Sie konnten also keinen Hafen ins Auge fassen, in welchem Kurt zu landen hätte, sie hatten bloß die Wahl zwischen den vier Weltgegenden, die sind weit, aber eben das wars, was sie in Verlegenheit setzte.
Damals war es eine schöne Zeit für junge und alte Freibolde oder Freischärler, wie man sie jetzt nennen würde, für Leute, welche im Recht des Stärkeren ihr Heil suchten und ein Leben auf Kosten anderer. Einst war kein König in Israel, jeder tat, was ihm wohlgefiel, so stehts geschrieben, ungefähr so war es damals in Deutschland. Kein Kaiser war da, welcher Ordnung hielt, jeder lebte, solange es ging, auf eigene Faust.
Kaiser Friedrich war ein hochgesinnter Mann und gewaltiger Held gewesen, aber über seiner Zeit und seinen Kräften lag, was er wollte. Den Papst wollte er unter dem Kaiser, die Kirche unter dem Reiche haben, wollte über alle Fürstenkronen die kaiserliche setzen und in des Kaisers Hand die Kräfte sämtlicher Fürsten Deutschlands vereinigen. Mit Kühnheit und Kraft rang er nach diesem Ziele. Aber wie ein edles Pferd durch Wespen und Hornissen zu Tode gehetzt werden kann, so kann der größte Held kleineren Feinden erliegen, wenn sie ihn unablässig hetzen, nimmer zur Ruhe kommen lassen. Für solche Feinde sorgten die Päpste, wandelten sogar in solche des Kaisers Söhne um, brannten in Deutschland das Feuer des Aufruhrs an, wenn der Kaiser in Italien war; eilte derselbe nach Deutschland, so stand alsbald Italien in Flammen. Nach dem Höchsten strebte Friedrich und erreichte weniges, kaum einen ruhigen Tod, kaum ein geweihtes Grab.
Nach seinem Tode ging es wild und frei zu in Deutschland, das heißt, es ging drunter und drüber, überall Streit und Fehde, keiner mächtig genug, die losgelassenen Kräfte zu binden und Frieden zu machen. Wem das Schicksal wollte, wer das Fischen im trüben verstand, dem konnte leicht ein prächtiger Fang gelingen. Im Westen dagegen war mehr Zucht und Ordnung, war ein geregeltes Leben. Die Städte übten ihre Macht, Ordnung war das Element ihres Gedeihens. In Berns Bärenklauen zu kommen, war nicht geraten. Freiburg sorgte ebenfalls für Sicherheit nach seinen Kräften, und des Landes große Grafen mußten einigermaßen auf Ordnung halten um der Städte willen. Nach langem Bedenken kalkulierte daher Jürg, der Weg nach Osten, dem freien Deutschland zu, möchte am sichersten und schnellsten zu Geld und Ehren führen; das Land hinunter sollte Kurt also reiten, sobald vorüber war die Fastenzeit samt dem Osterfeste. Nicht daß sie sich um die Fasten kümmerten, sie aßen das ganze Jahr durch, was sie hatten, und zwar ohne Dispens, ebensowenig um Ostern. Sie bedurften keinen Erlöser, da sie keine andere Sünde kannten, als einen Fang sich entgehen zu lassen, den sie hätten machen sollen; da sie geschickte Leute waren, so begingen sie diese Sünde selten, und geschah es einmal, so machten sie dieselbe alsbald durch verdoppelte Anstrengung wieder gut. Ostern bezeichnete ihnen bloß den Frühlingsanfang. Schon glaubte Frau Grimhilde, der Plan sei aufgegeben, und ärgerte sich bitterlich über den Hengst, der sie gefährde und nichts nütze.
Ein schöner Aprilmorgen war es, als Kurt eine doppelte Portion Hafermus, zu welchem der Hafer nicht auf ihren Feldern gewachsen war, verzehrte, ein gewaltig Stück Fleisch verschlang, denn er wußte nicht, wann er wieder zum Essen kam; Jürg sattelte ihm den Hengst, es war der Tag des Aufbruches. Als er gegessen hatte, im Notfalle für einige Tage, kündete er der Mutter seine Abfahrt an. Potz blind blau, wie loderte die Frau, spie Feuer und Flammen und sagte, wer Meister sei im Schlößchen. Kurt der Gewaltige schlotterte und wäre daheim geblieben, aber Jürg war nicht auf den Kopf gefallen, er sagte, sein erschlagener Herr wolle es, daß Kurt fortreite, er sehe ihn täglich im Stalle. Wenn die Frau es verhindere, so müsse sie sich gefaßt machen, was geschehe, er für sich wolle keine Schuld haben, aber wenn er was zu raten hätte, so solle Kurt machen, daß er fortkomme. Frau Grimhilde war nun nicht die, welche von ihrem Willen alsbald abstand, welche zugab, sie fürchte sich vor irgendeinem Mann, sei es ein lebendiger oder ein toter. Indessen brauchte sie nicht Gewalt, schlug die Tore nicht zu, ließ Kurt ungefährdet ziehen. Als sie ihn so stolz zu Rosse sah, sah, wie seine mächtige Gestalt fast das Tor füllte, da kamen plötzlich mütterliche Gefühle über sie; wenn er nicht wiederkommen würde, dachte sie, und heiß schoß es ihr in die Augen. Unglücklicherweise hüpfte ein alter Rabe ihr um die Füße, der ward zum Sündenbock, erhielt einen Fußtritt, der ihn lähmte; denn wenn eine Grimhilde weich wird, so folgt alsbald der Zorn, und herhalten muß, wer zuerst in Schußweite kommt.
Als hoch zu Roß der große Kurt durchs enge Törchen ritt, schwellte Stolz seine breite Brust, stolz sah Jürg ihm nach, stolz fast wie ein Schneider, wenn er an einem Löwen des Tages die Arbeit seiner Hände bewundert. Was werden sie draußen dazu sagen, wie wird die Welt sich wundern und nach dem Meister fragen? Akkurat das gleiche dachte auch Jürg. Verwundert schauten die Bewohner der verfallenen Hütten ihrem aufgeputzten Junker nach, wie wilde Katzen schlüpften nackte Kinder durch die Gebüsche, um zu erkunden, was das zu bedeuten hätte, und wohin er wolle. Bei Kurt blieb der Stolz nicht lange das vorherrschende Gefühl. Sicher und wohlgemut schritt er über die Erde, strich durch die Wälder, dürftig bedeckt, die Keule auf der Achsel, Bogen oder Speer in der Hand.
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