Ich verstehe jetzt, wenn ich mir Ihre gänzlich übertriebene Bewunderung für Bergotte vergegenwärtige, die wenigen Zeilen besser, die Sie mir vorhin gezeigt haben und über die nicht mit dem Schwamm des Vergessens hinwegzugehen recht unliebenswürdig von mir wäre, da Sie selbst ja in aller Offenheit gesagt haben, dass es nur eine kindliche Fingerübung war (das hatte ich in der Tat gesagt, aber kein bisschen gemeint). Vergebung für jede Sünde, und für Jugendsünden zuerst. Schließlich haben noch andere als Sie ähnliche auf dem Gewissen, und Sie sind nicht der einzige, der sich zu seiner Zeit für einen Dichter gehalten hat. Doch in dem, was Sie mir gezeigt haben, erkennt man den schlechten Einfluss von Bergotte. Offensichtlich werde ich Sie nicht in Erstaunen versetzen, wenn ich Ihnen sage, dass sich darin nicht eine seiner Qualitäten fand, denn er steht weit oberhalb der Meisterklasse in der, nebenbei gesagt gänzlich oberflächlichen, Kunst eines bestimmten Stils, zu dem Sie in Ihrem Alter noch nicht einmal die Grundlagen besitzen können. Aber der gleiche Fehler ist schon vorhanden, dieser Widersinn, schönklingende Wörter aneinanderzureihen und sich erst im nachhinein um die Substanz zu kümmern. Das bedeutet, den Pflug vor den Ochsen spannen. Gleichermaßen erscheinen mir in den Büchern Bergottes all diese sinensischen Gesuchtheiten der Form, diese Spitzfindigkeiten eines entarteten Mandarins gänzlich eitel. Jedes passable Feuerwerk, das ein [67] Schriftsteller abbrennt, ruft man sofort zum Meisterwerk aus. So häufig sind die Meisterwerke nicht! Bergotte hat auf seiner Aktivaseite, in seinem Tornister, wenn ich so sagen darf, nicht einen einzigen Roman mit höherem Anspruch, keines dieser Bücher, denen man einen Ehrenplatz in seiner Bibliothek einräumt. Ich sehe nicht eines in seinem Werk. Dem steht nicht entgegen, dass in seinem Fall das Werk seinem Autor unendlich überlegen ist. Ah!, hier haben wir einen, der den geistvollen Mann bestätigt, welcher behauptete, dass man Schriftsteller ausschließlich aus ihren Büchern kennen sollte. Unmöglich, sich ein Individuum vorzustellen, das weniger den seinigen entspricht, noch anmaßender, noch hochtrabender, noch weniger gesellschaftsfähig. Gelegentlich vulgär, andere zuschwatzend wie ein Buch, und nicht einmal wie eines seiner Bücher, sondern wie ein todlangweiliges, was die seinigen ja wenigstens nicht sind, so ist dieser Bergotte. Ein spitzfindiger Geist von der wirresten Sorte, das, was unsere Väter einen Orakelpriester nannten und der das, was er sagt, noch unangenehmer macht durch die Art, wie er es sagt. Ich weiß nicht, ob es Loménie oder Sainte-Beuve* ist, der berichtet, Vigny* habe durch die gleiche Unart abgeschreckt. Aber Bergotte hat nie Cinq-Mars oder Le Cachet rouge geschrieben, in denen einige Seiten wahre Leckerbissen für jede Anthologie sind.«

Erschüttert durch Monsieur de Norpois’ Bemerkungen über das Fragment, das ich ihm vorgelegt hatte, auf der anderen Seite der Schwierigkeiten eingedenk, die sich mir entgegenstellen würden, wenn ich einen Essay schreiben oder mich auch nur ernsthaften Überlegungen hingeben wollte, empfand ich einmal mehr meine intellektuelle Unfähigkeit und dass ich nicht für die Literatur geboren war. Zweifellos hatten mich damals in Combray bestimmte, ganz einfache Eindrücke oder eine Lektüre von Bergotte in einen träumerischen Zustand versetzt, der mir als von großem Wert [68] erschienen war. Aber diesen Zustand spiegelte mein Prosagedicht wider; gar kein Zweifel, Monsieur de Norpois hatte sofort das ergriffen und ans Tageslicht gezerrt, was ich nur in einer gänzlich trügerischen Fata Morgana für schön gehalten hatte, denn der Botschafter war nicht darauf hereingefallen. Er hatte mir im Gegenteil zu verstehen gegeben, welch unbedeutender Rang mir zukam (wenn ich von außen, objektiv, von einem äußerst wohlwollenden und intelligenten Kenner beurteilt wurde). Ich fühlte mich wie vor den Kopf gestoßen, zu einem Nichts reduziert; und ähnlich wie sich mein Geist einstmals ausgedehnt hatte, um das unermessliche Fassungsvermögen des Genies auszufüllen, richtete er sich jetzt wie eine Flüssigkeit, die nur die Ausdehnung des Gefäßes annehmen kann, in das man sie hineingibt, reduziert in der engen Mittelmäßigkeit ein, in die Monsieur de Norpois ihn jählings weggesperrt und eingeschnürt hatte.

»Unsere erste Begegnung ließ, weder für Bergotte noch für mich«, wandte er sich wieder an meinen Vater, »an Borstigkeit missen (was ja aber schließlich auch eine Art und Weise ist, prickelnd zu sein). Bergotte machte, vor nun schon einigen Jahren, eine Reise nach Wien, als ich dort Botschafter war; er wurde mir von der Fürstin Metternich* vorgestellt, schrieb sich ein und wünschte, eingeladen zu werden. Nun, da er in der Fremde Frankreich repräsentierte, dem er mit seinen Schriften Ehre gemacht hatte – in gewissem Maße, oder sagen wir, um genau zu sein, in einem recht knappen Maße –, wäre ich über die wenig günstige Meinung, die ich von seinem Privatleben hatte, hinweggegangen. Aber er reiste nicht allein und verlangte obendrein, nicht ohne seine Begleiterin eingeladen zu werden. Ich glaube, ich bin nicht prüder als irgendjemand sonst, und da ich Junggeselle bin, hätte ich vielleicht die Pforten der Botschaft durchaus etwas weiter öffnen können, als wenn ich verheiratet und Familienvater gewesen wäre. Gleichwohl [69] gibt es, wie ich gestehe, ein Maß an Verkommenheit, mit dem ich mich nicht abfinden kann und das noch abstoßender wird durch den mehr als moralischen, sagen wir ruhig moralisierenden Ton, den Bergotte in seinen Büchern anschlägt, in denen man nichts anderes findet als endlose und zudem, unter uns gesagt, ziemlich langweilige Analysen wehleidiger Bedenken, krankhafte Selbstvorwürfe, und, um schlichter Kleinigkeiten willen, ein ausgewachsenes Gewäsch (davon kann man ein Liedchen singen), während er zugleich so viel Bedenkenlosigkeit und Zynismus in seinem Privatleben an den Tag legt. Kurz gesagt, ich vermied eine Antwort, die Fürstin kam noch einmal auf die Sache zurück, doch mit nicht mehr Erfolg. Deswegen nehme ich nicht an, dass ich sehr im Ruch der Heiligkeit bei dieser Person stehen dürfte, und ich weiß nicht, wie sehr er die Aufmerksamkeit Swanns zu schätzen gewusst hat, mich zugleich mit ihm einzuladen. Es sei denn, er wäre es gewesen, der darum gebeten hat. Man kann das nicht wissen, denn im Grunde ist das ein Kranker. Das ist auch seine einzige Entschuldigung.«

»Und war auch die Tochter von Madame Swann bei dem Diner dabei?« erkundigte ich mich bei Monsieur de Norpois, wobei ich für diese Frage einen Augenblick nutzte, in dem ich, da wir in den Salon hinübergingen, leichter meine Gefühlsbewegung verbergen konnte, als es mir bei Tisch, an meinen Platz gefesselt und im vollen Licht, möglich gewesen wäre. Monsieur de Norpois schien einen Augenblick in seiner Erinnerung zu kramen: »Ja, eine junge Person von vierzehn oder fünfzehn Jahren? In der Tat, ich erinnere mich, dass sie mir vor dem Essen als die Tochter unseres Amphitryon* vorgestellt wurde. Ich muss Ihnen sagen, dass ich sie kaum gesehen habe, sie ist früh schlafen gegangen. Oder sie ist zu Freundinnen gegangen, ich erinnere mich nicht genau. Aber ich sehe, dass Sie über das Haus Swann gut informiert sind.« – »Ich spiele [70] mit Mademoiselle Swann in den Champs-Élysées, sie ist sehr reizend.« – »Ah!, schau an!, schau an! Auch mir ist sie, in der Tat, reizvoll erschienen. Ich gestehe Ihnen allerdings, dass ich nicht glaube, dass sie jemals an ihre Mutter heranreichen wird, wenn ich das sagen darf, ohne in Ihnen ein allzu lebhaftes Gefühl zu verletzen.« – »Mir gefällt das Gesicht von Mademoiselle Swann besser, aber ich bewundere auch ihre Mutter außerordentlich, ich gehe manchmal einzig in der Hoffnung im Bois spazieren, sie vorbeikommen zu sehen.« – »Ah!, aber das werde ich ihnen erzählen, sie werden äußerst geschmeichelt sein.«

Während Monsieur de Norpois diese Worte sprach, unterschied er sich noch für einen Augenblick in nichts von allen anderen, die mich von Swann als einem intelligenten Mann, von seinen Eltern als ehrenwerten Wechselmaklern, von seinem Haus als einem schönen Haus reden hörten, und glaubten, dass ich ebenso gern von einem anderen, gleichermaßen intelligenten Mann reden würde, von anderen gleichermaßen ehrenwerten Wechselmaklern, von anderen gleichermaßen schönen Häusern; es war der Augenblick, in dem ein geistig gesunder Mensch, der sich mit einem Verrückten unterhält, noch nicht gemerkt hat, dass es sich um einen Verrückten handelt. Monsieur de Norpois wusste, dass es nur natürlich ist, Freude am Anblick schöner Frauen zu haben, dass es zum geselligen Verhalten gehört, sich, wenn jemand hingerissen von ihnen spricht, den Anschein zu geben, man halte ihn für verliebt, ihn zu necken und ihm zu versprechen, seine Absichten zu fördern. Doch als er sagte, dass er mit Gilberte und ihrer Mutter von mir sprechen wolle (was es mir ermöglichen würde, wie ein olympischer Gott, der die Leichtigkeit eines Windhauchs oder eher noch das Aussehen jenes Greises angenommen hat, dessen Züge Minerva* entlehnt, selber, ungesehen, in den Salon von Madame Swann einzudringen, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, ihre [71] Gedanken zu beschäftigen, ihr Bewusstsein für meine Bewunderung zu erwecken, ihr als der Freund eines bedeutenden Mannes zu erscheinen, ihr zukünftig einer Einladung durch sie würdig zu erscheinen und damit in den engeren Kreis ihrer Familie einzutreten), erfüllte mich dieser bedeutende Mann, der das große Ansehen, das er in den Augen von Madame Swann hatte, zu meinen Gunsten zu verwenden beabsichtigte, schlagartig mit einer so großen Zuneigung, dass ich Mühe hatte, mich zurückzuhalten, seine weichen, weißen und runzligen Hände zu küssen, die wirkten, als hätten sie zu lange in warmem Wasser gelegen. Ich setzte zu der Geste nur eben an und meinte, nur ich hätte es bemerkt.