Trotz allem war ich ein guter Mitsoldat und würde vielleicht ein noch besserer werden.

Bevor ich einschlief, mußte ich leise vor mich hin lachen. Wie einem manchmal gerade vor dem Einschlafen launische Bilder ins Bewußtsein gerufen werden, sah ich, wie der häßliche kleine Mann vom Fest mit Angstschweiß auf der Stirn und einer Warnung in der Hand dastand – der große Rothaarige hatte ihn angezeigt wegen seines Versuches, die Festfreude zu stören und die Maßnahmen des Staates pessimistisch zu beurteilen. Das war eigentlich noch schlimmer …

4

Weder nach dem Morgenturnen noch sonst war es meine Gewohnheit, zu trödeln, aber ich glaube, daß ich mich an jenem Morgen besonders eilig geduscht und die Arbeitsuniform übergestreift hatte, um meinen Kontrollchef fertig in Achtungstellung erwarten zu können. Als er endlich erschien, war es natürlich Rissen. Genau wie ich vermutet hatte.

Wenn ich enttäuscht war, hoffte ich, daß es mir wenigstens äußerlich nicht anzumerken war. Es hatte eine kleine Möglichkeit bestanden, daß es ein anderer sein würde, aber doch war es Rissen. Und wie er vor mir stand, unansehnlich und in seiner Haltung fast unsicher, wurde mir klar, daß ich ihn nicht verabscheute, weil es zwischen ihm und Linda vielleicht etwas zu entdecken gab, sondern daß ich den Gedanken an ein Liebesverhältnis zwischen ihnen beiden nur mißbilligte, eben weil es sich um Rissen handelte. Irgend jemand anders, nur er nicht. Unnötige Hindernisse würde Rissen meiner wissenschaftlichen Arbeit sicher nicht in den Weg legen, dazu war er zu bescheiden. Ich allerdings hätte mir lieber einen weniger bescheidenen und hinterlistigen Kontrollchef gewünscht, jemanden, an dem ich meine eigene Stärke hätte messen können – dem ich aber gleichzeitig mehr Hochachtung hätte zollen können. Für Rissen konnte ich keine Achtung empfinden, er unterschied sich von den andern zu sehr, er war lächerlich. Es war nicht so leicht auszudrücken, was dem Mann fehlte. Dachte man aber an das Wort »Marschtakt«, bekam man einen gewissen Begriff von ihm. Die bestimmte Haltung, die klare und gemessene Art, sich auszudrücken, das einzig Natürliche und Würdevolle für einen erwachsenen Mitsoldaten, lagen Rissen nicht. Manchmal konnte er allzu eifrig werden, seine Worte überschlugen sich, er konnte sich sogar unabsichtlicher, komischer Handbewegungen schuldig machen. Inzwischen konnte er lange, unbegründete Pausen einlegen, in Gedanken versinken, und hin und wieder entschlüpfte ihm dann wohl ein unbedachtes Wort, das nur Eingeweihte verstanden. Im Beisein von Untergeordneten konnten fast animalische, unbeherrschte Zuckungen über sein Gesicht huschen, besonders wenn von Dingen die Rede war, die ihn interessierten. Einerseits wußte ich, daß er sich als Wissenschaftler äußerst verdient gemacht hatte; anderseits konnte ich, obwohl er mein Chef war, nicht darüber hinwegsehen, daß ein Mißverhältnis zwischen seinem Wert als Wissenschaftler und seinem Wert als Mitsoldat bestand.

»Tja«, begann er langsam, als sei die Arbeitszeit sein Privateigentum. »Tja, ich habe ja einen sehr ausführlichen Bericht über die ganze Sache erhalten. Ich glaube, daß ich über alles unterrichtet bin.«

Und er begann meinen Bericht in den wichtigsten Punkten zu wiederholen.

»Mein Chef«, warf ich ungeduldig ein, »ich habe mir schon erlaubt, fünf Personen vom Freiwilligen Opferdienst herzubestellen. Sie warten in der Korridorhalle.« Mürrisch sah er mich mit seinen nachdenklichen Augen an. Ich hatte das Gefühl, daß er mich kaum sah. Er war wirklich merkwürdig.

»Ja, rufen Sie einen von ihnen herein«, sagte er. Es hörte sich so an, als denke er laut. Es klang nicht wie ein Befehl. Ich gab ein Klingelzeichen in die Wartehalle. Gleich darauf kam ein Mann herein, den einen Arm in der Schlinge. Er blieb bei der Tür stehen, grüßte und meldete sich als Nr. 135 vom Freiwilligen Opferdienst.

Leicht gereizt fragte ich, ob es denn wirklich ganz unmöglich sei, eine gesunde Versuchsperson zu schicken. Während meiner Arbeit als Assistent in einem der medizinischen Laboratorien war es geschehen, daß meinem damaligen Chef eine Frau zur Verfügung gestellt wurde, deren Drüsensystem noch von einem vorherigen Versuch angegriffen war, und ich erinnerte mich sehr gut daran, daß dieser Umstand das ganze Resultat der Untersuchungen verändert hatte.