Und als er nun heimkam, die Mutter ihn schalt, Jürg ärgerlich und traurig sich von ihm wandte, da ward Kurt gar elend im Gemüte, fast wäre ihm das Weinen gekommen, er verdrückte es wohl, aber da saß es innerlich. Wie finstere Wolken am Himmel jagen und streiten, bis endlich ein Gewitter sich geballt hat und losbricht, so stürmten seine Gedanken durch die Seele, bis der Entschluß sich festgestellt, ein anderes Leben zu versuchen, ein ritterliches, soweit es ihm möglich, um auf dieser Bahn wieder zu Geld und Ehren zu kommen. Als er einmal recht wußte, was er wollte, teilte er es Jürgen mit. Der hatte große Freude, zog die Schleusen seines Gedächtnisses auf und erzählte tagelang von alten Heldentaten, von Ehren und Reichtümern, von Schlössern und Turnieren, von Kriegslisten und Fräuleins.
Was Kurt des Tags gehört, träumte er des Nachts und erwachte am Morgen mit heißem Verlangen auszuführen, was er geträumt. Mit großem Eifer schleppten sie aus allen Winkeln altes Rüstzeug zusammen, feilten und nagelten, bis sie so gleichsam eine neue Rüstung hatten, putzten einen verrosteten Schild neu auf und schliffen ein altes Schwert. Wenn Kurt zur Übung diese Rüstung getragen hatte, den Tag über mit dem Schwerte Äste von den Bäumen gehauen und Jürg mit einer Axt tapfer auf den Schild gehämmert hatte, so hatte Kurt des Nachts um so wildere Träume, fuhr als ein großer Kriegsheld in der Welt herum, baute ein großes Schloß und im Schloß ein tiefes, schauerliches Verließ, in das Verließ warf er alle neun Fräuleins von Halten und fütterte sie ihr Leben lang mit alten Buchnüssen und schwarzen Eicheln.
Das waren so kurzweilige Mittel, einen langen Winter zu verkürzen, daß mancher laichende Lachs mit dem Leben wieder zur Aar und von da weiterkam, statt in Koppigen verspeist zu werden, mancher Eber die nächsten Eicheln noch erlebte, und Wölfe ungestraft brüllten in der Nähe.
Endlich dämmerte der Frühling, die günstige Zeit, dem Glück entgegenzureiten, nahte. Der Junker war fertig genagelt und gefeilt, sogar ziemlich eingehauen, nur eins fehlte, um auszureiten, und welches in der Tat für jemand, der ausreiten will, von ziemlicher Bedeutung ist, ein Pferd nämlich. Vor alten Zeiten waren Pferde in Koppigen gewesen, aber längst den Weg alles Fleisches gegangen, andere zu kaufen, hatte man kein Geld, sie zu stehlen, war die Gefahr größer als bis dahin das Bedürfnis. Jetzt war das Bedürfnis da, und wenn Kurt gleich mit dem Raub weiterritt in die weite Welt hinaus, die Gefahr nicht groß. Jetzt war Not am Mann, jetzt mußte eins gestohlen werden, ohne Roß konnte begreiflich der Junker nicht ausreiten, die Welt zu erobern. Guter Rat war teuer, denn zum Pferdestehlen war die Zeit gar zu ungünstig. Bekanntlich stiehlt man Pferde am leichtesten von der Weide, aus wohlverwahrten Ställen aber in aller Stille einen Hengst zu bringen, von bekannten Stuten weg und mit unbekannten Händen, ist ein vermessenes Stücklein.
Gern hätte Jürg für seinen Zögling einen rechten Staatshengst gehabt, einen Ausbund mit Brüllen, Schlagen und Beißen, aber solche Hengste sind eben schwer zu stehlen, noch schwerer zu reiten, und in diesem war leider Kurt kein Ausbund. Lange spionierte Jürg im Lande herum, nach etwas Dienlichem für einen armen Junker, stöberte endlich einen Klosterhengst auf, welchem bei einem Klostermeier das Gnadenbrot gegeben wurde, der es sicher zu haben glaubte, dort sein Leben in Ruhe verbringen zu können. Es ist aber halt alles ungewiß in der Welt, wie sicher man sich auch gestellt glaubt.
In einer dunkeln, stürmischen Nacht verschwand der Hengst aus des Meiers Stall, der Meier ließ sich nie ausreden, daß nicht der Teufel den Hengst geholt. Ohne Brüllen und Beißen hätte der sich nicht abführen lassen von menschlichen Händen, behauptete der Meier. Der Meier dachte nicht an seinen Klosterschlaf, der so dick war wie der Vorhang vor dem Allerheiligsten im Tempel zu Jerusalem und siebenmal dicker als der Schlaf des Holofernes, der bekanntlich auch erst merkte, was Trumpf war, als Judith ihm den Kopf bereits vom Halse gestohlen hatte.
Nun war Kurts Abreise unvermeidlich. Der alte Hengst brüllte gar gewaltiglich, als man ihn in Koppigen installieren wollte, erregte dadurch Aufsehen ringsum. Unter den Erlenstöcken hervor schossen die Wasserhühner, streckten neugierig ihre Hälse über das Wasser empor, die Enten flogen auf mit schwerem Flügelschlag und schossen einem entfernten Wasser zu. Die Rehe sprangen auf und horchten mit zitternden Beinchen, was die ungewohnten Töne zu bedeuten hätten, das wilde Schwein grunzte zornig, daß in seinem Revier ein neues Schwein ihns störe. Zwei alte Jagdhunde aber sprangen auf, heulten gar herzinniglich und wedelten auf das zärtlichste mit ihren kurzen Schwänzen über die heimeligen, so lange nicht gehörten Töne, welche sie an die Herrlichkeit vergangener Tage erinnerten.
Doch nicht bloß Hühner und Rehe kamen in Verlegenheit und in Zorn das wilde Schwein, denn zorniger als das Schwein ward die alte Grimhilde und verlegener als Reh und Huhn Jürg und Kurt. Zornig war Grimhilde, als sie sah, daß es ernst war mit Kurts Einfall in die Welt. Sie hatte es wie viele Eltern, sie betrachtete die Kräfte, welche sie genährt und erzogen, als ihr Eigentum, über welches sie allein verfügen, allein es nutzen konnte. Wenn Kurt fortging, wie sollte sie es machen können? Mit ihm entwich aus dem Hause die rüstige Kraft, was sollte sie beginnen allein mit dem alten Jürgen? Der schaffte ihr kaum genug Nahrung, geschweige daß er ihr Beiträge lieferte für ihre Truhen, wie sie sich deren von Kurt zu erfreuen gehabt. Früher, als Kurts Fahrt bloß so ein Gedanke oder, wie man im gemeinen Leben zu sagen pflegt, eine Idee war, fand sie dieselbe beides, prächtig und zeitgemäß, jetzt, da sie in Wirklichkeit treten, verkörpert werden, ihre Selbstsucht Opfer bringen sollte, empörte sich der kurze Sinn, welcher gerne beim Alten wohnt, welcher alle Tage das Gewohnte haben will. Da schrie sie, als ob man sie am Messer hätte. Es ging halt nicht anders, als es oft geht, daß, was von weitem prächtig, ist in der Nähe häßlich, daß herrliche Ideen und Theorien in der Ausführung abscheulich werden oder auch wiederum nur abscheulich scheinen.
So belferte Grimhilde gar bitterlich, und doch war nicht dieses Belfern der Hauptgrund der Verlegenheit der beiden andern. Man war dessen gewohnt, Jürg sagte, sie hätte es immer so gemacht und doch niemanden jemals Plätzen damit abgesprengt. Aber es ging ihnen wie der Grimhilde, sie erfuhren, daß einen Gedanken fassen und denselben ausführen zwei ganz verschiedene Dinge sind. Wohin sollte Kurt reiten und zu wem? Sie fühlten jetzt, was eine Menge Eltern nicht denken, sondern erst fühlen, wenn sie ihre Kinder in die Welt schicken wollen, den Mangel an ehrbarer, gewichtiger Bekanntschaft nämlich. Kommode wäre es gewesen, wenn er so geradezu auf einen Edelsitz hätte reiten und sagen können: »Bonjour miteinander! Ich bin der Kurt von Koppigen, Vater und Mutter lassen grüßen und sagen, es wäre ihnen anständig, wenn ihr mich eine Weile behieltet und mir in der Welt forthülfet; ich bin ein tüchtig Stück Mensch, gereuen wird es euch nicht.« Aber das konnte leider Kurt nicht, sein Name war keine Empfehlung, sein Vater gestorben, seine Mutter aller Bekanntschaft abgestorben, weil eben alle diesen Namen lieber gar nicht mehr hörten.
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