Vielleicht hätte Swann andererseits, in der Rolle des Künstlers, wenn nicht gar der des Wüstlings, in jedem Falle eine gewisse Wollust darin gefunden, sich, wie bei einer dieser Artenkreuzungen, die von Mendelisten* durchgeführt werden oder von denen die Sagen erzählen, mit einem Wesen unterschiedlicher Rasse zu paaren, Erzherzogin oder Hure, ein fürstliches Bündnis zu schließen oder eine Mesalliance einzugehen. Es hatte in den höheren Kreisen nur eine einzige Person gegeben, die jedesmal, wenn er über eine mögliche Heirat mit Odette nachdachte, seine Gedanken beschäftigte, nämlich – und dies nicht etwa aus Snobismus – die Herzogin von Guermantes. Um die sich Odette dagegen herzlich wenig sorgte, da sie nur an Leute dachte, die unmittelbar über ihr selbst standen, statt an derart wolkenhohe Himmelsregionen. Aber wenn Swann in Stunden der Träumerei Odette seine Frau werden sah, stellte er sich unweigerlich den Augenblick vor, in dem er sie, sie [62] und vor allem seine Tochter, zur Prinzessin von Les Laumes geleiten würde, die inzwischen durch den Tod ihres Schwiegervaters zur Herzogin von Guermantes geworden war. Er hatte nicht den Wunsch, die beiden noch anderwärts vorzustellen, aber er war gerührt, wenn er sich ausdachte, was die Herzogin, wobei er die einzelnen Worte laut vor sich hin sprach, über ihn zu Odette sagen würde, und Odette zu Madame de Guermantes, die Zärtlichkeit, die diese Gilberte entgegenbringen, wie sie sie verwöhnen und wie stolz sie ihn auf seine Tochter machen würde. Er spielte sich die Vorstellungsszene mit der gleichen Genauigkeit in den imaginären Einzelheiten vor wie Leute, die überlegen, auf welche Weise sie, falls sie es gewinnen sollten, das große Los verwenden würden, dessen Höhe sie ganz nach ihrem Belieben festsetzen. Insoweit als ein Bild, das einen unserer Entschlüsse begleitet, diesen begründet, kann man sagen, dass Swann, wenn er Odette heiratete, dies tat, um sie, sie und Gilberte, ohne dass noch irgendjemand sonst dabei wäre, zur Not auch, ohne dass jemals jemand davon erführe, der Herzogin von Guermantes vorzustellen. Man wird sehen, wie dieser einzige weltliche Ehrgeiz, den er für seine Frau und seine Tochter hegte, genau der war, dessen Verwirklichung sich ihm als verwehrt erwies, und dies durch ein so uneingeschränktes Veto, dass Swann starb, ohne noch zu glauben, dass die Herzogin die beiden jemals kennenlernen könnte. Man wird ferner sehen, wie sich ganz im Gegenteil die Herzogin von Guermantes nach dem Tode Swanns mit Odette und Gilberte anfreundete. Und vielleicht wäre es weise von ihm gewesen – wenn er denn schon dieser geringfügigen Sache eine so große Bedeutung beimaß –, sich in dieser Hinsicht keine allzu düstere Vorstellung von der Zukunft zu machen und sich vorzubehalten, dass die erhoffte Bekanntschaft sehr gut zustande kommen könnte, wenn er nicht mehr da wäre, um sich ihrer zu erfreuen. Die Arbeit des Kausalitätsprinzips, die [63] schließlich nach und nach alle nur möglichen Wirkungen hervorbringt, und folglich auch solche, die man am wenigsten erwartet hatte, diese Arbeit vollzieht sich meist nur langsam, noch zusätzlich verlangsamt durch unser Begehren – das sie durch seinen Versuch, sie zu beschleunigen, nur behindert –, sogar durch unser bloßes Vorhandensein, und vollendet sich erst, wenn wir aufgehört haben zu begehren, und manchmal auch, zu leben. Wusste Swann das nicht aus eigener Erfahrung, und gab es denn nicht schon in seinem Leben – als eine Präfiguration dessen, was nach seinem Tod eintreten sollte – ein Glück nach dem Verscheiden, wie diese Ehe mit derselben Odette, die er (auch wenn sie ihm anfangs nicht gefiel) leidenschaftlich geliebt und die er geheiratet hatte, als er sie nicht mehr liebte, als das Wesen in Swann, das so sehr danach dürstete und so sehr daran verzweifelte, sein ganzes Leben mit Odette zu verbringen, als dieses Wesen tot war?

Ich begann vom Grafen von Paris zu sprechen, zu fragen, ob er nicht ein Freund von Swann sei, denn ich fürchtete, dass sich das Gespräch von Gilbertes Vater entfernen könnte. »Ja, in der Tat«, antwortete Monsieur de Norpois, indem er sich zu mir wandte und auf meine bescheidene Person den blauen Blick heftete, in dem seine große Leistungsfähigkeit und geistige Beweglichkeit schwammen, als sei es ihr Lebenselement. »Und, mein Gott«, fügte er hinzu, indem er sich wieder meinem Vater zuwandte, »ich glaube nicht die Schranken des Respekts zu überschreiten, zu dem ich mich hinsichtlich des Prinzen ausdrücklich bekenne (ohne allerdings persönliche Beziehungen mit ihm zu unterhalten, was meine Situation schwierig gestalten würde, so wenig offiziell sie auch sein mag), wenn ich Ihnen diese recht reizende Einzelheit wiedergebe, dass der Prinz, vor nunmehr kaum vier Jahren, in einem kleinen Bahnhof in einem mitteleuropäischen Land, Gelegenheit hatte, Madame Swann zu bemerken. Selbstverständlich hat sich niemand [64] aus seiner Umgebung erlaubt, Durchlaucht zu fragen, wie sie ihm gefallen habe. Das wäre nicht schicklich gewesen. Doch als per Zufall im Gespräch ihr Name fiel, schien der Prinz mit gewissen, unmerklichen, wenn man so will, aber untrüglichen Zeichen durchaus absichtlich zu verstehen geben zu wollen, dass sein Eindruck insgesamt weit davon entfernt war, ungünstig gewesen zu sein.« – »Aber hätte denn keine Möglichkeit bestanden, sie dem Grafen von Paris vorzustellen?« fragte mein Vater. – »Nun ja!, das weiß man nicht; bei Fürstlichkeiten weiß man nie«, antwortete Monsieur de Norpois; »die stolzesten, diejenigen, die am ehesten verstehen, einzufordern, was ihnen gebührt, sind manchmal auch diejenigen, die sich am wenigsten um die Ratschlüsse, auch die begründetsten, der öffentlichen Meinung kümmern, erst recht nicht, wenn es sich darum handelt, gewissen Verbindlichkeiten zu genügen. Immerhin, so viel steht fest, der Graf von Paris* hat stets mit großem Wohlwollen die Ergebenheit Swanns aufgenommen, der zudem ein geistvoller Bursche ist wie nur irgendeiner.« – »Und Ihr eigener Eindruck, Herr Botschafter, wie war der?« fragte meine Mutter aus Höflichkeit und aus Neugier. Mit dem Überschwang des alten Kenners, der sich über die gewohnte Mäßigung seiner Einlassungen hinwegsetzt: »Ganz und gar ausgezeichnet!« antwortete Monsieur de Norpois. Und in dem Bewusstsein, dass das Eingeständnis, von einer Frau beeindruckt gewesen zu sein, unter der Bedingung, dass man es mit Heiterkeit vorbringt, in einer gewissen, besonders geschätzten Weise zum Geist der Unterhaltung beiträgt, brach er in ein kleines, einige Augenblicke anhaltendes Lachen aus, das die blauen Augen des Diplomaten feucht werden und die Flügel seiner von roten Äderchen gemusterten Nase erzittern ließ. »Sie ist ganz und gar hinreißend!«

»War auch ein Schriftsteller namens Bergotte bei dem Diner, mein Herr?« fragte ich schüchtern, um das Gespräch beim Thema [65] Swann zu halten. »Ja, Bergotte war da«, antwortete Monsieur de Norpois und neigte seinen Kopf höflich zu meiner Seite hin, als ob er in seinem Wunsch, mit meinem Vater auf freundschaftlichem Fuß zu stehen, allem, was mit ihm zusammenhing, wirkliche Bedeutung beimäße, selbst den Fragen eines Knaben meines Alters, der es nicht gewohnt war, von Personen des seinigen so viel Höflichkeit erwiesen zu bekommen. »Kennen Sie ihn?« fügte er hinzu und heftete den hellen Blick, dessen durchdringende Kraft Bismarck bewundert hatte, auf mich. – »Mein Sohn kennt ihn nicht, aber er schätzt ihn sehr«, sagte meine Mutter. – »Mein Gott«, sagte Monsieur de Norpois (der mich hinsichtlich meiner eigenen Intelligenz mit noch ernsthafteren Zweifeln erfüllte als denen, die für gewöhnlich in mir nagten, als ich sah, wie das, was ich tausend und abertausend Mal über mich stellte, was ich das Erhabenste von der Welt fand, bei ihm ganz am Fuße der Skala seiner Bewunderung lag), »ich kann mich dieser Ansicht nicht anschließen. Bergotte ist das, was ich einen Flötenbläser* nenne; man muss wohl zugeben, dass er angenehm spielt, wenn auch ziemlich manieriert und affektiert. Mehr ist da letztlich nicht, und das ist nicht viel. Niemals findet man in seinen blutleeren Werken so etwas wie ein Knochengerüst. Keine Handlung – oder recht wenig –, aber vor allem keine Tragweite. Seine Bücher sind von Grund auf mangelhaft, oder eher, ermangeln des Grundes. In einer Zeit wie der unsrigen, in der die zunehmende Komplexität des Lebens kaum Zeit zum Lesen lässt, in der die Karte von Europa tiefgreifende Veränderungen erfährt und am Vorabend vielleicht noch einschneidenderer steht, in der sich allenthalben so viele bedrohliche und neue Probleme stellen, werden Sie mir zugestehen, dass man das Recht hat, von einem Schriftsteller zu verlangen, auch noch anderes als ein Schöngeist zu sein, der uns über müßigen und ausschweifenden Diskussionen über das Verdienst der reinen Form vergessen lässt, dass wir [66] von einem Augenblick zum anderen von einer zwiefachen Welle von Barbaren überrollt werden können, denen von außen und denen von innen. Ich weiß, dass dieses Lästerung bedeutet gegen die allerheiligste Schule dessen, was diese Herren ›l’art pour l’art‹ nennen, doch in unserem Zeitalter gibt es dringlichere Aufgaben als die, Worte auf harmonische Weise zusammenzurücken. Die von Bergotte ist sicherlich recht verführerisch, ich streite das nicht ab, aber im ganzen ist das alles ziemlich geziert, ziemlich dünn und ziemlich unmännlich.