»War Komponist.«

»Was! Jener Dufrénoy, der die letzten Seiten hinterlassen hat, auf welche die Musik stolz sein kann!«

»Genau der.«

»Ein Mann von Genie«, antwortete Quinsonnas temperamentvoll, »arm und verkannt, mein liebes Kind, und mein Lehrmeister!«

»Ihr Lehrmeister!« sagte Michel überrascht.

»Nun, denn! Ja!« rief Quinsonnas und schwang seine Feder.

»Zum Teufel mit der Zurückhaltung! Io son pictor! Ich bin Musiker!«

»Ein Künstler!« erwiderte Michel.

»Ja! Aber nicht so laut! Man würde mich hinauswerfen«, sagte Quinsonnas und dämpfte somit die Überraschung des jungen Mannes.

»Aber ...«

»Hier bin ich Buchführer; der Schreiber ernährt den Musiker, bis zu dem Augenblick ...«

Er hielt inne und starrte Michel an.

»Nun, was?« meinte dieser.

»Nun, bis zu dem Augenblick, in dem ich eine brauchbare Erfindung gemacht habe!«

»In der Industrie!« antwortete Michel enttäuscht.

»Nein, mein Sohn!« antwortete Quinsonnas väterlich. »In der Musik!«

»In der Musik?«

»Kein Wort! Fragen Sie mich nicht aus! Es ist ein Geheimnis; aber ich will mein Jahrhundert in Erstaunen versetzen! Lachen Sie nicht! Das Lachen wird in unserer Zeit, die nur den Ernst kennt, mit dem Tode bestraft!«

»Sein Jahrhundert in Erstaunen versetzen«, wiederholte der junge Mann gedankenverloren.

»So lautet meine Devise«, antwortete Quinsonnas; »es in Erstaunen versetzen, denn bezaubern kann man es nicht mehr!

Ebenso wie Sie, bin auch ich hundert Jahre zu spät geboren; machen

Sie es wie ich, arbeiten Sie! Verdienen Sie sich Ihr Brot, da wir nun einmal diese unappetitliche Aufgabe haben: zu essen! Ich werde Sie stolzen Mutes in das Leben einweihen, wenn es Ihnen recht ist; seit fünfzehn Jahren ernähre ich mein Individuum in unzureichender Weise, und ich habe gute Zähne gebraucht, um zu zermalmen, was das Schicksal mir in den Mund gestopft hat! Aber immerhin, mit einem guten Kiefer kommt man durch! Glücklicherweise bin ich auf eine Art Beruf gestoßen; ich habe eine schöne Hand, wie man so sagt!

Donnerwetter noch einmal! Wenn ich meine Hände verlieren würde, was sollte dann aus mir werden? Weder Klavier noch Großes Hauptbuch! Ach, was! Nach einiger Zeit würde man mit den Füßen spielen! Ja, ja! Ich denke darüber nach! Denn genau das könnte doch mein Jahrhundert in Erstaunen versetzen.«

Michel konnte ein Lachen nicht unterdrücken.

»Lachen Sie nicht, Unseliger!« fuhr Quinsonnas fort, »das ist im Hause Casmodage untersagt! Sehen Sie nur, ich habe ein Gesicht, das Steine erweichen kann, und eine Miene, die das Wasserbecken der Tuilerien mitten im Juli zum Einfrieren bringt! Bestimmt wissen Sie, daß amerikanische Philanthropen sich einst ausgedacht hatten, ihre Häftlinge in runde Gefängnisse zu sperren, um ihnen nicht einmal mehr die Zerstreuung durch die Ecken zu gönnen. Nun, mein Sohn, die heutige Gesellschaft ist rund wie jene Gefängnisse!

Deshalb langweilt man sich in ihr nach Herzenslust!«

»Aber«, entgegnete Michel, »mir scheint, daß Sie sich in Ihrem Innersten einen Rest an Fröhlichkeit bewahrt haben ...«

»Hier nicht! Aber bei mir zu Hause ist das etwas anderes! Sie werden mich besuchen kommen! Ich werde Ihnen gute Musik vorspielen! Aus der alten Zeit!«

»Wann immer es Ihnen genehm ist«, antwortete Michel erfreut;

»aber ich muß frei bekommen ...«

»Gut! Ich werde sagen, daß Sie Diktierstunden brauchen. Aber hier keine solchen subversiven Gespräche mehr! Ich bin ein Rädchen, Sie sind ein Rädchen! Wir wollen uns drehen und die Litaneien der Heiligen Buchhaltung wiederaufnehmen!«

»Kasse für Diverses«, fuhr Michel fort.

»Kasse für Diverses«, wiederholte Quinsonnas.

Und die Arbeit ging weiter. Von diesem Tag an war das Leben des jungen Dufrénoy spürbar verändert; er besaß einen Freund; er sprach; er konnte sich verständlich machen, glücklich wie ein Stummer, der die Sprache wiedergefunden hat. Die Gipfel des Großen Hauptbuches erschienen ihm nicht mehr wie verödete Spitzen, und er atmete ungezwungen in diesen Höhen. Bald schon erwiesen die beiden Kameraden einander die Ehre des trauten Du.

Quinsonnas weihte Michel in alle von ihm erworbenen Erfahrungen ein, und dieser dachte in seinen schlaflosen Nächten an die Enttäuschungen dieser Welt; in der Früh kam er von seinen nächtlichen Gedanken aufgewühlt ins Büro, und er redete auf den Musiker ein, dem es nicht gelingen wollte, ihn zum Schweigen zu bringen.

Bald schon war das Große Hauptbuch nicht mehr auf dem letzten Stand.

»Deinetwegen werden wir noch einen groben Fehler begehen«, wiederholte Quinsonnas unaufhörlich, »und dann wird man uns vor die Tür setzen!«

»Aber ich muß doch sprechen«, antwortete Michel.

»Nun gut«, sagte Quinsonnas eines Tages zu ihm, »noch heute abend kommst du zum Essen zu mir, zusammen mit meinem Freund Jacques Aubanet.«

»Zu dir! Aber die Beurlaubung?«

»Die habe ich. Wo waren wir stehengeblieben?«

»Liquidationskasse«, fuhr Michel fort.

»Liquidationskasse«, wiederholte Quinsonnas.

Siebtes Kapitel

Drei für die Gesellschaft nutzlose Mäuler Nach Büroschluss machten sich die beiden Freunde auf den Weg zu Quinsonnas' Wohnung in der Rue Grange-aux-Belles; Arm in Arm marschierten sie los; Michel, glücklich über seine Freiheit, schritt einher wie ein siegreicher Eroberer.

Die Rue Grange-aux-Belles lag recht weit vom Bankhaus entfernt; aber es war zu dieser Zeit schwierig, in einer für ihre fünf Millionen Einwohner zu kleinen Hauptstadt eine Unterkunft zu finden; man hatte so viele Plätze vergrößert, Chausseen angelegt und Boulevards gebaut, daß es für Privatquartiere allmählich an Grundstücken mangelte. Genau darauf bezog sich ein Sprichwort aus jener Zeit: In Paris gibt es keine Häuser mehr, es gibt nur noch Straßen!

Manche Viertel boten den Bürgern der Hauptstadt keine einzige Wohnmöglichkeit, unter anderen die Ile de la Cité, wo nur noch das Handelsgericht, der Justizpalast, die Polizeipräfektur, die Kathedrale und das Leichenschauhaus emporragten, das heißt also alles, was notwendig war, um bankrott erklärt, verurteilt, eingesperrt, begraben oder sogar wieder aus dem Wasser gefischt zu werden. Die öffentlichen Gebäude hatten die Häuser verjagt.

Dies erklärte die übertrieben hohen Mieten; die Allgemeine Kaiserliche Immobiliengesellschaft besaß, gemeinsam mit der Bodenkreditbank, nahezu ganz Paris und schüttete großartige Dividenden aus. Diese Gesellschaft, die sich zwei geschickten Finanzmännern des 19.