So oft Du Hilfe brauchst, pfeife nur, und ich werde auf Deinen ersten Ruf hin erscheinen. Fritz.

Hänschen legte diesen Brief ganz unten in die Schublade unter alle Bücher und — lernte pfeifen. Hänschen war sehr vorsichtig, denn er wollte sich nicht verraten. Wenn er fordern würde, Fritz in den Schloßpark zu lassen, dann würden sofort wieder die Beratungen beginnen: Warum und woher er weiß, wie Fritz heißt und wie sie sich kennengelernt haben? Und was soll geschehen, wenn sie es herausbekommen und es dann doch nicht erlauben? Der Sohn eines Unteroffiziers — wenn es wenigstens noch der eines Leutnants gewesen wäre! Dem Sohn eines Offiziers hätten sie es ja vielleicht erlaubt. Aber so werden sie es ganz bestimmt ablehnen.

Ich muß noch ein bißchen warten, entschied Hänschen. Erst einmal lerne ich pfeifen.

Es ist gar nicht so leicht, pfeifen zu lernen, wenn man niemanden hat, der es einem zeigt. Aber Hänschen hatte einen starken Willen, und so lernte er es eben. Und er pfiff.

Er pfiff nur einmal so zur Probe, nur um sich selbst davon zu überzeugen, daß er es konnte. Und wie groß war sein Erstaunen, als einen Augenblick später, gespannt wie eine Saite, Fritz vor ihm stand.

„Wie bist du bloß hierhergekommen?“

„Ich bin übers Gitter geklettert.“

Im Schloßpark wuchsen dichte Himbeersträucher, und dort versteckte sich König Hänschen mit seinem Freund, um zu beraten, was weiter zu tun wäre.


 

 

 

 

Hör mal zu, Fritz, ich bin ein ganz unglücklicher König. Seit ich schreiben kann, unterschreibe ich alle Papiere, das nennt man, ich regiere den ganzen Staat, aber in Wirklichkeit tue ich nur, was sie mir sagen, und dabei lassen sie mich lauter langweilige Dinge tun und verbieten mir alles, was mir Spaß macht.“

„Wer kann denn Eurer Majestät etwas verbieten und befehlen?“

„Die Minister“, antwortete Hänschen. „Als Vati noch lebte, habe ich immer getan, was er mir sagte.“

„Na ja, damals warst du Königliche Hoheit, der Thronfolger. Und dein Vati war Seine Majestät, der König, aber jetzt...“

„Jetzt ist es noch hundertmal schlimmer. Von diesen Ministern gibt es einen ganzen Haufen.“

„Militär oder Zivil?“

„Nur einer ist beim Militär, der Kriegsminister.“

„Und die übrigen sind Zivilpersonen?“

„Ich weiß nicht, was das heißt, Zivilpersonen.“

„Zivilpersonen, das sind Leute, die keine Uniform und keinen Säbel tragen.“

„Ja, dann sind sie Zivilpersonen.“

Fritz nahm eine Handvoll Himbeeren in den Mund und dachte tief nach. Dann fragte er langsam: „Gibt es im Schloßpark Kirschen?“

Hänschen wunderte sich über diese Frage, aber er hatte großes Vertrauen zu Fritz. Er sagte also, daß Kirschen und Birnen da wären, und versprach, er würde Fritz durch das Gitter so viel davon zustecken/wie der nur haben wollte.

„Na schön. Oft dürfen wir uns aber nicht sehen, denn sie könnten uns hinter die Schliche kommen. Wir müssen so tun, als ob wir uns überhaupt nicht kennen. Wir werden uns eben Briefe schreiben. Die Briefe legen wir oben auf die Mauer — neben dem Brief können Kirschen liegen. Wenn diese geheime Korrespondenz da liegt, dann pfeifen Majestät — und ich komme alles holen.“

„Und wenn du mir schreibst, dann pfeifst du.“ Hänschen freute sich.

„Nach einem König pfeift man nicht“, brauste Fritz auf. „Ich kann den Kuckucksruf ertönen lassen. Ich stelle mich in großer Entfernung auf und rufe wie ein Kuckuck.“

„Gut.“ Hänschen war einverstanden. „Und wann kommst du wieder?“ Fritz dachte lange nach und antwortete schließlich: „Ohne Erlaubnis kann ich nicht hierher kommen. Mein Vater ist Unteroffizier und hat sehr gute Augen. Mein Vater erlaubt mir nicht einmal, dem Zaun vom Schloßpark zu nahezukommen, und er hat mir schon oft gesagt: «Fritz, ich warne dich, laß es dir nicht in den Sinn kommen, im Hofgarten Kirschen zu stibitzen, denn vergiß nicht, so wahr ich dein Vater bin, wenn sie dich da schnappen, dann zieh ich dir das Fell über die Ohren. Lebendig kommst du dann aus meinen Händen nicht mehr heraus».“

Hänschen war entsetzt.

Das wäre schrecklich. Mit so viel Schwierigkeiten hatte er endlich einen Freund gefunden, und diesem Freund sollte das Fell über die Ohren gezogen werden, Hänschen aber wäre schuld daran. Nein, wirklich, die Gefahr war zu groß.

„Wie kommst du jetzt bloß nach Hause?“ fragte Hänschen beunruhigt.

„Geruhen Majestät sich zu entfernen, ich werde schon einen Weg finden.“ Hänschen sah, daß dieser Rat richtig war, und kroch aus dem Gebüsch heraus. Es war aber auch höchste Zeit, denn der ausländische Erzieher hielt bereits Ausschau, wo der König heute blieb.

Hänschen und Fritz handelten nun gemeinsam, wenn auch durch das Gitter getrennt. Hänschen stöhnte oft in Gegenwart des Doktors, der ihn jede Woche wog und maß, um sich davon zu überzeugen, wie der kleine König wuchs und wann er endlich groß sein würde; er beklagte sich über seine Einsamkeit und einmal sagte er sogar dem Kriegsminister, er möchte so gerne das Exerzieren lernen.

„Herr Minister, kennen Sie nicht vielleicht irgendeinen Unteroffizier, der mich unterrichten könnte?“

„O ja, das Streben Eurer Majestät, sich militärische Kenntnisse anzueignen, ist lobenswert. Aber warum muß es gerade ein Unteroffizier sein?“

„Es kann auch der Sohn eines Unteroffiziers sein“, sagte Hänschen erfreut.