Aber unheimlich ward es ihm auf dem alten Klosterhengst, die Lanze am Bügel, und unwohl in der steifen, starren, eisernen Rüstung. Wild und scheu ritt er langsam und mühsam das Land hinab und studierte im Schweiße seines Angesichts an der Lösung der Frage: was, um sein Glück in der Welt zu machen, zweckdienlicher sei, den ersten, welcher ihm begegne, zu spießen oder demütig ihn um Dienst zu bitten. Anfänger sind oft pedantisch und handeln gern nach vorgefaßten Grundsätzen, also entweder oder: entweder spießen oder entweder bitten. Erfahrene ziehen Umstände und Gelegenheit zu Rate. Das Auftreten in der großen Welt hat immer seine Schwierigkeiten, wie keck sich einer auch gebärden mag in gewohnter, engerer Umgebung. Gegenwärtig weiß man jungen Leuten die Sache ungemein zu erleichtern, man schickt sie ein Jahr ins Welschland oder tut sie ein halbes Jahr in eine Schreibstube, muntert sie zu einem Schnauz auf und gibt ihnen einen Hakenstock in die Hand, Stiefel an die Füße, dann kommt die Keckheit von selbst und im Überfluß, wie Schilf im Sumpfe.
Das Land von Koppigen bis Seeberg war ihm so bekannt wie das Koppiger Schlößchen. Wenn er es früher durchstreifte, erwartete er nichts Besonderes als einen fetten Rehbock oder gar einen Hirsch, aber jetzt, hoch zu Roß, abenteuerlich aufgeputzt, erwartete er auch absonderliche Abenteuer, etwas ganz Neues. Mit der größten Spannung rückte er Schritt vor Schritt vor, in weiter Ferne glaubte er die seltsamsten Töne zu hören, Töne, wie sie noch kein Mensch gehört, in der Nähe aber war alles akkurat wie sonst: Wald und Wild und Wasser und sonst nichts.
Endlich erblickte er durch Buchen die Burg von Seeberg, wo ein armer Junker hauste mit einer halbwilden Familie. Er stellte die Lanze hoch, riß am Hengst herum, machte sich gewaltig im Sattel, hoffte, von oben her angeblasen und eingeladen zu werden als unbekannter Ritter und sich dann zu zeigen als der ihnen wohlbekannte wilde Koppiger Junker. Aber still blieb es oben, wahrscheinlich war der Junker weder neugierig, noch hatte er überflüssigen Proviant, vielleicht auch hatte sein Weib Kopfweh oder Zahnweh oder war sonst nicht in gastlicher Stimmung. Er mußte fürbaß und war ärgerlich.
Als er bald darauf das Schlößlein des Edelknechts von Önz sah, dachte er an Jürgens väterlichen Rat, nicht blöde zu sein, sondern kühn zu klopfen ans erste beste Tor, ehe der Hunger ihm über den Kopf wachse. Dessen hatte es zwar noch keine Gefahr, so weit von heim war er nicht, aber wußte er, was zwischen hier und dem nächsten Tore ihm begegnen konnte, und wann er wieder zum Essen kam? Der Hengst mußte ähnliche Gedanken wie sein Reiter haben, er hob höher seine alten Beine, stieß ein fröhliches Gewieher aus, was dem Junker das Hornen vor verschlossenem Tore ersparte; denn als er zu selbigem kam, war es offen, im Hofe der Burgherr bereit zu freundlichem Empfang. Der Edelknecht von Önz gehörte freilich zum niedrigsten Adel, aber er hatte etwas, welches schon damals nicht unangenehm war, er hatte bedeutende Güter und drei schöne Töchter. Er war ein munterer, lustiger Mann, früher ein wackerer Haudegen, jetzt ein tapferer Trinker. Er brauchte die Sorgen sich nicht über das Haupt wachsen zu lassen, hatte Freude, wenn jemand kam und mit ihm trank; kam niemand, so trank er alleine oder suchte wackere Zecher auf, gleichviel, fand er sie in Burgen oder Klöstern.
Von Kurt hatte er allerlei munkeln gehört, denn wenn schon nicht alles an die Sonne kommt, so geschieht doch wenig unter der Sonne, von dem man nicht Wind hat. Als er nun auch Kurts Schild, das Koppiger Zeichen erkannte, wußte er, wen er vor sich hatte, und als er ihn so seltsam ausstaffiert auf seinem steifen Hengste sah und in Verlegenheit, wie und auf welcher Seite er heruntersollte, da lachte er gar herzlich. Kurt wußte nicht, wie er es nehmen solle, und ob etwa der Fall eingetreten sei, nach dem Spieß zu greifen und mit dem Spießen den Anfang zu machen. Kurt war ein gewaltiger Bengel und hübscher als häßlich, wenn er gesäubert gewesen und angezogen wie bräuchlich. Aber struppicht sah er aus dem alten Zeug heraus, wußte nicht, was mit seinen Gliedern machen, er glich eher einem jungen Waldtier als einem ehrbaren Menschen. Der alte Herr ließ Kurt nicht zur Lanze kommen, sondern ihm vom Pferde helfen und führte ihn freundlich zur Halle. Eine Halle von damals war bekanntlich kein Salon von heute, indessen sah die von Önz doch anders aus als die von Koppigen. Alles, was Kurt darin sah, kam ihm überschwenglich üppig und reich vor. Wein wie hier hatte er noch keinen getrunken, von wegen der Herr von Önz pflanzte ihn nicht selbst an der ersten besten Halde, sondern ließ ihn sich kommen vom Rheine her, vom Leman her, kurz allenthalben her, wo er was Gutes wußte, und die Wege fahrbar waren. In den Speisen war mehr Gewürz, als Frau Grimhilde in einem Jahr verbrauchte; die drei Töchter dagegen waren Mädchen, akkurat wie man sie noch frisch im Gebirge und im Lande findet, dieweil wohl alle Moden wechseln, Mieder bald kurz,. bald lang, die größten Narrheiten bald hinten, bald vorn gesehen werden, die menschliche Natur dagegen die gleiche bleibt trotz allen Konstitutionen und Schulmeistern. Kurt gefiel ihnen, und doch saß ihnen der Spott in allen Zügen, sie schossen sich Blicke, sie kicherten, sie lachten ihn aus fast offenbar, kurz, sie trieben es, wie noch heutzutage junge Mädchen es treiben, welche durch keine ernste Zucht in Schranken gehalten werden. Zu einer solchen nun war er gute Herr nicht geschickt, die Mutter ihnen frühe gestorben, sie hatte mit ihrem Mann treuherzig gezecht, bis sie die Zeche mit dem Leben bezahlen mußte.
Kurt mußte Bericht geben, so gut er konnte, denn das Kichern von Mädchen ist einem jungen Redner nicht förderlich, von der Ursache seiner Erscheinung und seinem Vorhaben. Der alte Herr schüttelte bei seiner besseren Erfahrung den Kopf und sagte: »Du guter Junge meinst, das Glück sei gleich einer Wildsau, du brauchest nichts als mit dem Speer zu werfen, so stecke es daran.« Er bot ihm an, einige Zeit bei ihm zu bleiben, unterdessen wolle er ihm einen tüchtigen Waffenmeister suchen, der ihn zurüste zu einem tüchtigen Kämpfer.
Der junge Herr nahm begreiflich solche Reden schief, das Kichern der Mädchen noch schiefer; der schöne Wein, den er trank, als wäre er Schattenseite an der Glarner Seite gewachsen, da, wo Schiefern und Schabzieger geboren werden, machte ihn am allerschiefsten, denn er machte eine Postur wie ein Schiff, welches nur auf eine Seite geladen hat, und dazu brauste ihm ein Mut durch die Adern, daß er mit seiner Lanze auf den Riesen Goliath losgefahren wäre. Er war also nicht zu halten, sondern pressierte fort und dachte bei sich, wenn er mal zurückkehre als vornehmer Ritter, so wolle er es den Mädchen eintreiben, daß sie seiner gedenken :sollten. Er hatte also bereits zwei Mädchenrudel auf dem Kerbholz zur einstigen Abrechnung.
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