Nicht gerade vielversprechende Aussichten. Ich muß zugeben, daß ich ein wenig überrascht war zu sehen, wie aufrichtig und schnell diese Mitsoldaten gehandelt hatten – natürlich nur erfreulich, wenn es sich nicht um das Experiment gehandelt hätte. Sicher war, daß der Versuch wiederholt werden mußte. Mindestens einige sichere Fälle mußten wir aufbringen können, bevor der Staat die Erfindung anwenden würde.

Wir forderten also noch einmal zehn verheiratete Versuchspersonen an, und ich unterrichtete sie in derselben Weise wie die am Tage zuvor. Alles verlief genau gleich. Der einzige Unterschied bestand darin, daß alle in einem noch schlimmeren Zustand waren als die vom Tage zuvor. Einige kamen sogar auf Krücken angehumpelt und hatten den Kopf verbunden. Man muß ja zugeben, daß die wenigsten Versuchspersonen überhaupt verheiratet waren und daß gerade bei diesem Experiment die Krücken plus minus Null bedeuteten – aber immerhin! In der letzten Zeit wurde der Mangel an Leuten aus dem Opferdienst immer spürbarer. Natürlich waren sie im Laufe der Jahre aufgebraucht worden, aber etwas mußte unternommen werden, damit die Versuche wie früher fortgesetzt werden konnten. Sowie sich die Leute aus dem Raum entfernt hatten, platzte ich heraus:

»Aber es ist ja ein Skandal! Bald wird ein eklatanter Mangel an Personal herrschen. Wir werden mit Todkranken und Geistesgestörten experimentieren müssen. Wäre es nicht an der Zeit für die Behörden, bald wieder einen Propagandafeldzug zu unternehmen wie den, von dem Nr. 135 gesprochen hat, um die sich lichtenden Reihen wieder aufzufüllen?«

»Nichts hindert Sie daran, sich zu beklagen«, sagte Rissen und zuckte die Achseln.

Mir fiel etwas ein. Natürlich und mit Recht konnten die Behörden die Beschwerde eines einzelnen Mitsoldaten nicht in Erwägung ziehen. Dagegen konnte man sehr gut in allen Laboratorien der Stadt, wo Versuchspersonen gebraucht wurden und wo man also den Mangel bemerkt haben mußte, Unterschriften sammeln. Ich beschloß, am ersten Abend, an dem ich nicht zu müde sein würde, oder schlimmstenfalls an einem freien Abend ein solches Schreiben abzufassen, das dann vervielfältigt an die verschiedenen Laboratorien versandt werden sollte. Unternehmungsgeist solcher Art konnte ja unmöglich anders als anerkennend gewertet werden, dachte ich.

Während wir auf die Ankunft der Verhafteten warteten, erkundigte sich Rissen eingehend nach dem Kallocain und ihm verwandten Präparaten vom chemischen wie vom medizinischen Gesichtspunkt aus. Von seinem Fach verstand er etwas, das mußte ich ihm lassen. Ich glaube, daß ich das Verhör ganz gut bestanden hatte, und war erstaunt darüber, daß er mich eines solchen Gespräches überhaupt würdig erachtete. War es seine Absicht, mich für einen verantwortungsvolleren Posten vorzuschlagen? Rein objektiv gesehen, war ich ihm sicher gewachsen, aber dennoch … Mir schien indessen, daß er mein Mißtrauen hätte spüren sollen und mir dementsprechend antworten. Mit großem innerem Vorbehalt nahm ich seine Freundlichkeit entgegen. Was er in Zukunft von mir erhoffte oder forderte, war unmöglich zu erraten. Auf jeden Fall wollte ich mich nicht in trügerische Sicherheit wiegen.

Als sich der festgesetzte Zeitpunkt näherte, trat ein Mann in Polizeiuniform ein und meldete den Polizeichef Karrek an. So groß war sein Interesse also! Selbstverständlich war es eine Ehre für das ganze Laboratorium, aber in besonderem Maße für mich, daß sich ein solch mächtiger Mann zu meinen Versuchen einfand. Etwas ironisch – vermutlich fand er selbst, daß er seine Neugier zu offen zur Schau trug – setzte er sich auf den Stuhl, den wir für ihn bereitgestellt hatten. Kurz darauf wurde die Verhaftete, eine ziemlich junge, zarte und etwas abgezehrte kleine Frau, hereingeführt. Entweder mußte sie von Natur eine ungewöhnlich weiße Haut gehabt haben, oder dann war ihre weiße Gesichtsfarbe auf ihre innere Spannung zurückzuführen.

»Haben Sie der Polizei Anzeige erstattet?« fragte ich sicherheitshalber.

»Nein«, sagte sie bestürzt und wurde noch um einen Grad durchsichtiger. (Bleicher konnte sie nicht mehr werden.)

»Und Sie haben auch nichts zu bekennen?« fragte Rissen.

»Nein!« (Jetzt klang die Stimme wieder fest und sicher.)

»Sie sind wegen Hochverrats angeklagt. Denken Sie gut nach: Hat niemand, der Ihnen nahesteht, etwas von einer Verschwörung erwähnt?«

»Nein!« antwortete sie sehr bestimmt.

Erleichtert atmete ich auf. Entweder hatte sie absichtlich oder aus Nachlässigkeit ihren Mann nicht sofort angezeigt – jetzt war sie auf alle Fälle nicht geneigt, zu bekennen.