Eine Weile glaubte ich, alles sei ein entsetzlicher Traum – dort stand er ja und rasierte sich wie gewöhnlich –, und ich dachte, daß wenn ich ihn auf bessere Gedanken bringen könnte, alles wieder wie früher werden würde. Aber dann kam mir in den Sinn, daß man es mit Verrätern nicht so machen konnte, denn sie bessern sich ja nicht, und so einen Menschen nur anzuhören, kann schon gefährlich genug sein. Er ist ja innerlich verdorben. So benachrichtigte ich die Polizei sofort, nachdem ich auf meinen Arbeitsplatz kam, denn dies war das einzige, was ich tun konnte. Ich glaubte natürlich, daß sie ihn sofort verhaften würden, und als er am Abend wie gewöhnlich nach Hause kam, erwartete ich jeden Augenblick die Polizei. Er bemerkte es und sagte zu mir: Du hast mich bei der Polizei angezeigt. Das hättest du nicht tun sollen. Es handelte sich um ein Experiment, und jetzt hast du alles verdorben. – Aber, sagen Sie jetzt selber, wie konnte ich ihm das glauben? Wie konnte ich ihm glauben, daß er wieder ein Mensch geworden sei. Als ich endlich begriff, daß er die Wahrheit gesagt hatte – wollte ich ihm vor Freude um den Hals fallen, aber denken Sie, da wurde er böse und erklärte, er lasse sich scheiden.«

»Das ist aber wirklich merkwürdig«, war alles, was ich sagen konnte.

Sie schluckte und schluckte, um ein Weinen zu unterdrücken, das ihr peinlich gewesen wäre.

»Ja, sehen Sie, ich will ihn behalten«, fuhr sie fort, »und ich finde es unrecht, daß er sich scheiden lassen will, wenn ich doch gar nichts Schlechtes getan habe.«

So war es ja auch, sie hatte recht. Sie sollte nicht dafür gestraft werden, daß sie wie ein guter und zuverlässiger Mitsoldat gehandelt hatte, sondern sie sollte belohnt werden. Sie sollte ihren Togo behalten dürfen.

»Er fand, daß er sich nicht mehr auf mich verlassen könne«, sagte sie unter heftigem Schluchzen. »Aber es ist doch klar, daß er sich auf mich verlassen kann, wenn er ein Mensch ist. Und ebenso klar ist es doch wohl, daß sich ein Verräter auf mich, Kadidja Kappori, nicht verlassen kann.«

Das Bild der mageren Frau mit dem verklärten Gesicht tauchte in meiner Erinnerung auf und erfüllte mich mit wehmütiger Hoffnungslosigkeit. Welch unreife und sinnlose Forderung, einen Menschen für sich zu wollen, auf den man sich in jedem Falle, was immer er auch tun möge, verlassen kann! Ehrlich gesagt, ich mußte zugeben, daß darin eine gewisse Verlockung lag. Der Säugling und der Wilde der Steinzeit leben vielleicht nicht nur in einigen weiter, dachte ich, sondern in uns allen, obwohl in einem höheren oder niedrigeren Grade, und das ist ein wesentlicher Unterschied. Und ebenso wie ich es als eine Pflicht empfunden hatte, den Traum der bleichen Frau zu zerstören, so setzte ich mir jetzt zum Ziel, dieselbe Illusion bei Kadidja Kapporis Mann zu vernichten, selbst wenn es unter Aufopferung eines weiteren freien Abends geschehen sollte.

»Kommt beide zu einer dieser angegebenen Stunden wieder«, sagte ich und schrieb meine freien Stunden auf ein Stück Papier, »wenn er sich nicht ändern sollte, werde ich mit ihm sprechen.«

Sie bedankte sich vielmals und verabschiedete sich. Ich geleitete den Arzt und die Frau zur Tür. Den Arzt schien diese Angelegenheit sehr belustigt zu haben. Die ganze Zeit hatte er dagesessen und leise vor sich hingelacht, was wirklich sehr störend gewesen war. Und als er in seiner Wohnung verschwand, lachte er immer noch. Das konnte ich wiederum nicht verstehen. Ich begriff die Tragweite der Sache viel zu gut, als daß ich mich für die lächerlichen Personen, die darin verwickelt waren, wirklich hätte interessieren können.

Im Laboratorium konnte ich es nicht unterlassen, Rissen die Geschichte zu erzählen. Eigentlich gehörte sie ja nicht zur Arbeit, aber sie hatte doch eine allgemeine Bedeutung. Ich vermute auch stark, daß ich von einer gewissen Lust, mich interessant und selbständig zu zeigen, getrieben wurde, mich als Mann fühlte, den andere in ihren Schwierigkeiten aufsuchen und der ihnen leicht und spielend wieder auf den rechten Weg verhalf. Es war nämlich so, daß, obwohl ich Rissen stark kritisierte und ich ihm tief mißtraute, sein Urteil für mich wichtig war. Jedesmal, wenn ich mich bei dem Versuch ertappte, ihm zu imponieren, schämte ich mich vor mir selbst und gab mir Mühe, meine Schwäche zu überwinden. Aber bald kehrte sie wieder, und ich tat mein möglichstes, mir von diesem komischen Mann, den niemand respektieren konnte, Achtung zu erzwingen. Wenn ich ahnte, daß es mir mißglückt war, versuchte ich ihn wenigstens zu reizen und bildete mir selbstgefällig ein, daß meinen kleinen Sticheleien ein bewußter Plan zugrunde lag: Könnte ich ihn einmal ordentlich in Wut bringen, dann würde ich wenigstens wissen, woran ich mit ihm war, redete ich mir selbst ein.

Unter anderem unterhielten wir uns über Kadidja Kapporis Ausspruch: »Er war ja kein Mensch mehr.«

»Mensch«, sagte ich, »mit wieviel Mystik die Leute dieses Wort umgeben haben. Als sei es etwas Großartiges, Mensch zu sein! Mensch! Das ist doch ein biologischer Begriff.