Wenn plötzlich dann die antwortende Stimme des Botschafters herniederging wie der Hammer eines Auktionators oder ein Orakelspruch in Delphi, beeindruckte sie einen noch umso mehr, als nichts in seinem Gesicht die Art von Eindruck hatte erahnen lassen, den man auf ihn gemacht hatte, noch auch das Urteil, das er verkünden würde.

»Genau«, sagte er plötzlich zu mir, als ob der Fall entschieden sei und nachdem er mich vor den unbewegten Augen, die mich nicht einen Augenblick losließen, hatte herumstottern lassen, »wie bei dem Sohn eines meiner Freunde, der, mutatis mutandis, ganz wie Sie ist« (und er bediente sich, um von unseren gemeinsamen Neigungen zu sprechen, eines solch beruhigenden Tones, als ob es sich dabei nicht um eine Neigung zur Literatur, sondern zum Rheumatismus handelte, und als ob er mir beweisen wollte, dass man daran nicht stirbt).

»Deshalb hat er es vorgezogen, dem Quai d’Orsay* den Rücken zu kehren, obwohl ihm dort der Weg durch seinen Vater schon [38] gebahnt war, und sich, ohne sich darum zu bekümmern, was man dazu sagen würde, ans Schreiben gemacht. Er hat gewisslich keinen Grund, dies zu bereuen. Er hat vor zwei Jahren – er ist übrigens wesentlich älter als Sie, naturgegebenermaßen – ein Werk veröffentlicht, welches das Gefühl der Unendlichkeit am Westufer des Viktoria-Njansa-Sees* zum Thema hat, und dieses Jahr ein weniger wichtiges, aber mit geschickter, bisweilen gar spitziger Feder geschriebenes Büchlein über das Repetiergewehr der bulgarischen Armee, die ihn unzweifelhaft jenseits seinesgleichen gerückt haben. Er hat schon eine hübsche Strecke zurückgelegt und ist nicht der Mann, unterwegs stehenzubleiben, und mir ist bekannt, dass man seinen Namen, ohne dass jedoch der Gedanke an eine Kandidatur ins Auge gefasst worden wäre, zwei- oder dreimal in der Akademie der Moralischen Wissenschaften* gesprächsweise hat fallen lassen, und zwar in einer Weise, der nichts Ungünstiges anhaftete. Alles in allem hat er, ohne dass man jedoch sagen könnte, er sei am Gipfel angelangt, in edlem Kampf eine durchaus hübsche Stellung erobert, und der Erfolg, der nicht immer nur den Unruhestiftern und Wirrköpfen zufällt, den Umstandskrämern, die auch sonst Krämerseelen sind, der Erfolg hat seine Anstrengungen belohnt.«

Mein Vater, der mich bereits in wenigen Jahren Akademiemitglied werden sah, verströmte eine Zufriedenheit, die Monsieur de Norpois noch zu ihrem Höhepunkt führte, als er mir, nach einem Augenblick des Zögerns, während dessen er die Folgen seiner Handlung abzuschätzen schien, seine Karte überreichte und dazu sagte: »Besuchen Sie ihn doch mit meiner Empfehlung, er wird Ihnen nützliche Ratschläge erteilen können«, Worte, mit denen er mich in eine ebenso schmerzliche Unruhe versetzte, wie wenn er mir angekündigt hätte, dass man mich am nächsten Tag als Moses an Bord eines Seglers anmustern würde.

Meine Tante Léonie hatte mir zusammen mit vielen eher [39] lästigen Gegenständen und Möbeln fast ihr ganzes Barvermögen vermacht – womit sie nach ihrem Tod eine Zuneigung zu mir zu erkennen gab, die ich während ihres Lebens kaum vermutet hatte. Mein Vater, der dieses Vermögen bis zu meiner Volljährigkeit zu verwalten hatte, zog Monsieur de Norpois über eine Reihe von Anlagemöglichkeiten zu Rate. Dieser empfahl Titel mit niedriger Verzinsung, die er für besonders solide hielt, vor allem englische Staatsanleihen und russische Vierprozenter*. »Bei diesen erstklassigen Werten«, sagte Monsieur de Norpois, »sind Sie, auch wenn die Erträge nicht bedeutend sind, jedenfalls sicher, das Kapital niemals schwinden zu sehen.« Mein Vater erzählte ihm in groben Zügen, was er für das übrige Geld gekauft hatte. Monsieur de Norpois zeigte ein fast unmerkliches Gratulationslächeln: Wie alle Kapitalisten schätzte er ein Vermögen als eine begrüßenswerte Angelegenheit, fand es aber vornehmer, nur mit einem kaum eingestandenen Zeichen des Einverständnisses demjenigen zu gratulieren, der darüber verfügte; zudem hielt er es, da er selbst kolossal reich war, für geschmackvoller, sich den Anschein zu geben, noch die geringfügigsten Einkünfte anderer für beachtenswert zu halten, mit einem gleichwohl freudigen und behaglichen Gedanken an die Überlegenheit der seinigen. Andererseits zögerte er nicht, meinen Vater zu der »Komposition« seines Depots »von sehr sicherem, sehr ausgewogenem, sehr feinem Geschmack« zu beglückwünschen. Man hätte meinen mögen, er messe den Beziehungen der Börsenwerte untereinander, und selbst den Börsenwerten als solchen, so etwas wie ein ästhetisches Verdienst bei. Von einem ziemlich neuen und wenig beachteten, von dem mein Vater ihm erzählte, sagte Monsieur de Norpois, darin ganz wie manche Leute, die Bücher gelesen haben, die sie allein zu kennen glaubten: »Aber ja, ich habe mich eine Zeitlang damit vergnügt, seine Notierung zu verfolgen, er war interessant«, mit dem nachträglich begeisterten [40] Lächeln eines Abonnenten, der den neuesten Zeitschriftenroman im Feuilleton in Fortsetzungen gelesen hat. »Ich würde Ihnen nicht davon abraten, die Emission zu zeichnen, die ja schon bald plaziert werden wird. Sie ist attraktiv, man bietet Ihnen die Papiere zu verlockenden Ausgabekursen an.« Wegen einiger älterer Werte dagegen öffnete mein Vater, der sich nicht genau der Namen entsinnen konnte, die ja so leicht mit denen ähnlicher Aktien zu verwechseln sind, eine Schublade und zeigte dem Botschafter die Titel selbst. Ihr Anblick bezauberte mich; sie waren mit Turmspitzen von Kathedralen und mit allegorischen Figuren verziert, wie gewisse ältere Veröffentlichungen aus der Romantik, die ich früher einmal durchgeblättert hatte. Alles, was aus derselben Zeit stammt, ähnelt sich; die Künstler, die die Gedichte einer Epoche illustrieren, sind dieselben, die von den Finanzgesellschaften beschäftigt werden. Und nichts lässt so sehr an bestimmte Lieferungen des Glöckners von Notre-Dame oder der Werke von Gérard de Nerval* denken, jener, die im Schaufenster des Kolonialwarenladens von Combray ausgehängt waren, wie, in ihrem rechteckigen beblümten, von Flussgottheiten gestützten Rahmen, eine Namensaktie der Wasserversorgungsgesellschaft.

Mein Vater hegte für meine Art von Begabung eine Geringschätzung, die durch Zärtlichkeit so hinreichend ausgeglichen wurde, dass im Endergebnis seine Einstellung gegenüber allem, was ich machte, aus blinder Nachsicht bestand. Daher zögerte er denn auch nicht, mich loszuschicken, um ein kleines Prosagedicht zu holen, das ich damals in Combray bei der Rückkehr von einem Spaziergang gemacht hatte. Ich hatte es in einer Erregung geschrieben, die sich, wie mir schien, jedem mitteilen musste, der es lesen würde. Aber es konnte Monsieur de Norpois nicht für sich gewinnen, denn als er es mir zurückgab, geschah dies, ohne auch nur ein Wort zu mir zu sagen.

[41]Meine Mutter, die großen Respekt vor den Angelegenheiten meines Vaters hatte, kam und fragte schüchtern, ob sie auftragen lassen könne. Sie hatte Angst, ein Gespräch zu unterbrechen, zu dem sie nicht hinzugezogen worden wäre. Und in der Tat griff mein Vater, sobald er den Marquis an irgendeine nützliche Maßnahme erinnerte, die sie bei der nächsten Kommissionssitzung zu unterstützen beschlossen hatten, zu jenem besonderen Ton, den zwei Kollegen in ungewohnter Umgebung – darin Schulkameraden vergleichbar – miteinander anschlagen, in denen professionelle Gewohnheiten gemeinsame Erinnerungen schaffen, zu welchen die anderen keinen Zugang haben und denen gegenüber sie sich dafür entschuldigen, vor ihnen darauf zu sprechen zu kommen.

Aber die vollendete Beherrschung der Gesichtsmuskulatur, zu der es Monsieur de Norpois gebracht hatte, gestattete ihm, zuzuhören, ohne dass er zu hören schien. Mein Vater wurde schließlich verunsichert: »Ich habe den Gedanken erwogen, den Rat der Kommission einzuholen …«, sagte er nach langen Vorreden zu Monsieur de Norpois. Nun enttrat dem Gesicht des aristokratischen Virtuosen, der in der Bewegungslosigkeit eines Orchestermitglieds verharrt hatte, dessen Einsatz noch nicht gekommen ist, in einem gleichmäßigen Vortrag, in einem verschärften Ton und als ob er ihn lediglich zu Ende führe, doch dieses Mal mit einer anderen Klangfarbe unterlegt, der begonnene Satz: »Die Sie wohlgemerkt nicht zögern werden einzuberufen, da Ihnen ja überdies die Mitglieder persönlich bekannt sind und leicht herbeizitiert werden können.« Offenkundig war dies an sich kein besonders bemerkenswerter Schluss. Doch durch die Unbeweglichkeit, die ihm vorangegangen war, stach er mit der kristallinen Klarheit, dem geradezu boshaften Überraschungsmoment jener Phrasen in Konzerten von Mozart hervor, mit denen das Klavier, bis dahin stumm, genau im richtigen Augenblick dem soeben verklungenen Cello antwortet.

[42]»Und du, warst du zufrieden mit deinem Theaterbesuch?« fragte mich mein Vater, während wir zu Tisch gingen, um mich glänzen zu lassen und weil er glaubte, dass meine Begeisterung einen guten Eindruck auf Monsieur de Norpois machen würde. »Er hat gerade die Berma gehört, Sie erinnern sich, dass wir darüber miteinander gesprochen haben«, sagte er, sich nun dem Diplomaten zuwendend, in einem Ton rückblickender, sachverständiger und geheimnisumwitterter Anspielung, als ob es sich um eine Kommissionssitzung handelte.

»Da müssen Sie entzückt gewesen sein, insbesondere wenn es das erste Mal war, dass Sie sie gehört haben. Ihr Herr Vater war beunruhigt ob der nachteiligen Auswirkungen, die diese kleine Eskapade auf Ihren Gesundheitszustand haben könnte, denn Sie sind, wie ich glaube, ein wenig empfindlich, ein wenig zart. Aber ich habe ihn beruhigt. Die Theater sind heute nicht mehr so, wie sie vor nur zwanzig Jahren noch waren. Sie bekommen leidlich bequeme Sitze und frische Luft, auch wenn wir noch allerhand zu tun haben, um mit Deutschland und England gleichzuziehen, die in dieser Hinsicht, wie auch in vielen anderen, einen erheblichen Vorsprung vor uns haben. Ich habe Madame Berma nicht in Phädra gesehen, aber man hat mir erzählt, dass sie hervorragend darin war. Und Sie sind natürlich hingerissen gewesen?«

Monsieur de Norpois, der tausendmal klüger war als ich, musste im Besitz jener Wahrheit sein, die ich nicht aus dem Spiel der Berma zutage zu fördern vermocht hatte, er würde sie mir enthüllen; mit meiner Antwort auf seine Frage wollte ich ihn zugleich bitten, mir zu sagen, worin diese Wahrheit bestand; damit würde er auch mein Verlangen, die Schauspielerin zu sehen, nachträglich rechtfertigen. Mir stand nur ein Augenblick zur Verfügung, ich musste ihn nutzen und meine Ausforschung auf die wesentlichen Punkte lenken. Aber welche waren das? Während ich meine [43] Aufmerksamkeit gänzlich auf meine so verworrenen Eindrücke richtete und nicht im entferntesten darauf aus war, die Bewunderung von Monsieur de Norpois zu erregen, sondern von ihm die ersehnte Wahrheit zu erlangen, versuchte ich gar nicht, die Worte, die mir fehlten, durch Gemeinplätze zu ersetzen, sondern stotterte und gestand schließlich in dem Versuch, ihn zu einer Erklärung herauszufordern, was an der Berma bewunderungswürdig war, dass ich enttäuscht gewesen sei.

»Wie das«, rief mein Vater aus, verärgert über den peinlichen Eindruck, den das Bekenntnis meines Unverständnisses bei Monsieur de Norpois hinterlassen mochte, »wie kannst du behaupten, dass du kein Vergnügen gehabt hast? Deine Großmutter hat uns erzählt, dass du dir nicht ein Wort von dem, was die Berma sagte, hast entgehen lassen, dass dir die Augen aus dem Kopf gefallen sind, dass sich niemand sonst im Saal so aufgeführt hat.«

»Ja schon, ich habe so gut wie ich konnte zugehört, um herauszufinden, was so bemerkenswert an ihr ist.