Sie gehörte also zu den rechtschaffenen Mitsoldaten, die meine Experimente aufhielten. Sie war wohl hergekommen, um ihren Mann anzuzeigen. Warum sie sich jedoch an mich und nicht direkt an die Polizei wandte, war mir nicht klar. Vielleicht ahnte sie etwas. Oder vielleicht fand sie es weniger brutal, ihren Mann bei seinem Chef anzuzeigen. Was sie auch zu diesem Schritt bewogen haben mochte, jetzt war es mir unmöglich, ihr Einhalt zu gebieten, da ich sie einmal hereingelassen hatte und der Arzt als Zeuge zugegen war.

»Etwas sehr Trauriges hat sich bei uns zu Hause zugetragen«, fuhr sie mit niedergeschlagenen Augen fort. »Neulich kam mein Mann nach Hause und erzählte mir von einer wirklich sehr unangenehmen Sache. Es handelte sich um das Schlimmste von allem: Hochverrat. Ich traute meinen Ohren nicht. Über zwanzig Jahre haben wir zusammengehalten, mehrere Kinder in die Welt gesetzt, und ich dachte ihn gut zu kennen. Ja, zeitweilig war er schon nervös, gereizt und niedergeschlagen, aber dies gehört ja mit zum Beruf. Ich selbst bin Waschfrau bei der Zentralwäscherei des Distriktes, und dort wohnen wir auch. Aber das gehört ja eigentlich nicht hierher. Doch werden Sie verstehen, daß ich glaubte, ihn zu kennen. Nicht etwa, weil wir besonders viel miteinander geredet hätten. Wenn man ein paar Jahre verheiratet ist, weiß man ja so ungefähr, was der andere zu sagen hat, und dann kann man es geradesogut unausgesprochen lassen. Aber es ist doch, als fühle man, was der andere sagt und meint, wenn man über zwanzig Jahre in zwei Zimmern zusammengelebt hat. Man denkt ja eigentlich nicht an den andern, nicht mehr als an seine eigene Hand, aber es wäre doch ganz eigentümlich, wenn plötzlich die Hand zum Fuß würde oder auf einmal wegliefe … Und dann kommt so etwas! Zuerst dachte ich: Dummes Zeug! Das kann Togo nicht getan haben. Aber dann sagte ich zu mir selbst: niemand soll allzu sicher sein. Und haben wir nicht ständig sowohl im Radio wie in Vorträgen, auf Plakaten in der Untergrundbahn und auf den Straßen gesehen: »Niemand darf sich in Sicherheit wiegen! Jeder, sogar dein nächster Angehöriger, kann ein Verräter sein!« Früher hatte ich nicht darauf geachtet. Mich berührt das nicht, dachte ich. Aber was ich nur in einer Nacht durchgemacht habe, kann ich nicht beschreiben. Wäre mein Haar früher nicht schon grau gewesen, hätte diese eine Nacht genügt, um es ergrauen zu lassen. Ich konnte mir nicht denken, daß Togo, mein Togo, ein Verräter sein sollte. Aber wie sehen denn Verräter aus? Anders als gewöhnliche Menschen? Nein, nur innerlich sind sie anders. Sonst wäre die Sache ja sehr einfach. Sie täuschen natürlich vor, so zu sein wie alle andern, aber das zeigt ja gerade, wie heimtückisch sie sind. Ja, da lag ich also und begann Togo mit andern Augen anzusehen. Und als ich am Morgen erwachte, erschien er mir gewissermaßen nicht mehr als Mensch. Niemand darf sich in Sicherheit wiegen! Jeder, sogar dein nächster Angehöriger, kann ein Verräter sein! Er war kein Mensch mehr, er war schlimmer als ein wildes Tier.