Wir können uns von Namen zu Namen bis in die innersten Kreise hineintasten. Vielleicht ist es eine regelrechte, großangelegte Verschwörung, wer weiß?«
Er schloß die Augen, und eine zufriedene Miene glättete die verkrampften Züge. Ich erriet seine Gedanken: Das wird meinen Namen über den ganzen Weltstaat hinaustragen. Vielleicht irrte ich mich auch. Der Polizeichef und ich waren zwei vollkommen verschiedene Naturen.
»Übrigens«, fuhr der Polizeichef langsam fort und sah prüfend von einem zum andern, »übrigens werde ich für eine kurze Zeit verreisen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß auch Sie bald an einen andern Ort berufen werden. Machen Sie sich auf alle Fälle reisefertig. Der Befehl kann entweder nach Hause oder direkt ins Laboratorium gesandt werden. Lassen Sie zur Sicherheit einen gepackten Koffer hier stehen, damit Sie keine Zeit verlieren müssen, um ihn zu holen. Nur eine kleine Tasche mit dem Notwendigsten, damit Sie einige Tage wegbleiben können. Und stellen Sie Ihre Apparate bereit, damit Sie sie mitnehmen und zeigen können, wie Ihr Kallocain wirkt.«
»Und der Militärdienst?« fragte Rissen.
»Wenn etwas aus Ihrer Reise wird, ordne ich selbstverständlich alles. Gelingt es mir nicht, na, dann wird eben nichts daraus. Ich verspreche nichts. Und was werden Sie in den nächsten Tagen unternehmen?«
»Neue und immer wieder neue Versuche.«
»Hindert Sie irgend etwas, diese Spur aufzunehmen? Ich meine damit die Aussagen der letzten Versuchsperson. Anstatt sich des Freiwilligen Opferdienstes zu bedienen, können Sie nach und nach die fünf untersuchen, alles genau aufschreiben und auf weitere Befehle warten. Was sagen Sie dazu?« Rissen zauderte einen Moment.
»In den Ordnungsvorschriften des Laboratoriums steht nichts über einen derartigen Fall.«
Der Polizeichef brach in ein unbeschreiblich spöttisches Lachen aus.
»Wir dürfen nicht bürokratisch sein«, sagte er. »Wenn jetzt ein Befehl vom obersten Laboratoriumschef – es ist doch wohl Muili, nicht wahr – kommt, dann halten Sie sich nicht mehr so streng an die Vorschriften, denke ich. Ich werde jetzt sofort selbst zu Muili gehen. Nachher brauchen Sie also nur alle Namen bei der Polizei zu melden. Es geht vielleicht um das Wohl und Wehe des Weltstaates – und Sie fragen nach Ordnungsvorschriften.«
Er ging, und wir sahen einander an. Ich vermute, daß mein Aussehen siegesgewiß und voller Bewunderung war. Einem Mann wie Karrek konnte man ruhig sein Geschick in die Hände legen. Er bestand nur aus Willenskraft. Für ihn gab es keine Schwierigkeiten.
Aber Rissen zog resigniert die Augenbrauen hoch.
»Wir werden eine Unterabteilung der Polizei«, sagte er, »adieu Wissenschaft.«
Ich erschrak. Ich liebte meine wissenschaftlichen Arbeiten und würde sie sehr vermissen, wenn sie mir verlorengingen. Aber Rissen ist von Natur ein Pessimist, versuchte ich mir einzureden. Meinerseits sah ich nur die Treppe vor mir, und das einzig Wichtige war, daß sie nach oben führte. Eine Stunde später kam wirklich vom obersten Laboratoriumschef der Befehl, daß wir unsere Arbeit nach den Richtlinien, welche der Polizeichef angedeutet hatte, weiterführen sollten. Bei der Polizei war man schon unterrichtet, und wir mußten nur anläuten, um die Personen, die wir verhaftet haben wollten, zu bestimmen, dann würden sie innerhalb vierundzwanzig Stunden zu unserer Verfügung stehen.
Der erste, welcher uns auf diesem Wege zugeführt wurde, war ein junger Mann, der vor noch nicht allzu langer Zeit das Jugendlager verlassen hatte und der dem Gemeinschaftsleben mit einer komischen Mischung von Unsicherheit und hochmütiger Angriffslust gegenüberstand und der sich noch nicht ganz darin zurechtfinden konnte. Unter dem Einfluß des Kallocains konnte sich sein Selbstgefühl auf eine Art und Weise ausbreiten, die auf uns erwachsene Männer etwas belustigend wirkte.
1 comment