Was nützte denn das alles!
In der Wand waren das Polizeiohr und daneben das Polizeiauge eingebaut, welche Tag und Nacht in Betrieb waren. Jedermann fand dies natürlich: Was für Spionage- und Verschwörungsherde konnten die Elternräume nicht werden, besonders wenn sie auch noch als Besuchsräume benutzt wurden! Später, als ich einen so tiefen Einblick in das Familienleben verschiedener Mitsoldaten gewann, mußte ich das Polizeiohr und -auge in engen Zusammenhang mit der enttäuschenden Geburtenkurve im Weltstaat bringen. Aber ich glaube kaum, daß diese beiden »Instrumente« mein Blut so schnell wieder beruhigten. Früher wäre dies jedenfalls nie vorgekommen. Was die geschlechtlichen Beziehungen anbetraf, so hatte unser Weltstaat nicht die mindeste asketische Einstellung. Im Gegenteil, es war ja notwendig und ehrenhaft, neue Mitsoldaten zu zeugen, und alles wurde getan, um Männern und Frauen die Gelegenheit zu geben, in dieser Hinsicht ihre Pflicht zu erfüllen. Anfänglich hatte ich auch nichts dagegen gehabt, wenn höhere Instanzen ab und zu konstatierten, daß ich ein Mann sei. Es war eher ein Ansporn gewesen. Früher hatte über unseren Nächten der Schimmer einer festlichen Illusion gelegen. Damals waren wir beide nichts anderes als feierlich ergriffene und verantwortungsbewußte Vollbringer eines Rituals, das einzig dem Wohl des Staates galt. Aber im Laufe der Jahre war eine Veränderung eingetreten. Während ich mich früher auch in meinen intimsten Vorhaben meist fragte, wie ich von der Macht, die sich auch des Auges in der Wand bediente, eingeschätzt würde, stellte diese Macht jetzt mehr und mehr einen quälenden Druck dar und das gerade in Augenblicken, in denen ich mich am heißesten nach Linda und dem nie erreichten und nie erreichbaren Wunder, welches mich zum Herrn über ihre innersten Rätsel machen sollte, sehnte. Das Auge schaute mich noch an, doch war es Lindas. Ich begann zu ahnen, daß meine Liebe eine ungebührlich private Wendung genommen hatte, und dieser Gedanke quälte mein Gewissen. Der Zweck der Ehe waren ja Kinder, was aber hatte das mit abergläubischen Träumen von Schlüsseln und Gewalt zu tun! Vielleicht war diese gefährliche Wendung in meiner Ehe ein Grund mehr zur Scheidung. Im geheimen fragte ich mich, ob andere Ehescheidungen um uns herum dieselben Ursachen haben mochten …
Ich wollte schlafen, konnte aber nicht. Das Schreiben vom Siebenten Büro des Propagandaministeriums ließ mich nicht locker, und ich konnte keine Ruhe finden.
Ein begeisterter Kämpfer ist erfolgreicher als ein zweifelnder, das stimmt natürlich, es ist logisch. Und was soll man mit den Zweiflern tun? Wie soll man sie zur vollen Begeisterung zwingen?
Eine unheimliche Entdeckung: hier lag ich und fühlte mich im Namen der Zweifelnden unruhig, als sei ich selber einer von ihnen. So weit durfte es nicht kommen. Ich wollte nicht wankelmütig werden. Ich war ein ganz und gar überzeugter Mitsoldat, ohne einen Tropfen Falschheit und Verrat. Die Unnützen sollten fort. Auch sie, die magere, beherrschte Mutter vom Fest. Erschießet die Zweifelnden! sollte von jetzt an mein Losungswort heißen. Und deine eigene Ehe? fragte leise eine böse Stimme. Darauf hatte ich eine Antwort: Wenn es nicht besser wird, lassen wir uns scheiden. Selbstverständlich werde ich mich scheiden lassen. Aber nicht bevor die Kinder das Heimalter überschritten haben.
Und plötzlich überkam mich ein Gedanke, der mir Klarheit und Erleichterung brachte: Meine eigene Erfindung war ja im Sinne des Schreibens vom Siebenten Büro. Hatte ich nicht selbst mit der Hausgehilfin im selben Geist gesprochen? Dank meiner Erfindung würde man mir glauben und verzeihen. In meiner Arbeit hatte ich mich als zuverlässig erwiesen und das wog doch wohl schwerer als ein paar unbesonnen hingeworfene Worte anläßlich eines unbedeutenden Festes.
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