Wo er anders verstanden wird, sollte man das so schnell wie möglich ändern.«

Rissen sah mich nur mit einer schwer zu deutenden Miene an.

»Zum Beispiel diese Kadidja Kappori«, fuhr ich fort. »Um richtig zu handeln, mußte sie sich erst von den Hemmungen befreien, die in der abergläubischen Vorstellung lagen, daß ihr Mann ein ›Mensch‹ – in Anführungszeichen – sei, denn rein biologisch gesehen, hatte er nie etwas anderes werden können. Diese gefährliche Vorstellung überwand sie in einer Nacht, aber wie vielen gelingt das? Weil es ihr gelang, wurde sie nicht um dieses dummen Aberglaubens willen als Hochverräterin behandelt.

Ich glaube, man muß damit beginnen, den Leuten überhaupt abzugewöhnen, im Mitsoldaten einen ›Menschen‹ – in Anführungszeichen – zu erblicken.«

»Ich glaube nicht, daß viele dieser Art von Mystik zum Opfer gefallen sind«, sagte Rissen langsam und hob ein Meßglas, das er gerade gefüllt hatte, gegen das Licht.

Dieser Satz war weder auffallend noch war etwas daran auszusetzen. Aber er hatte eine Art, seine Worte so eindringlich auszusprechen, daß man meinte, es liege etwas dahinter. Darum wunderte man sich immer über seine Aussprüche. Seine Worte, Stimme und der Tonfall beunruhigten einen immer wieder.

Übrigens war gerade jene Woche so voller spannender Ereignisse, daß man über ihnen alles andere vergaß. Sie waren so wichtig, daß sie der Anfang vom Siegeszug des Kallocains durch den Weltstaat wurden. Aber ich werde sie vorerst beiseite lassen, um die Geschichte des Ehepaares Bahara-Kappori zu Ende zu erzählen. Sie kamen eine Woche nach Kadidja Kapporis erstem Besuch zu mir. Linda war wieder in ihrem Komitee beschäftigt, aber da mir jetzt die Absichten der beiden bekannt waren und ich wußte, daß ich ihn mindestens in Schach halten konnte, unterließ ich es, Zeugen herbeizubitten. Beide sahen verbittert und niedergeschlagen aus, augenscheinlich hatten sie sich noch nicht versöhnt.

»Aha«, sagte ich, um sie zu ermuntern (es war ja am besten, sich die gute Laune nicht verderben zu lassen), »es scheint, als habe sich diesmal der Extraverdienst gar nicht gelohnt, Mitsoldat Bahara. Eine Scheidung kann man doch fast einen dauernden Schaden nennen. Ihre Krücke übrigens – die Folge eines Unfalles bei der Arbeit, oder ist sie – hm – Ausdruck Ihrer ehelichen Situation?«

Er antwortete nicht, saß nur da und machte ein saures Gesicht. Die Frau stieß ihn an:

»Du mußt deinem Chef doch wenigstens antworten, mein lieber Togo! Überleg dir doch einmal, zwanzig Jahre sind wir verheiratet, und sich wegen so etwas scheiden zu lassen! Es ist schon unrecht, erst führst du mich mit einem Experiment hinters Licht und nachher wirst du böse, wenn ich aus deinem Experiment die Konsequenzen gezogen habe.«

»Wenn du es übers Herz gebracht hast, mich ins Gefängnis zu bringen, dann kannst du mich wohl auch loswerden, ohne daß ich dabei meine Freiheit verliere«, antwortete er mürrisch.

»Das ist doch wohl nicht dasselbe!« wandte sie ein. »Wärest du wirklich derjenige, den du versucht hast, mir vorzutäuschen, hätte ich dich nie in meinem Hause haben wollen. Aber wenn du kein Verräter bist, sondern tatsächlich der Mann, den ich seit zwanzig Jahren kenne, dann ist doch wohl klar, daß ich dich weiter bei mir haben will! Und ich habe nichts Böses getan, das dir Grund geben könnte, mich zu verlassen.«

»Wollen Sie mir antworten, Mitsoldat Bahara«, sagte ich diesmal in weniger scherzhaftem Ton, »finden Sie wirklich, daß Ihre Frau etwas Böses verbrochen hat, als sie Sie anzeigte?«

»Böses – das weiß ich nicht genau …«

»Was würden Sie selbst tun, wenn jemand zu Ihnen sagte, daß er ein Spion sei? … da würden Sie doch wohl nicht lange zögern, hoffe ich. Soll ich Ihnen sagen, was Sie tun würden? Sie würden geradewegs zum nächsten Briefkasten gehen oder das nächste Telefon benützen, um ihn so schnell als möglich anzuzeigen. Nicht wahr? Würden Sie nicht so handeln?«

»Ja – ja natürlich –, aber das ist doch wohl nicht so ganz dasselbe.«

»Es freut mich, daß Sie das tun würden – denn sonst begingen Sie eine strafbare Handlung –. Nun, Ihre Frau hat eben das getan, nämlich: Anzeige erstattet. Was meinen Sie damit, daß es nicht so ganz dasselbe sei?«

Eine Erklärung dafür zu finden, fiel ihm schwer. Er machte ein paar unsichere Versuche:

»Daß sie das wirklich von mir glauben konnte, nach zwanzig Jahren! Von einem Tag auf den andern! Und übrigens: Denken Sie sich, wenn ich eines Tages wirklich zu ihr kommen würde, und eine Dummheit begangen hätte, und mir überhaupt keinen Rat mehr wüßte …«

»Dann wäre es zur Reue ja doch zu spät. Und was Sie vom Glauben sagen – wissen Sie nicht, daß es unsere Pflicht ist, mißtrauisch zu sein? Das Wohl des Staates erfordert es. Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit, das stimmt, aber man kann sich in zwanzig Jahren irren. Nein, Sie haben sich über nichts zu beklagen.«

»Nein – aber wenn sie jetzt – ich würde nicht …«

»Geben Sie auf Ihre Worte acht, bester Mitsoldat, ich könnte leicht an Ihrer Ehrenhaftigkeit zweifeln. Ihre Frau hat einen Spion angezeigt, war das recht oder unrecht?«

»Ja – ja – das war wohl schon recht.«

»Also, es war recht. Sie hat einen Spion angezeigt, aber Sie waren keiner. Und jetzt wollen Sie sich von ihr scheiden lassen, weil Ihre Frau in bezug auf jemanden, der Sie nicht waren, recht gehandelt hatte. Wo bleibt da die Vernunft?«

»Aber – ich habe so ein Gefühl der Unsicherheit –, wenn ich sie ansehe und nicht weiß, was sie von mir denkt.«

»Wenn ich Sie wäre, würde ich mich davor in acht nehmen, mich aus diesem ungerechtfertigten Grund scheiden zu lassen. Ganz abgesehen davon, daß Ihr Beruf Frauen nicht gerade anzieht – Ihr Zustand übrigens auch nicht. Keine ehrliche Frau wird sich mit Ihnen abgeben wollen, wenn sie diese Geschichte erfährt – und daß sie bekannt werden wird, steht fest, dafür kann ich meine Hand ins Feuer legen.