»Und ich zu Ihrer«, antwortete der Schreiber.

»Was habe ich zu tun?«

»Folgendes: mir mit klarer und langsamer Stimme die einzelnen Posten aus dem Journal zu diktieren, die ich ins Große Hauptbuch übertrage! Keinen Irrtum bitte! Sprechen Sie deutlich. Bruststimme!

Keinen Fehler! Eine einzige durchgestrichene Stelle, und ich bin entlassen.«

Das war die gesamte Einführung, und die Arbeit begann.

Quinsonnas war ein dreißigjähriger Bursche, der aufgrund seines überaus strengen Gehabes wie vierzig wirken mochte.

Jedoch durfte man ihn nicht allzu aufmerksam mustern, denn unter dieser schrecklichen Ernsthaftigkeit hätte man schließlich sehr viel in Zaum gehaltene Fröhlichkeit und einen verteufelt geistreichen Gesichtsausdruck ausmachen können. Nach drei Tagen meinte Michel etwas davon zu bemerken.

Und doch verfügte der Buchhalter in den Büros über einen soliden Ruf der Schlichtheit, um nicht zu sagen der Dummheit; über ihn wurden Geschichten erzählt, die einen Calino jener Zeit in den Schatten gestellt hätten! Aber durch seine Zuverlässigkeit und seine schöne Schrift besaß er zwei unbestreitbare Qualitäten; in der Großen Bastardschrift mußte man seinesgleichen suchen, und in der Umgekehrten Schrägschrift ließ er keine Rivalen neben sich aufkommen.

Was seine Zuverlässigkeit angeht, hätte man sie sich nicht vollkommener wünschen können, denn dank seiner sprichwörtlichen Intelligenzlosigkeit war er zwei für einen Kommis äußerst lästigen Verpflichtungen entkommen, nämlich der Geschworenenbank und der Nationalgarde. Diese beiden großartigen Institutionen übten im Jahr der Gnade 1960 noch immer ihre Tätigkeit aus.

Die Umstände, unter denen Quinsonnas von den Listen der einen und aus dem Register der anderen gestrichen wurde, waren folgende.

Ungefähr ein Jahr zuvor hatte ihn das Schicksal auf die Geschworenenbank geführt; es ging um eine sehr ernste, vor allem aber auch sehr lange Schwurgerichtsangelegenheit; sie dauerte schon eine Woche; man hoffte, sie endlich zu einem Abschluß zu bringen, und stand kurz vor der Einvernahme der letzten Zeugen; doch man hatte die Rechnung ohne Quinsonnas gemacht. Mitten in der Verhandlung erhob er sich und bat den Gerichtspräsidenten, dem Angeklagten eine Frage stellen zu dürfen. Dem wurde stattgegeben, und der Angeklagte beantwortete die Nachfrage seines Geschworenen.

»Na, dann«, sagte Quinsonnas mit lauter Stimme, »liegt es doch klar auf der Hand, daß der Angeklagte unschuldig ist.«

Man stelle sich einmal vor, was das hieß! Es ist den Geschworenen verboten, während der Verhandlungen ihre Meinung zu äußern, denn dies würde eine Annullierung nach sich ziehen!

Wegen Quinsonnas' Ungeschicklichkeit wurde die ganze Angelegenheit also auf eine weitere Sitzung vertagt! Und alles mußte noch einmal von vorne begonnen werden; und da der unverbesserliche Geschworene unabsichtlich oder vielmehr aus Naivität den gleichen Fehler wieder beging, konnte in keinem Fall ein Urteil gesprochen werden!

Was sollte man diesem Unglücksraben Quinsonnas vorwerfen?

Natürlich sprach er gegen seinen Willen, unter der Aufregung der Verhandlungen; seine Gedanken gingen mit ihm durch! Es war eine Schwäche, aber nachdem die Gerechtigkeit schließlich doch ihren Lauf nehmen mußte, wurde er ein für alle Mal aus der Geschworenenliste gestrichen.

Bei der Nationalgarde war es ganz anders verlaufen.

Als er zum ersten Mal vor dem Tor seines Rathauses Posten stand, nahm er seine Aufgabe ernst; er pflanzte sich militärisch vor seinem Wachhäuschen auf, mit geladenem Gewehr, den Finger auf dem Abzug und zum Feuern bereit, als müsse der Feind gleich aus einer Seitenstraße hervorbrechen. Natürlich bestaunte man diese übereifrige Schildwache, es kam zu Menschenansammlungen; ein paar harmlose Passanten lächelten. Dies mißfiel dem scheuen Nationalgardisten; er verhaftete einen, dann zwei, dann drei; nach zwei Stunden Torwache hatte er die Wachstube gefüllt. Beinahe wäre ein Aufruhr entstanden.

Was konnte man ihm schon vorwerfen? Er war im Recht; er behauptete, verhöhnt worden zu sein, während er unter Waffen stand! Er war der Fahne treu ergeben. Bei der nächsten Wache geschah wiederum das gleiche, und da weder sein Eifer noch seine alles in allem sehr ehrenwerte Empfindlichkeit gemäßigt werden konnten, strich man ihn aus dem Register.

Man hielt Quinsonnas im Grunde für einen Einfaltspinsel, doch auf diese Weise mußte er fürderhin weder auf die Geschworenenbank noch zur Nationalgarde.

Nachdem Quinsonnas von diesen beiden großen gesellschaftlichen Verpflichtungen befreit war, wurde ein vorbildlicher Buchhalter aus ihm.

Einen Monat lang diktierte Michel regelmäßig; seine Arbeit war leicht, doch sie ließ ihm keinen Augenblick Freiheit; Quinsonnas schrieb und warf zuweilen einen erstaunlich geistvollen Blick auf den jungen Dufrénoy, wenn dieser sich daran machte, mit inspiriertem Tonfall die einzelnen Posten des Großen Hauptbuches vorzutragen.

»Komischer Bursche«, sagte er sich in seinem Inneren;

»eigentlich macht er den Eindruck, über seinem Beruf zu stehen!

Warum hat man ihn, Boutardins Neffen, hierher gesetzt? Um mich abzulösen? Unmöglich! Er schreibt wie der letzte Schmierfink! Ist er wirklich ein junger Dummkopf? Ich muß mir Gewißheit verschaffen!«

Michel seinerseits hing ähnlichen Überlegungen nach.

»Dieser Quinsonnas spielt mit verdeckten Karten!« sagte er sich.

»Ganz augenscheinlich ist er nicht dazu geboren, ewig die Buchstaben F oder M zu malen! Es gibt Augenblicke, wo ich ihn in petto schallend lachen höre! Woran er wohl denkt?«

Auf diese Weise beobachteten sich die zwei Genossen des Großen Hauptbuches gegenseitig; es kam vor, daß sie sich mit einem reinen und offenherzigen Blick anschauten, aus dem ein mitteilsamer Funke sprühte. So konnte es nicht weitergehen, Quinsonnas verzehrte sich vor Verlangen, endlich Fragen zu stellen, und Michel, endlich zu antworten, und eines schönen Tages, er wußte eigentlich nicht warum, einfach um sein Herz auszuschütten, fühlte sich Michel dazu gedrängt, alles über sein Leben zu erzählen; er tat es mit Hingabe, erfüllt von allzu lange unterdrückten Gefühlen. Bestimmt war Quinsonnas gerührt, denn er drückte warmherzig die Hand seines jungen Gefährten.

»Aber Ihr Vater«, fragte er ihn.