Ich dachte, es wäre schön zu sterben. Man könnte mit den Armen schlagen, man könnte röcheln. Ich habe einmal jemanden im Heim sterben sehen – er schlug mit den Armen um sich und röchelte. Es war schrecklich. Aber es war nicht nur schrecklich. Man kann es nicht nachmachen. Aber seither habe ich immer gedacht, daß es wohl schön wäre, sich ein einziges Mal so benehmen zu können. Man muß ja. Man kann es nicht zurückhalten. Wäre es freiwillig, würde man es als ungebührlich ansehen. Aber es ist nicht freiwillig. Kein anderer hat das Recht, einen daran zu hindern. Man tut es einfach. Wenn man stirbt, kann man sich benehmen, wie man will, ohne daß irgend jemand einen zurückhalten kann.«

Ich stand da und spielte mit einem Glasstab.

»Der Mann muß irgendwie pervers sein«, sagte ich leise zu Rissen. »So reagiert kein gesunder Mitsoldat.«

Rissen antwortete nicht.

»Können Sie wirklich so unverschämt sein und die Verantwortung …«, begann ich heftig die Versuchsperson zurechtzuweisen. Ich bemerkte, daß Rissen mir einen langen Blick zuwarf. Einen Blick, der gleichzeitig kalt und belustigt schien, und ich fühlte, wie ich bei dem Gedanken errötete, daß er jetzt glaubte, ich wolle mich vor ihm wichtig machen. (Ein sehr ungerechter Gedanke, fand ich.) Jedenfalls mußte ich den Satz beenden und fuhr in bedeutend ruhigerem Tone fort: »… auf andere abschieben, weil Sie einen Beruf gewählt haben, den Sie nachträglich als unpassend für sich erachten?«

Nr. 135 reagierte nicht auf den Ton der Stimme, sondern nur auf die Frage selbst.

»Andere?« fragte er. – »Ich selbst? Aber ich will ja gar nicht. Obwohl es wahr ist, daß ich wollte. Wir waren zehn von meiner Abteilung, die sich angemeldet hatten, mehr als von irgendeiner andern des ganzen Jugendlagers, als wenn ein Orkan über das Lager gegangen wäre – ich habe mich oft gewundert, wie es dazu kam. Alles, Vorträge, Filme, Gespräche, mündete in den Freiwilligen Opferdienst. Und in den ersten Jahren dachte ich noch: Es war dies alles wert. Wir gingen hin und meldeten uns an, verstehen Sie. Und wenn man seinen Nachbarn ansah, glaubte man kaum noch, einen Menschen vor sich zu haben. Die Gesichter, verstehen Sie. Wie Feuer. Nicht wie Fleisch und Blut. Heilig, göttlich.