Der Vertrag wurde in gegenseitigem Einverständnis bei Rückzahlung aller Vorschüsse gelöst.

Am 5. März 1873 bot Keller Ferdinand Weibert, dem Inhaber der Stuttgarter Verlagsanstalt G. J. Göschen, der bereits 1872 die Sieben Legenden herausgebracht hatte, beide Bände der Leute von Seldwyla zur Verlagsnahme an. Man einigte sich binnen kürzester Zeit auf eine Ausgabe des Sammelwerks in vier Bänden. Der erste und zweite Band entsprach dem Band von 1856, der neu geschriebene zweite Teil, bestehend aus Kleider machen Leute; Der Schmied seines Glückes; Die mißbrauchten Liebesbriefe; Dietegen und Das verlorene Lachen, entfiel auf die Bände drei und vier. Diese erhielten ebenfalls wie Band eins und zwei den irreführenden Zusatz „Zweite vermehrte Auflage in vier Bänden“. Vordatiert auf 1874 brachte der Verleger an Weihnachten 1873 die drei ersten Bände in den Buchhandel. Der vierte Band folgte erst Ende 1874, da Keller das Schlussmanuskript bis zum Oktober des Jahres verzögerte.

Der Text unserer Ausgabe der Novelle Kleider machen Leute folgt dem Erstdruck im Rahmen des dritten Bandes der „Zweiten vermehrten Auflage in vier Bänden“ der Leute von Seldwyla zeichengenau in Orthographie und Interpunktion. Eingriffe in den Originaltext wurden nur bei offensichtlichen Satzfehlern vorgenommen (z. B. wurde „sesten“ durch „festen“ oder „und und“ durch „und“ ersetzt). Angaben in eckigen Klammern sind Konjekturen, Hinzufügungen bzw. Verdeutlichungen des Herausgebers. Textanordnung (Absätze, Leerzeilen, Zentrierungen etc.) und Schriftgestaltung (Punktgröße, Auszeichnungen usw.) geben, ohne ein Faksimile ersetzen zu wollen, in modifizierter Form die originale Situation wieder. Die Ziffern zwischen den senkrechten Haarstrichen markieren die Paginierung des Erstdrucks.

Glossar

 

Abendherren: abendliche Stammtischgäste

anprallen: die Pferde aus vollem Lauf zum Halten bringen

artiges: ordentliches, ansehnliches, hübsches

Aufgebot: öffentliche Bekanntmachung einer beabsichtigten Eheschließung

Advokat: Rechtsanwalt

Bartwichse: Bartpomade

Blödigkeit: Schüchternheit, Ungeschicklichkeit

Böttcher: Büttner, Küfer, Fass-, Bottichmacher

Brabanterthaler: Silbermünze aus der Provinz Brabant

Capitelsherren: Weltgeistliche einer Dom- oder Stiftskirche

Caraffen: bauchige Glasgefäße

Carbonarimantel: Mantel der Mitglieder eines italienischen Geheimbundes; der Bund betrieb die Befreiung Italiens und die Herstellung der politischen Einheit des Landes

Cigarrenbengel, ungefügen: karikierende Qualifizierung für eine besonders dicke Zigarre

Co.: Abkürzung für „Companie“ (= Handelsgesellschaft)

Collecteur: (frz.) hier: Lotterieeinnehmer

Compagnon: Mitinhaber eines Geschäfts

Complimenten: Schmeichelreden, Höflichkeiten

Comptoirstuhl: (von frz. „comptoir“ = Büro, Kontor) Bürostuhl, Schreibtischstuhl

Correspondenz: Briefwechsel, Schriftverkehr

Desna … Weichsel: Flüsse, die das polnische Kerngebiet markieren

desperat: verzweifelt, hoffnungslos

diabolischen: teuflischen, boshaften

Dukaten: wertvolle deutsche Goldmünze (= 3 Taler)

ethnographischer: (griech.) die Völkerkunde betreffend

Expressen: Eilboten

Fallimentes: Zahlungseinstellung, Bankrott

Fechten: (rotwelsch) betteln

Fortuna: römische Glücksgöttin

Frauenzimmer: alte, ohne abwertenden Nebensinn gebrauchte Bezeichnung für „Frau“

Friedensrichter: Schiedsmann, Schlichter

Galion: (= Galionsfigur) schmückende Holzfigur am Bug eines Schiffes

Gebahren: Verhalten, Benehmen

Geschwader: größerer Verband von Kriegsschiffen

Gevatterin: Taufpatin; vertrauliche Anrede unter Bekannten

Gravität: Schwere, Würde, Erhabenheit, Gemessenheit

Habitus: (lat.) Erscheinungsbild

Handstreiche: plötzliche Überfälle

Hazardspiel: Glücksspiel

Husar: Angehöriger der leichten Reiterei

infam: ehrlos, niederträchtig, unverschämt

Kämbel: Kamel

karneolfarbigen: (dunkel-)roten

Katzenköpfe: kleine Geschütze, Mörser

kokett: eitel, gefallsüchtig, selbstgefällig

lamentiren: (lat.) laut jammern, klagen

Louisd’or: französische Goldmünze (= 5 Taler)

Marchand-Tailleur: (frz.) „marchand“ = Händler; „tailleur“= Maßschneider

Mirakel: wundersame, wunderbare Begebenheit

Nasenstüber: leichte Schläge auf die Nase

Nettchen: Verkleinerungsform von Anette

pferchen: in einen Verschlag einsperren

Pfründe: mit Einnahmen verbundene geistliche Ämter

Philantropie: (griech.) Menschenliebe

Praga oder Ostrolenka: beide Orte im Einzugsbereich von Warschau erinnern an polnische Aufstände gegen russische Besatzungstruppen (1794 und 1831)

Prälaten und Stiftsdamen: höhere geistliche Würdenträger und adlige Klosterfrauen

Prokurist: Bevollmächtigter in Rechtsgeschäften

Putsch: Volksauflauf, Aufstand

Radmantel: kreisförmig geschnittener ärmelloser Umhang

Raphael: einer der Erzengel

Residenz: Hauptstadt, Regierungssitz

Sammet-: Samt-

Sauser: junger Wein im Stadium der ersten Gärung; Most

Schlag: Wagentür

Schneuz: schweizerdt. Substantivbildung zu „schnäuzen“, die Nase putzen

Schuh: altes Längenmaß; etwa 25 bis 33 cm

Schultheiße: Orts-, Gemeindevorsteher

Smyrna: heute Izmir; Stadt in der Türkei

Stadttambour: Stadttrommler; Ausrufer offizieller Verlautbarungen

Stockzähnen: Backenzähnen

Strapinska: spielerische Nachbildung der in slawischen Sprachen üblichen Praxis, verheiratete Frauen mit dem durch die Nachsilbe -a ergänzten Familiennamen zu bezeichnen

Stüber: kleine Münze von geringem Wert

stutzerhaft: ursprünglich nur für einen auffällig modisch herausgeputzten Mann verwendet

Teich Bethesda: vgl. Joh. 5,2

Troja: die Rivalität zwischen Goldach und Seldwyla wird ironisch zum zehnjährigen Kampf der Griechen gegen die Trojaner nach der Entführung der schönen Helena hochgespielt

Utopien: Entwürfe oder Vorstellungen eines gesellschaftlichen Idealzustands

Virginien: Virginia ist das bedeutendste Tabakanbaugebiet der USA

Volhynien: polnische Provinz bzw. Landschaft in der Ukraine

Wasserpolacken: ursprünglich die schlesischen Oderflößer; später in abwertender Bedeutung

Weibergut: Mitgift, Aussteuer

Weichsel: →Desna

Werg: Hanf- und Flachsabfall, der als Putzmaterial verwendet wird

Witz: im Sinn von Verstandeskräfte, Geist

Zeuge, glänzendem: feine Tischwäsche, Tischdecke

Zinsherr: Abgaben erhaltender Grundherr

Zuckerbeck: Zuckerbäcker, Konditor

Daten zu Leben und Werk: Gottfried Keller (1819  1890)

 

1819  1840 Zürich
1819 19. Juli: Gottfried Keller wird in Zürich als erstes von sechs Kindern des Drechslermeisters Hans Rudolf Keller und seiner Frau Elisabeth, geb. Scheuchzer, geboren. Von den Geschwistern bleibt nur die drei Jahre jüngere Schwester Regula am Leben.
1824 12. August: Tod des Vaters.
1825 Besuch der Armenschule.
1831 Eintritt in das Landknabeninstitut auf der Stüssihofstatt.
1833 Ostern: Übertritt auf die kantonale Industrieschule im ehemaligen Chorherrengebäude des Großmünsters. Erste schriftstellerische Entwürfe.
1834

9. Juli: Wegen eines disziplinarischen Vergehens wird Keller von der Schule verwiesen.

Herbst: Beginn einer Lehre bei dem Vedutenmaler und Lithographen Peter Steiger.

Winter: Lektüre Jean Pauls. 1837 Intensive Goethelektüre.

1837 Intensive Goethelektüre. Frühsommer: Unterrichtsbeginn bei dem Aquarellmaler Rudolf Meyer.
1838

Frühjahr: Abbruch des Unterrichts durch Meyers Weggang.

 

1840  1842  München
1840

26. April: Zur weiteren künstlerischen Ausbildung geht Keller nach München.

Freundschaft mit dem Maler Johann Salomon Hegi (1814  1896).

Romanzen und Trinklieder entstehen.

1842

November: Abbruch der Malerstudien und Rückkehr nach Zürich.

 

1843  1848 Zürich
1843 Juli: Keller beginnt zu dichten. Erstes Fragment zum Roman Der Grüne Heinrich. Die Malerei tritt in den Hintergrund.
1844

Der Verkehr mit dem deutschen Emigrantenkreis um August Follen, Georg Herwegh, Hoffmann von Fallersleben und Ferdinand Freiligrath regt die politisch engagierten Lieder eines Autodidakten an.

Dezember: Beteiligung am 1. Freischarenzug gegen Luzern.

1845 März: Beteiligung am 2. Freischarenzug.
1846 Liebe zu Marie Melos, der Schwägerin Freiligraths. Ein Band thematisch geordneter Gedichte erscheint bei Winter in Heidelberg.
1847

Liebe zu Luise Rieter aus Winterthur.

Sommer: Keller beginnt ein Volontariat in der Staatskanzlei unter Alfred Escher.

1848

26. September: Bewilligung eines Stipendiums durch die Züricher Regierung.

 

1848  1850 Heidelberg
1848 19. Oktober: Abreise zum Studium in Heidelberg.
1849

Freundschaft mit dem Literaturhistoriker Hermann Hettner und dem Philosophen Ludwig Feuerbach. Unglückliche Liebe zu Johanna Kapp.

13. Oktober: Bewilligung eines weiteren Stipendiums durch die Züricher Regierung.

 

1850  1855 Berlin
1850

Mitte April: Ankunft in Berlin.

Häufiger Theaterbesuch und dramatische Pläne.

1851

Gelegentlicher Verkehr im literarischen Salon von Fanny Lewald.

Eine Sammlung Neuere Gedichte erscheint in Braunschweig.

1853 und folgende: Häufiger Gast im Haus des Verlegers Franz Duncker.
1854 Häufige Besuche bei Varnhagen von Ense; Bekanntschaft mit dessen Nichte Ludmilla Assing.
1854 / 1855 Bei Vieweg in Braunschweig erscheint der stark autobiographische Roman Der Grüne Heinrich in vier Bänden.
1855

Frühjahr: heftige Leidenschaft für Betty Tendering, die Schwägerin des Verlegers Franz Duncker.

 

1855  1890 Zürich
1855 Dezember: Rückkehr nach Zürich.
1856

und folgende Jahre: Keller lebt sechs Jahre ohne Amt und Einkommen bei Mutter und Schwester.

Gelegentliche publizistische und feuilletonistische Arbeiten

Bekanntschaften mit Friedrich Theodor Vischer, Gottfried Semper, Paul Heyse und Richard Wagner.

1856 Der erste Teil der Novellensammlung Die Leute von Seldwyla erscheint bei Vieweg in Braunschweig; sie enthält: Pankraz, der Schmoller; Romeo und Julia auf dem Dorfe; Frau Regel Amrain und ihr Jüngster; Die drei gerechten Kammmacher; Spiegel, das Kätzchen.
1861

14. September: Überraschende Wahl zum ersten Staatsschreiber des Kantons Zürich.

Wohnung in der Staatskanzlei

1864 5. Februar: Tod der Mutter.
1866

Verlobung mit der mehr als zwanzig Jahre jüngeren Luise Scheidegger.

13. Juli: Selbstmord der Braut.

1869

19. Juli: Anlässlich seines 50. Geburtstags ernennt ihn die Philosophische Fakultät der Universität Zürich zum Ehrendoktor.

Beginn der Freundschaft mit dem Juristen Adolf Exner.

1872

Bei Göschen in Stuttgart erscheinen die Erzählungen Sieben Legenden.

Herbst: der erste Urlaub seit der Amtsübernahme führt Keller nach München.

1873 Herbst: Auf Einladung von Adolf Exner und seiner Schwester Marie verbringt Keller drei Wochen am Mondsee im Salzburgischen.
1874

Der zweite Teil der Novellensammlung Die Leute von Seldwyla erscheint zusammen mit dem ersten Teil von 1856 in zweiter Auflage bei Göschen in Stuttgart; sie enthält: Kleider machen Leute; Der Schmied seines Glückes; Die mißbrauchten Liebesbriefe; Dietegen; Das verlorene Lachen.

Juli: Besuch in Wien bei Adolf Exners.

1875

Frühjahr: Bezug einer Wohnung auf dem Bürgli in Enge.

1. Juli: Keller kündigt seine Amtsstellung, um sich ganz der Schriftstellerei widmen zu können.

1878 Der Erzählzyklus Züricher Novellen erscheint in Stuttgart; er enthält Hadlaub; Der Narr von Manegg; Ursula; Der Landvogt von Greifensee; Das Fähnlein der sieben Aufrechten.
1879 / 1880 In Stuttgart erscheint der Roman Der Grüne Heinrich in einer zweiten überarbeiteten Fassung in vier Bänden.
1881 Der Novellenzyklus Das Sinngedicht erscheint in Berlin.
1882 Umzug in eine Wohnung im Thaleck am Zeltweg.
1883 Die Ausgabe der Gesammelten Gedichte erscheint in Berlin.
1884 Freundschaft mit dem Maler Arnold Böcklin (1827  1902).
1886 Der Roman Martin Salander erscheint in Berlin.
1888 6. Oktober: Tod von Kellers Schwester Regula.
1889

19. Juli: 70. Geburtstag im Hotel Sonnenberg auf dem Seelisberg.

Als Ausgabe letzter Hand erscheinen die Gesammelten Werke in zehn Bänden bei Hertz in Berlin.

1890

Jahresbeginn: Keller wird bettlägerig.

15. Juli: Keller stirbt.

 

 

 

 

Kleider machen Leute

 

Zur geistig-psychologischen Physiognomie des Hochstaplers gehört sein Zynismus, sein aufgeklärtes, unglückliches Bewusstsein über den Stand der ungleichen Verhältnisse unter den Menschen. Diese bringt er für sich wieder ins Lot, indem er mit den gesellschaftlichen Konventionen nach deren eigenen Vorgaben bedenkenlos operiert. Da dieses Bewusstsein den Betrug als einen individuellen Akt ausgleichender sozialer Gerechtigkeit legitimiert, gibt sich der echte Hochstapler bei der dem literarischen Motiv von altehrwürdiger Tradition eingeschriebenen Akt der Entlarvung keinerlei Blöße.