Still und verträumt, wie gewöhnlich, saß sie da und folgte dem bleichen Flämmchen mit weitgeöffneten Augen, die denen ihrer Mutter ähnlich sahen. Und obwohl mir ihre Aufmerksamkeit ein gewisser Trost war, beunruhigte sie mich auch gleichzeitig. Klar und deutlich begriff ich, daß Ossu und Laila Kinder des neuen Zeitalters waren. Ihre Einstellung war sachlich und richtig, während meine der Beweis veralteter Romantik war. Trotz des Trostes, den sie mir gab, wünschte ich plötzlich, daß Maryl den andern mehr gleichen möge. Es bedeutete nichts Gutes, daß sie so aus der gesunden Entwicklung der Generation fiel.

Der Abend verging, und es wurde Zeit für Ossu, wieder ins Kinderlager zurückzukehren. Ob er gern geblieben wäre oder den langen Weg in der Untergrundbahn fürchtete, ließ er sich auf alle Fälle nicht anmerken. Mit seinen acht Jahren war er schon ein disziplinierter Mitsoldat. Mich dagegen durchfuhr eine heiße Sehnsucht nach der Zeit, wo sie noch jeden Abend alle drei in ihre Bettchen krochen. Ein Sohn ist immerhin ein Sohn, dachte ich, und er steht seinem Vater näher als die Töchter. Trotzdem wagte ich nicht an den Tag zu denken, an dem auch Maryl und Laila fort sein würden und nur zwei Abende in der Woche zu Besuch nach Hause kommen konnten. Ich gab mir jedoch Mühe, niemanden meine Schwäche merken zu lassen. Die Kinder sollten später einmal nicht über mein schlechtes Beispiel klagen müssen, die Hausgehilfin sollte nicht über die Schlaffheit des Hausherrn zu berichten haben, und Linda – Linda am wenigsten von allen. Von niemandem hätte ich mich gern verachtet gewußt, am allerwenigsten aber von Linda, die doch selbst nie schwach wurde.

Dann wurden die Betten im Familienraum aufgeklappt und für die kleinen Mädchen zurechtgemacht. Linda legte sie schlafen. Das Dienstmädchen hatte die Reste des Abendessens und das Geschirr in den Speiseaufzug gestellt und machte sich gerade zum Gehen fertig, als ihr etwas einfiel.

»Ach ja«, sagte sie, »es stimmt ja, ein Brief ist für Sie angekommen, mein Chef. Ich habe ihn in das Elternzimmer gelegt.«

Etwas verwundert musterten Linda und ich den Brief. Es war ein Dienstbrief. Wäre ich der Polizeichef der Hausgehilfin gewesen, hätte ich sie hierfür verwarnt. Entweder hatte sie ihn wirklich ganz vergessen, oder es lag Absicht dahinter. Auf alle Fälle war es nachlässig von ihr, einen Dienstbrief nicht auf seinen Inhalt zu untersuchen – dazu hatte sie ja volles Recht. Aber im selben Moment durchzuckte mich eine Ahnung, daß dieser Brief einen Inhalt haben könnte, der mich für ihre Nachlässigkeit vielleicht dankbar machen sollte.

Der Brief war vom Siebenten Büro des Propagandaministeriums. Und um den Inhalt verständlich zu machen, muß ich noch weiter zurückgreifen.

2

Es war auf einem Fest vor zwei Monaten geschehen. Eines der Versammlungslokale des Jugendlagers war in den Farben des Staates ausgeschmückt worden. Einakter wurden aufgeführt, Reden gehalten, mit Trommelbegleitung marschierte man durch den Saal und nahm eine gemeinsame Mahlzeit ein. Der Anlaß war die Versetzung einer Gruppe Mädchen aus dem Jugendlager. Man wußte nicht recht, wohin sie kommen sollten. Gewissen Gerüchten zufolge waren sie für einer der andern Chemiestädte oder eine der Schuhstädte bestimmt, auf jeden Fall sollten sie an einen Ort kommen, wo sich ein Mangel an Arbeitskräften und Frauen bemerkbar gemacht hatte. Junge Frauen aus unserer Stadt und vermutlich auch aus andern wurden also bestimmt und dorthin geschickt, um das einmal festgesetzte Verhältnis zwischen der weiblichen und männlichen Bevölkerung wiederherzustellen. Und nun wurde das Abschiedsfest für die abkommandierten Mädchen gefeiert.

Solche Feiern hatten immer eine gewisse Ähnlichkeit mit jenen, die man einberufenen Soldaten bereitete.