Die Nacht dämmerte herauf, leise nahte sich im Schatten der Nacht der Schlaf den Augen der Menschen, machte aber heute nicht gute Geschäfte. Es wollte ihm niemand warten, es war eine ungewohnte, seltsame Unruhe auf der Straße, auf der berühmten Kastenstraße, welche schon zu der Römer Zeiten den Osten Helvetiens mit dem Westen verbunden haben soll.

Eine große Weinfuhr für das Kloster war am selben Abend durch den Ort gekommen; zur selben Zeit war eine Weinfuhre ein Ereignis, selbst in Langenthal, wo sonst von Zeit zu Zeit etwas Merkwürdiges vorkam. Wahrscheinlich waren aber damals noch seltener als die Weinfuhren die Weinreisenden, welche der Sage nach gegenwärtig vor Langenthal sich oft aufstauchen wie in Paris die Menschenmasse vor dem Theater, wenn die Rachel spielt, die Eingänge zu klein sind, die Menge derer, welche hineinwollen, zu groß ist. Weder das Straßenpflaster noch die Straßenbeleuchtung, für welche in jüngster Zeit ein löblicher Gemeinderat eine selten gewordene Prämie erhalten hat, waren damals in Langenthal zu der Vollkommenheit gekommen, in welcher man sie jetzt findet. Zwei Weinwagen blieben stecken, an dem einen brach die hintere Achse, am andern die Deichsel, mit aller Mühe konnte man sie nicht flott machen, sie mußten in Langenthal zurückgelassen werden. Nun lebte damals in Langenthal eine große Familie, zu welcher fast die ganze Einwohnerschaft gehörte, die wahrscheinlich ausgestorben sein wird, namens Durstig, sie hatte die Eigentümlichkeit, daß sie den Wein mehr liebte als das Wasser. Zwei Weinwagen auf offener Straße eine ganze Nacht durch war ein nie erlebtes Ereignis. Da Langenthal zum Kloster gehörte, die Wagen auf des Klosters Grund und Boden standen, so war die Bedeckung mit den andern Wagen nach dem Kloster gezogen, nur die Fuhrleute blieben bei den Wagen zurück, blieben aber nicht alleine.

Von allen Seiten trappete es heran, jeder wollte die merkwürdigen Wagen sehen, und wer sie einmal ansah, dem ging es wie der Eva im Paradies. Als sie den Apfel einmal recht angesehen, konnte sie auch nicht mehr davon los, bis sie dreingebissen. Man stand um die Wagen her, riet über die Größe der Fässer, die Güte des Weines, und je mehr man riet, desto zahlreicher ward die Familie Durstig um die Wagen herum. Gut wäre es doch, sagte endlich einer, wenn einige die Nacht über bei den Wagen wachen würden, die übrigen könnten nach Hause gehen. Er werde meinen, sagte eine Frau, er sei alleine klug, und niemand merke, warum sie nach Hause sollten; einem recht, dem andern billig: wenn er über den Wein wolle, so wolle sie auch daran; übrigens sei Versuchen erlaubt. Wenn die Herren da wären, sie schlügen selbst eins der Fässer auf; man könne es ja auch machen wie die Fuhrleute, mit Wasser wieder zufüllen, so merke ja niemand etwas.

Ist man einmal mit dem Rate so weit, so ist die Ausführung auch nicht mehr fern; man bohrte vorsichtig an, und vorsichtig ließ man anfangs nur wenig heraus, damit der Abgang oder das Wasser im Weine nicht gemerkt werde. Sowie man bohrte, war alles nach Trinkgeschirren davongestoben, und jetzt stob alles heran wie Tauben auf einen Hanfacker, den soeben der Säemann verlassen. Das Gedränge um die Wagen wurde groß, jeder wollte seinen Teil, und hatte er ihn, so wollte er noch einen. Die Weiber zeichneten sich durch gewaltiges Schlucken aus; hatte ein Weib einmal ein Geschirr am Maul, so war es, als ob sie zusammenwüchsen, und voneinander brachte sie keine irdische Macht mehr, solange ein Tropfen von einem ins andere rann. Ein Loch in einem Faß genügte nicht mehr, ein zweites entstand, man wußte nicht wie, und befriedigte noch lange nicht das immer wachsende Bedürfnis der immer größer werdenden Familie Durstig. Die Unmöglichkeit, die Sache zu vertuschen, ward immer klarer, ward auch begriffen und rasch der Entschluß gefaßt, den sämtlichen Wein sich zuzueignen, Wagen und Fässer beiseite zu bringen und dann zu sagen, der wilde Barthli sei gekommen und hätte sie geholt. Um die Lüge glaubwürdiger zu machen, könne man ein altes Scheuerlein anzünden, Lärm machen und Botschaft ins Kloster senden, so ward geraten.

Ein altes Sprüchwort sagt: Der Teufel ist ein Schelm, und wenn man vom Wolfe spricht, so ist er weit oder nah. Kaum hatte man die Ausführung jenes Rates begonnen, so hörte man Lärm von der Bergseite her, und kaum hatten die Köpfe dorthin sich gedreht, erhob sich wildes Geschrei von der andern Seite. Pferde hörte man sprengen, in vollem Lauf brauste eine Schar die Straße herauf, voran auf schwarzem Roß ein Ritter, schwarz gerüstet. »Der Barthli, der Barthli! » fuhr wie ein Schrei aus aller Mund, und erschrocken, wie wenn unter leichtsinniger, trunkener Menge der grausame Teufel plötzlich erscheint, stob wie Spreu im Winde die Menge auseinander, es bebten alle Glieder, und vergangen war aller Durst; an Widerstand dachte niemand, selbst für gehörige Flucht fehlte den meisten der Verstand, sie liefen, wie bei einem Brande das Vieh ins Feuer, dem Feind blind in die Hände. Der Ritter von Luthern wußte seine Dispositionen zu machen so gut als heutzutage in ähnlichen Fällen ein Husarengeneral. Wie das Wetter von allen Seiten zugleich war er über den Ort gekommen, mit seinen Rossen dem Menschenknäuel zugesprengt, den er zu so ungewohnter Zeit auf der Straße sah; es konnten Feinde sein, zu seinem Empfang gerüstet. Erst als derselbe auseinanderstob wie ein Haufen dürrer Blätter, in welche der Wind weht, sah er die beladenen Wagen, erkannte er den unerwarteten, aber um so willkommeneren Fund. Barthli wird den Livius kaum gelesen haben, wußte darum nicht, wie es dem Hannibal in Capua ging, erlaubte seiner Bande, während man aus allen Gehöften das Vieh zusammentrieb, das Wertvollste zur Hand nahm, kurz, eine tüchtige Plünderung kundig betrieb, zu trinken nach Belieben, was sie denn auch tat und zwar eifrig, und je eifriger sie dieses Geschäft betrieb, desto mehr beliebte es ihr.

Die Hauptfuhre war in St. Urban glücklich angekommen und mit großen Freuden empfangen worden. Die glückliche Ankunft war ein Ereignis im Kloster; wenn sie schon nicht empfangen wurde mit großem Gepränge wie eine kostbare Reliquie, so war doch die Freude um so inniger und besonders bei den vielen Edlen, welche wirklich ins Kloster eingeritten waren. Wer das Fest nicht kannte, welchem ihr Eintritt galt, hätte geglaubt, wie ein Bauer seine Freunde zu einem Wurstmahl ladet, so hätten die Klosterherren ihre Freunde geladen, den Wein zu begrüßen und zu kosten. So war es nun nicht, aber deswegen war die Freude nicht weniger herzlich, das Kosten nicht weniger gründlich.