Auf jeden Fall ist sie sehr gut …« – »Wenn sie sehr gut ist, was willst du dann noch?« – »Einer der Umstände, die ganz sicherlich zum Erfolg der Madame Berma beigetragen haben«, sagte Monsieur de Norpois, wobei er sich geflissentlich an meine Mutter wandte, um sie nicht aus dem Gespräch auszuschließen und also gewissenhaft seine Höflichkeitspflicht gegenüber einer Gastgeberin zu erfüllen, »ist der vorzügliche Geschmack, den sie bei der Wahl ihrer Rollen beweist und der ihr immer einen uneingeschränkten Erfolg sichert, und zwar verdientermaßen. Sie spielt selten Mittelmäßiges. Sie sehen, sie hat sich an die Rolle der Phädra gewagt. Diesen Geschmack beweist sie übrigens auch bei ihren Kostümen, bei ihrem Spiel. Obwohl sie häufige und einträgliche Gastspiele in England und Amerika gegeben hat, so hat doch die Gewöhnlichkeit ich will nicht sagen von John Bull*, denn das wäre ungerecht, zumindest gegenüber dem [44] England der viktorianischen Zeit, aber die des Onkel Sam*, nicht auf sie abgefärbt. Niemals zu auffällige Farben, übertriebene Ausbrüche. Und dann diese wunderbare Stimme, die sie so trefflich beherrscht und auf der sie zum Entzücken spielt, ich wäre fast versucht zu sagen, wie eine Musikerin!«

Mein Interesse am Vortrag der Berma hatte seit dem Ende der Vorstellung beständig zugenommen, weil es nun nicht mehr den Zwängen und Einschränkungen der Wirklichkeit unterlag; aber ich verspürte das Bedürfnis, dafür Erklärungen zu finden, vor allem, als es sich, während die Berma spielte, gleichmäßig, in der Unteilbarkeit des Lebens, auf alles bezogen hatte, was sie meinen Augen, meinen Ohren darbot; es hatte nichts getrennt und unterschieden; außerdem war es glücklich, in diesen Lobreden auf die Schlichtheit und den guten Geschmack der Künstlerin einen vernünftigen Grund für sich zu entdecken, es zog sie mit seiner Aufnahmekraft an sich, bemächtigte sich ihrer wie der Optimismus eines Mannes, der berauscht ist von den guten Taten seines Nachbarn, in denen er einen Anlass zur Rührung sieht. »Das stimmt«, sagte ich mir, »welch schöne Stimme, welch Fernbleiben von Ausbrüchen, welch einfache Kostüme, welche Klugheit, Phädra gewählt zu haben! Nein, ich bin nicht enttäuscht gewesen.«

Das kalte Rind an Karotten machte seinen Auftritt, von dem Michelangelo unserer Küche auf riesige Kristalle von Aspik, gleich Blöcken von durchsichtigem Quarz, gebettet.

»Sie haben einen Küchenchef erster Güte, gnädige Frau«, sagte Monsieur de Norpois. »Und das ist keine Kleinigkeit. Ich, der ich in der Fremde einen gewissen Stil des Hauses aufrechtzuerhalten hatte, ich weiß, wie schwierig es häufig ist, einen perfekten Küchenchef zu finden. Das ist ja ein wahres Liebesmahl, zu dem Sie uns da geladen haben.«

Und tatsächlich hatte Françoise, von dem Ehrgeiz [45] aufgestachelt, vor einem bedeutenden Gast mit einem Essen aufzuwarten, das endlich die Schwierigkeiten bereitete, die ihrer würdig waren, eine Mühe aufgeboten, die sie sich nicht mehr machte, wenn wir allein waren, und ihren unvergleichlichen Stil von Combray wiedergefunden.

»So etwas, das kann man im Wirtshaus nicht bekommen, und ich sage, auch nicht in den besten: ein Rinderbraten en daube, bei dem der Aspik nicht nach Leim schmeckt und bei dem das Rind vom Aroma der Karotten angenommen hat, das ist beachtlich! Gestatten Sie mir, darauf zurückzukommen«, fügte er hinzu und wies auf den Aspik, um anzudeuten, dass er davon nachnehmen wollte. »Ich hätte nicht übel Lust, Ihren Vatel* jetzt mit einer ganz anderen Aufgabe zu prüfen, ich würde ihn zum Beispiel gern im Gefecht mit dem Bœuf Stroganoff sehen.«

Monsieur de Norpois tischte uns, um auch seinerseits zur angenehmen Stimmung der Mahlzeit beizutragen, verschiedene Histörchen auf, mit denen er häufig seine Berufskollegen freihielt, und zitierte bald den lächerlichen, gewundenen Satz eines Politikers, dem das öfter passierte und der sie ausgedehnt und gespickt mit zusammenhanglosen Bildern anrichtete, bald die kernige Formulierung eines Diplomaten voller attischem Salz. Aber ehrlich gesagt ähnelte das Kriterium, das für ihn diese beiden Klassen von Sätzen unterschied, in keiner Weise dem, das ich auf die Literatur anwandte. Eine Reihe von Feinheiten entging mir; die Worte, die er laut lachend rezitierte, kamen mir nicht sehr verschieden vor von denjenigen, die er bemerkenswert fand. Er gehörte jener Gattung von Menschen an, die über die Werke, die ich liebte, gesagt hätten: »So so, Sie verstehen das? Ich jedoch, ich muss bekennen, dass ich es nicht verstehe, ich gehöre nicht zu den Eingeweihten«, aber ich hätte ihm das gleiche zurückgeben können, ich erfasste weder den Geist noch die Dummheit, die Redegewandtheit oder [46] Schwülstigkeit, die er in einer Erwiderung oder in einem Gespräch entdeckte, und das Fehlen jeglichen erkennbaren Grundes, weshalb dieses schlecht war und jenes gut, bewirkte, dass für mich diese Art von Literatur noch geheimnisvoller war, mir noch dunkler erschien als jede andere. Ich konnte lediglich feststellen, dass die Wiederholung dessen, was alle Welt dachte, in der Politik kein Merkmal der Minderwertigkeit, sondern der Überlegenheit darstellte. Wenn Monsieur de Norpois sich bestimmter Wendungen bediente, die sich durch die Zeitungen zogen, und sie mit Nachdruck verkündete, spürte man, wie sie schon allein durch die Tatsache, dass er sie benutzt hatte, zu einer Tat wurden, und zu einer Tat, die Stellungnahmen auslösen würde.

Meine Mutter setzte große Erwartungen in den Ananassalat mit Trüffeln. Doch der Botschafter aß ihn, nachdem er einen Augenblick seinen durchdringenden Beobachterblick auf dem Gericht hatte ruhen lassen, in diplomatisches Schweigen gehüllt und eröffnete uns nicht seine Gedanken. Meine Mutter drängte ihn, sich davon nachzunehmen, was Monsieur de Norpois auch tat, wobei er jedoch statt des Kompliments, das man erwartete, lediglich sagte: »Ich gehorche, gnädige Frau, denn da ich sehe, dass Sie es wünschen, ist es für mich wie ein Ukas*.« – »Wir haben in den ›Blättern‹ gelesen, dass Sie sich lange mit König Theodosius unterhalten haben«, sagte mein Vater. – »In der Tat, der König, der über ein selten anzutreffendes Gedächtnis für Physiognomien verfügt, hat die Güte gehabt, sich, als er mich in der Orchesterloge bemerkte, zu entsinnen, dass ich die Ehre hatte, ihm im Verlaufe einiger Tage am Hofe von Bayern zu begegnen, als er sich noch nicht mit dem Gedanken an seinen östlichen Thron trug (Sie wissen, dass er durch einen europäischen Kongress berufen wurde und dass er selbst außerordentlich gezögert hat, ihn anzunehmen, da er dieses Königtum als ein wenig unpassend für seine Rasse einschätzte, der, aus [47] heraldischer Sicht, edelsten in ganz Europa). Ein Adjutant brachte mir den Auftrag, Seine Majestät zu begrüßen, deren Befehl nachzukommen ich mich selbstverständlich gesputet habe.« – »Sind Sie mit den Ergebnissen seines Aufenthalts zufrieden gewesen?« – »Entzückt! Es war durchaus gegeben, einiges an Besorgnis zu hegen bezüglich der Art und Weise, in der ein noch so junger Monarch sich aus dieser schwierigen Engführung ziehen würde, insbesondere bei so heiklen Begleitumständen. Ich für mein Teil hatte vollstes Vertrauen in das politische Gespür des Herrschers. Aber ich gestehe, dass meine Erwartungen noch übertroffen worden sind. Die Grußadresse, die er im Élysée vorbrachte und die, den Informationen zufolge, die mir aus absolut zuverlässiger Quelle zugekommen sind, vom ersten bis zum letzten Wort von ihm selbst komponiert worden war, entsprach in Gänze der Erwartung, die ihr allseits entgegengebracht worden ist. Sie ist ganz entschieden ein meisterhafter Wurf; etwas kühn, will ich zugeben, doch von einem Freimut, den der Ausgang letztlich vollkommen gerechtfertigt hat. Die diplomatischen Gepflogenheiten haben gewiss ihr Gutes, doch im Laufe der Zeit hatten sie schließlich sein Land und das unsrige in einer stickigen Atmosphäre leben lassen, die nicht mehr zu atmen war. Nun gut!, eine der Möglichkeiten, für frische Luft zu sorgen, offenkundig eine von jenen, die man nicht empfehlen kann, die sich der König Theodosius jedoch erlauben konnte, besteht darin, die Scheiben einzuschlagen. Und das hat er mit so heiterer Stimmung getan, dass alle Welt entzückt war, und zudem mit Urteilsvermögen in der Wahl der Ausdrücke, in denen man sofort die Rasse gebildeter Fürstlichkeiten erkannt hat, der er vonseiten seiner Mutter zugehört. Zweifelsohne war, als er von den ›Wahlverwandtschaften‹* sprach, die sein Land mit Frankreich verbinden, der Ausdruck, so selten er auch im Vokabular der Staatskanzleien gebraucht werden mag, ganz einzigartig glücklich [48] gewählt. Sie sehen, dass die Literatur nicht schadet, selbst nicht in der Diplomatie, selbst nicht auf dem Thron«, fügte er zu mir gewandt hinzu. »Die Sache als solche war schon seit langem anerkannt, das gebe ich gern zu, und die Beziehungen zwischen den beiden Mächten hatten sich ausgezeichnet entwickelt.