Wie wir später erfuhren, war dies ein Zeichen der Freundschaft und der Zuneigung, und sie brachten uns reichlich Nahrungsmittel – Vieh, Geflügel, Kräuter und Wurzeln; wir aber waren sehr verlegen, denn wir hatten nichts, um es damit zu kaufen oder einzutauschen, und umsonst wiederum wollten sie uns die Dinge nicht geben. Was unser Geld betraf, so war es für sie nur Plunder, und sie maßen ihm keinerlei Wert bei, so daß wir auf dem Wege des Verhungerns waren. Hätten wir nur einigen Spiel- und Flimmerkram gehabt, Messingketten, Zierat, Glasperlen oder, mit einem Wort, gerade die belanglosen Dinge, von denen eine Schiffsladung voll nicht soviel wert gewesen wäre wie die Frachtkosten, dann hätten wir genügend Vieh und Vorräte für eine ganze Armee kaufen oder eine Flotte von Kriegsschiffen mit Lebensmitteln versorgen können; für Gold oder Silber aber konnten wir nichts erhalten.
Das bestürzte uns sehr. Ich war nur ein junger Bursche, aber ich erklärte mich dafür, sie mit Feuerwaffen zu überfallen, ihnen ihr gesamtes Vieh fortzunehmen und sie, anstatt selbst zu verhungern, zum Teufel zu schicken, damit er ihren Hunger stillte; ich dachte aber nicht daran, daß uns dies vermutlich am nächsten Tag zehntausend von ihnen auf den Hals gezogen hätte, und wenn wir wohl auch eine große Anzahl von ihnen getötet und die übrigen vielleicht eingeschüchtert hätten, so wäre doch ihre Verzweiflung und unsere geringe Anzahl ein solcher Anreiz für sie gewesen, daß sie uns früher oder später alle umgebracht hätten.
Während unserer Beratung fuhr einer unserer Leute, der Messerschmied oder Metallarbeiter gewesen war, plötzlich auf und fragte den Zimmermann, ob er ihm unter all seinem Werkzeug nicht zu einer Feile verhelfen könne. „Ja“, sagte der Zimmermann, „das kann ich, aber es ist nur eine kleine.“ – „Je kleiner, um so besser“, erwiderte der andere. Daraufhin begab er sich ans Werk, erhitzte zuerst ein Stück von einem alten, abgebrochenen Meißel im Feuer und stellte sich dann mit Hilfe seiner Feile mehrere Arten von Werkzeug für seine Arbeit her. Dann nahm er drei oder vier Pesomünzen und schlug sie mit dem Hammer auf einem Stein aus, bis sie ganz breit und flach waren; danach schnitt er sie zur Form von Vögeln und Tieren zurecht, machte daraus kleine Ketten für Armbänder und Halsschmuck und verwandte sie zu so vielen Dingen seiner Phantasie, daß man sie kaum beschreiben kann.
Nachdem er seinen Kopf und seine Hände etwa vierzehn Tage lang angestrengt hatte, erprobten wir die Wirkung seiner Erfindungsgabe und waren bei einem neuen Zusammentreffen mit den Eingeborenen über die Torheit der armen Menschen überrascht. Für ein Stückchen Silber, das zur Form eines Vogels zugeschnitten war, erhielten wir zwei Kühe, und wenn es Messing gewesen wäre, und das war unser Pech, dann hätte es noch mehr Wert gehabt. Für eins der Kettenarmbänder gaben sie uns so viele Vorräte der verschiedensten Art, daß sie in England fünfzehn oder sechzehn Pfund gekostet hätten, und ebenso für die übrigen Dinge. So hatte das, was in der Form einer Münze für uns keine sechs Pennies wert gewesen war, nachdem es zu Spielzeug und Tand umgearbeitet war, das Hundertfache seines eigentlichen Werts, und wir konnten damit alles kaufen, was wir brauchten.
Unter diesen Umständen lebten wir über ein Jahr, aber wir begannen alle dessen sehr müde zu werden und beschlossen, was auch daraus würde, den Versuch zu wagen, von hier zu entkommen.
Wir hatten uns mit nicht weniger als drei sehr guten Kanus ausgerüstet, und da die Monsun- oder Passatwinde fast das gesamte Land berühren und in den meisten Teilen der Insel sechs Monate des Jahres in einer Richtung und die übrigen sechs in der anderen wehen, schlossen wir, daß wir in der Lage wären, die Seefahrt ganz gut zu überstehen. Immer aber, wenn wir eingehender darüber nachdachten, brachte uns der Mangel an Trinkwasser davon ab, ein solches Abenteuer zu unterne hmen, denn die Entfernung ist sehr groß, und kein Mensch auf Erden hätte sie ohne Trinkwasser bewältigen können.
Nachdem uns also unsere eigene Vernunft dazu gebracht hatte, den Gedanken an diese Fahrt fallenzulassen, sahen wir zwei Möglichkeiten vor uns. Die eine war, zur anderen Seite, nämlich nach Westen, in See zu stechen und Kurs auf das Kap der Guten Hoffnung zu nehmen, wo wir früher oder später auf Schiffe aus unserer Heimat träfen oder aber das afrikanische Festland ansteuern und dann entweder über Land reisen oder aber längs der Küste zum Roten Meer segeln konnten. Dort fänden wir mit Gewißheit bald ein Schiff irgendeiner Nationalität, das uns aufnähme, oder vielleicht könnten wir es kapern, was, nebenbei gesagt, der Gedanke war, der mir ständig im Kopf umging.
Unser erfinderischer Messerschmied, den wir von da ab nur noch den Silberschmied nannten, schlug dies vor, aber der Geschützmeister erklärte ihm, er sei auf einer Schaluppe aus Malabar im Roten Meer gefahren und wisse: wenn wir uns ins Rote Meer wagten, würden uns entweder die wilden Araber töten oder aber die Türken fangen und uns zu Sklaven machen; deshalb sei er nicht dafür, daß wir diesen Weg wählten.
Hierauf sah ich mich veranlaßt, wieder meine Meinung zu äußern. „Warum sprechen wir davon, daß uns die Araber töten oder die Türken zu Sklaven machen werden?“ sagte ich. „Sind wir nicht fähig, so ziemlich jedes Fahrzeug zu entern, dem wir auf diesem Meer begegnen und, anstatt daß sie uns zu Gefa ngenen machen, sie gefangenzunehmen?“ – „Gut gesprochen, Pirat“, sagte der Geschützmeister (derjenige, der mir in die Hand geschaut und mir vorausgesagt hatte, ich würde am Galgen enden). „Das will ich ihm zugute halten – er sieht die Sache immer auf die gleiche Weise an. Ich glaube aber, bei meinem Gewissen, daß dies jetzt unser einziger Ausweg ist.“ – „Sag nicht zu mir, ich sei ein Pirat, wir müssen ja Piraten oder sonst etwas werden, um von diesem verdammten Ort wegzukommen.“
Mit einem Wort, sie schlossen auf meinen Rat hin alle, unser Anliegen sei, zu kreuzen, bis wir irgendein Fahrzeug sichteten. Ich sagte zu ihnen: „Nun, dann müssen wir als erstes ausfindig machen, ob die Leute auf der Insel hier nicht Schiffahrt betreiben und was für Fahrzeuge sie benutzen, und haben sie irgendwelche, die größer und besser sind als unsere, dann laßt uns eins davon nehmen.“ Zuerst ging unser ganzes Trachten tatsächlich dahin, uns, wenn möglich, ein Boot mit Deck und Segel zu beschaffen, denn dann könnten wir unsere Vorräte aufbewahren, was sonst nicht der Fall war.
Zu unserem großen Glück hatten wir einen Matrosen unter uns, der Hilfssmutje gewesen war. Er erklärte uns, er werde eine Methode finden, unser Rindfleisch ohne Faß oder Pökelbrühe zu konservieren, und er tat dies auf wirksame Weise, indem er es mit Hilfe von Salpeter, wovon es auf der Insel große Mengen gab, in der Sonne dörrte, so daß wir, bevor wir einen Weg ausfindig machten, auf dem wir von dort fortkommen konnten, das Fleisch von sechs oder sieben Kühen und jungen Ochsen sowie von zehn oder zwölf Ziegen trockneten, und der Geschmack dieses Fleisches war so gut, daß wir uns nie die Mühe machten, es zu kochen, bevor wir es aßen, sondern es entweder rösteten oder es gedörrt aßen. Unsere Hauptschwierigkeit, die Versorgung mit Trinkwasser, aber blieb bestehen, denn wir hatten kein Gefäß, um es hineinzufüllen, und erst recht nichts, um einen Vorrat davon für die Seefahrt aufzubewahren.
Da uns unsere erste Fahrt aber nur entlang der Küste unserer Insel führen sollte, beschlossen wir, sie zu wagen, wie tollkühn sie auch immer sein mochte und was auch die Folgen wären; und um soviel Trinkwasser wie nur möglich mitzuführen, fertigte der Zimmermann in der Mitte eines der Kanus einen Wasserbehälter an, den er von den anderen Teilen des Fahrzeugs dicht abteilte und mit einem Deckel schloß, so daß wir hinauftreten konnten, und dieser Behälter war so groß, daß er mit Leichtigkeit ein Oxhoft Wasser faßte. Ich kann ihn nicht besser beschreiben, als wenn ich sage, er glich denen, mit welchen die kleinen Fischerboote in England ausgerüstet sind, um die gefangenen Fische lebend zu befördern; nur war dieser, anstatt mit Löchern versehen zu sein, damit das Salzwasser hereinlief, ringsum gänzlich undurchlässig, damit es draußen blieb, und ich glaube, er war der erste Behälter seiner Art, der für diesen Zweck erdacht wurde, aber die Not regt den Scharfsinn an und macht erfinderisch.
Jetzt bedurfte es nur noch einer kurzen Beratung, um zu beschließen, daß wir auslaufen wollten. Unser erstes Ziel war, längs der Küste rings um die Insel zu fahren und uns umzuschauen, ob wir wohl irgendein geeignetes Fahrzeug aufzubringen vermochten, auf dem wir uns einschiffen konnten, sowie auch jede Gelegenheit wahrzunehmen, zum Festland hinüberzugelangen, und deshalb beschlossen wir, zum inneren oder westlichen Ufer der Insel zu segeln, da sich dort das La nd, wenigstens an einem Punkt, weit nach Nordwesten hin erstreckt und die Entfernung zwischen der Insel und der afrikanischen Küste nicht allzu groß ist.
Eine solche Fahrt mit einer so verzweifelten Besatzung wurde wohl noch niemals unternommen, denn sicher ist, daß wir die ungünstigste Seite der Insel wählten, um nach Schiffen Ausschau zu halten, besonders nach denen anderer Völker, da sie ganz fernab der Route lag; wir schifften uns jedoch, nachdem wir alle unsere Vorräte und Munition an Bord gebracht hatten, mit Sack und Pack ein. Für unsere beiden großen Pirogen hatten wir Mast und Segel hergestellt, und die dritte paddelten wir hinterher, so gut wir konnten; als sich jedoch ein Wind erhob, nahmen wir sie ins Schlepptau.
Mehrere Tage lang segelten wir munter voran, und uns begegnete nichts, was uns aufgehalten hätte. Wir sahen einige fischende Eingeborene in kleinen Kanus, und manchmal bemühten wir uns, dicht genug zu ihnen heranzufahren, um mit ihnen sprechen zu können; sie waren jedoch immer scheu, fürchteten sich vor uns und hielten auf die Küste zu, sobald wir den Versuch unternahmen, bis sich einer aus unserer Gesellschaft an das Freundschaftszeichen erinnerte, das die Eingeborenen vom südlichen Teil der Insel für uns errichtet hatten, nämlich den langen Pfahl, und uns den Gedanken eingab, es bedeutete vielleicht für sie das gleiche wie für uns eine Parlamentärsfahne. So beschlossen wir, es zu versuchen, und als wir das nächstemal eins ihrer Fischerboote auf dem Meer sichteten, stellten wir in dem Kanu, das kein Segel hatte, eine Stange auf und ruderten zu ihnen hin. Sobald sie die Stange sahen, warteten sie auf uns, und während wir uns ihnen näherten, paddelten sie auf uns zu; als sie bei uns angelangt waren, zeigten sie sich sehr erfreut und schenkten uns einige große Fische, deren Namen wir nicht kannten, aber sie schmeckten sehr gut. Es war wieder unser Pech, daß wir nichts hatten, was wir ihnen als Entgelt geben konnten, aber unser Künstler, den ich schon erwähnte, schenkte ihnen zwei kleine dünne Silberscheiben, die er, wie gesagt, aus einem Pesostück gehämmert hatte; sie waren in Karoform zugeschnitten, die eine Hälfte länger als die andere, und in die längere Spitze war ein Loch gestanzt; diese Scheiben gefielen ihnen so gut, daß sie uns zum Bleiben nötigten, bis sie ihre Angeln und ihre Netze wieder ausgeworfen hatten, und sie gaben uns so viele Fische, wie wir haben wollten.
Die ganze Zeit über hatten wir ihre Boote im Auge und musterten sie sehr genau, um zu prüfen, ob eins davon unseren Zwecken entsprach; es waren aber armselige, jämmerliche Dinger, die Segel aus einer großen Matte gemacht, und nur ein einziges bestand aus einem Stück Baumwollstoff, der nur wenig taugte, und ihre Taue waren aus Schwertlilienblättern gedreht und hielten nicht viel aus. So kamen wir zu dem Schluß, wir seien gegenwärtig besser dran, und ließen sie in Ruhe. Wir fuhren weiter nach Norden und hielten uns zwölf Tage lang dicht bei der Küste, und da der Wind von Ost und Ostsüdost wehte, kamen wir gut voran. An Land sahen wir keinerlei Ortschaften, oft aber ein paar Hütten an der Küste auf den Felsen und in ihrer Umgebung viele Leute; wir konnten beobachten, wie sie zusammenliefen und uns anstarrten.
Unsere Fahrt war so merkwürdig wie nur je eine, die Me nschen unternommen haben; wir waren eine kleine Flottille von drei Booten und eine Armee von zwanzig bis dreißig so gefährlichen Kerlen, wie sie wohl kaum zuvor unter den Inselbewohnern geweilt hatten, und hätten sie gewußt, wer wir waren, dann hätten sie sich zusammengetan und uns gegeben, was wir nur wünschten, um uns wieder loszuwerden.
Andererseits befanden wir uns in einer so elenden Lage, wie die Natur es nur zuließ; wir fuhren zwar, aber waren doch nicht auf einer Fahrt mit irgendeinem und doch keinem Ziel, denn wenn wir auch wußten, was wir zu tun beabsichtigten, so wußten wir doch in Wirklichkeit nicht, was wir taten.
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