen freien Abend‹, als ob das ein Ruhmestitel wäre, und wie ein richtiger Emporkömmling, der er doch eigentlich nicht ist. Denn Swann hatte viele Freunde, und sogar Freundinnen, und ohne mich zu weit vorwagen noch auch eine Indiskretion begehen zu wollen, glaube ich doch sagen zu können, dass keineswegs alle, nicht einmal der größere Teil, aber doch wenigstens eine, und zwar eine sehr hochstehende Dame, sich nicht gänzlich der Vorstellung abgeneigt gezeigt hätte, Beziehungen zu Madame Swann aufzunehmen, in welchem Falle aller Wahrscheinlichkeit nach mehr als nur einer der Schöpse des Panurge* nachgefolgt wäre. Aber anscheinend hat es von Swann keinen Vorstoß in diese Richtung gegeben. Wie?, auch noch ein Pudding à la Nesselrode*! Eine Kur in Karlsbad* wird mindestens nötig [56] sein, um mich von einem solchen Lucullus*-Schmaus zu erholen. Vielleicht hat Swann gespürt, dass es da zu viele Widerstände zu überwinden geben würde. Die Ehe, so viel ist gewiss, hat nicht gefallen. Man hat von dem Vermögen der Frau gesprochen, was aber barer Unsinn ist. Doch, kurz gesagt, all das hat keinen erfreulichen Eindruck hinterlassen. Und dann hat Swann eine unmäßig reiche und außerordentlich angesehene Tante, die Frau eines Mannes, der, in finanzieller Hinsicht, einen Machtfaktor darstellt. Und nicht nur hat sie selbst sich geweigert, Madame Swann zu empfangen, sondern sie hat sogar einen regelrechten Feldzug gestartet, damit sich ihre Freundinnen und Bekannten ebenso verhielten. Damit will ich nicht sagen, dass irgendein Pariser aus besserem Hause es gegenüber Madame Swann an Respekt hätte ermangeln lassen … Nein!, hundertmal nein!, wo der Gatte zudem Manns genug ist, einen Fehdehandschuh aufzunehmen. Jedenfalls ist es eine befremdliche Sache, zu sehen, wie sehr Swann, der so viele Leute kennt, und von den erlesensten, so viel Zuvorkommenheit gegenüber einer Gesellschaft zeigt, von der man zum mindesten sagen könnte, dass sie recht gemischt ist. Ich, der ihn von früher kennt, ich gestehe, dass ich ebenso viel Überraschung wie Belustigung empfand, einen so gut erzogenen, in den exklusivsten Kreisen so beliebten Mann zu sehen, wie er einem Oberpostdirektor überschwenglich für sein Kommen dankt und ihn fragt, ob Madame Swann sich gestatten dürfe, seine Gattin zu besuchen.