Er würde sagen, er hätte Kopfschmerzen, damit er auch am Tage im Bett bleiben dürfte und sich gut ausschlafen könnte. Nachts aber würde er die Tarnkappe auf setzen und in die Stadt laufen, sich die Schaufenster ansehen und ins Theater gehen.

Ein einziges Mal war Hänschen im Theater zu einer Galavorstellung gewesen, da lebten Papa und Mama noch — er hatte schon fast alles vergessen, denn er war damals noch sehr klein gewesen, er wußte nur noch, daß es wunderschön gewesen war.

Wenn Hänschen nur eine Tarnkappe hätte, dann könnte er aus dem Park in den Schloßhof gehen und mit Fritz spielen. Und auch im Schloß könnte er überall hingehen, in die Küche zum Beispiel, um zuzugucken, wie das Essen gekocht wird, oder in den Stall zu den Pferden und in all die Gebäude, die er jetzt nicht betreten durfte.

Vielleicht wundert ihr euch, daß so viele Dinge für einen König verboten sein können. Da muß ich euch erklären, daß es an den Königshöfen eine sehr strenge Etikette gibt. Etikette — das heißt, daß es die Könige immer so gemacht haben, und daß ein neuer König daran nichts ändern darf, denn wenn er irgend etwas anders machen wollte, dann würde er seine Ehre verlieren, und alle würden aufhören, vor ihm Respekt zu haben und ihn zu achten. Das würde nämlich bedeuten, daß er selbst seinen großen königlichen Vater, Großvater und Urgroßvater nicht achtete. Wenn ein König irgend etwas anders machen will, dann muß er erst den Zeremonienmeister fragen, der über die Hofetikette wacht und der weiß, was die Könige immer gemacht haben.

Ich habe schon gesagt, daß das Frühstück des Königs Hänschen sechzehn Minuten und fünfunddreißig Sekunden dauerte, weil sein Großvater es so gemacht hatte, und daß es im Thronsaal keinen Ofen gab, weil seine Urgroßmutter das so gewollt hatte, die aber war schon lange tot, und man konnte sie nicht mehr fragen, ob sie nun vielleicht doch erlaubte, einen Ofen aufzustellen.

Manchmal kann der König etwas ein ganz klein bißchen ändern, aber dann gibt es lange Beratungen, so wie das mit Hänschens Spaziergang gewesen war. Und darum machte es gar keinen Spaß, um etwas zu bitten und lange Zeit hindurch zu warten. König Hänschen war noch schlimmer dran als andere Könige, denn die Etikette war ja für erwachsene Könige aufgestellt, und Hänschen war doch noch ein Kind. Ein bißchen mußte man sie also ändern. So mußte Hänschen statt des guten Weines zwei Gläschen Lebertran trinken, der ihm gar nicht schmeckte. Und statt Zeitungen zu lesen, schaute er sich nur die Bilder an, denn so gut lesen konnte er noch nicht.

Alles wäre anders gewesen, wenn Hänschen den Verstand seines königlichen Vaters und die Zauber-Tarnkappe gehabt hätte. Dann wäre er wirklich König gewesen, aber so wußte er manchmal selber nicht recht, ob es nicht besser wäre, wenn er als ganz gewöhnlicher Junge auf die Welt gekommen wäre, um in die Schule zu gehen, Seiten aus den Heften herauszureißen und mit Steinen zu schmeißen.

Da kam Hänschen eines Tages auf den Gedanken, wenn er erst richtig schreiben könnte, dann würde er Fritz auf einem Blatt Papier einen Brief schreiben — und vielleicht würde Fritz ihm antworten — das wäre dann genauso, als wenn er sich mit Fritz unterhielt.

Jetzt machte sich Hänschen aber ans Schreibenlernen. Tagelang schrieb er, aus seinem Buch schrieb er kleine Erzählungen und Gedichte ab, und wenn man es ihm erlaubt hätte, dann wäre er nicht einmal in den Schloßpark gegangen und hätte nur von morgens bis abends geschrieben. Das konnte er aber nicht tun, denn die Etikette und das Hofzeremoniell verlangten, daß der König direkt aus dem Thronsaal in den Garten ging. Und da warteten schon zwanzig Lakaien, um die Tür vom Saal in den Garten aufzumachen. Wenn Hänschen nicht in den Garten gegangen wäre, dann hätten diese zwanzig Lakaien nichts zu tun gehabt und hätten sich sehr gelangweilt.

Vielleicht wird jemand sagen, das sei doch schließlich keine Arbeit, die Tür aufzumachen. So kann aber nur jemand sprechen, der die Hofetikette nicht kennt. Ich muß also hier erklären, daß diese Lakaien ganze fünf Stunden lang sehr beschäftigt waren. Jeder von ihnen nahm morgens ein kaltes Bad, dann kam der Frisör, der kämmte ihnen die Haare und rasierte ihnen den Bart, ihr Anzug mußte immer blitzsauber sein, kein einziges Stäubchen durfte darauf liegen, denn vor dreihundert Jahren, als König Heinrich der Aufbrausende noch regierte, da war einmal ein Floh von einem Lakaien auf das königliche Zepter gesprungen, und der Henker hatte diesem schlampigen Kerl den Kopf abgeschlagen, der Hofmarschall aber war nur um Haaresbreite dem Tod entgangen. Seitdem prüfte der Oberaufseher immer selbst nach, ob die Lakaien auch sauber waren, wenn sie angezogen und frisch gebadet schon von elf Uhr sieben Minuten an im Korridor standen und warteten, bis es ein Uhr siebzehn war, denn dann musterte sie auch noch der Zeremonienmeister. Und sie mußten dabei sehr aufpassen, denn wenn sie ihre Livree nicht ganz zugeknöpft hatten, dann drohte ihnen sechs Jahre Gefängnis, waren sie schlecht gekämmt, vier Jahre Zwangsarbeit. Und wenn sie sich nicht geschickt genug verbeugten, bekamen sie zwei Monate Arrest bei Wasser und Brot.

Von all dem wußte Hänschen so ein bißchen etwas, daher kam ihm nicht einmal der Gedanke, nicht in den Park zu gehen; und wer konnte es im übrigen voraussehen: Vielleicht hätten sie noch irgendwo in der Geschichte gefunden, daß irgendein König überhaupt nicht in den Park gegangen war, und dann hätten sie gesagt, er richte sich nach diesem König. Und dann hätte ihm ja auch das ganze Schreiben nichts genützt, denn wie sollte Hänschen dann Fritz durch das Gitter seinen Brief zuschieben.

Hänschen war begabt und besaß einen starken Willen. Er sagte sich: In einem Monat schreibe ich meinen ersten Brief an Fritz.

Und trotz aller Hindernisse schrieb und schrieb er so lange, daß sein Brief an Fritz ohne fremde Hilfe nach einem Monat fertig war.

Lieber Fritz, schrieb Hänschen, schon lange schau ich zu, wie ihr auf dem Hof so fröhlich spielt. Und ich möchte sehr gerne auch spielen, aber ich bin König, darum darf ich nicht. Aber Du gefällst mir sehr gut. Schreib mir, wer Du bist, denn ich möchte Dich gerne kennenlernen. Wenn Dein Papa beim Militär ist, dann werden sie Dir vielleicht erlauben, manchmal in den Schloßpark zu kommen.        HänschenKönig.

Hänschen schlug das Herz, als er Fritz durch das Gitter rief und ihm seinen Brief übergab.

Und er hatte auch Herzklopfen, als er auf dem gleichen Wege am nächsten Tag die Antwort erhielt.

König, schrieb Fritz, mein Papa ist Unteroffizier der Hofwache und ist beim Militärund ich möchte sehr gern im Schloßpark spielen. Und ich bin Dir, König, treu und bin bereit, für Dich durch Feuer und Wasser zu gehen und Dich bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen.