So ging es sicher schon manchem jungen, ungeleckten Junker, und sicher mancher kriegte mehr als ein Dutzend auf das Kerbholz, ehe er standesgemäß geleckt war. Der Junker von Önz hintersinnete sich deswegen nicht, er war nicht von denen einer, welche meinen, sie müßten alles erzwingen, sondern von denen einer, welche sich gleichmütig drein schicken, wenn andere was erzwingen. Er dachte bloß, er hätte Ursache, Gott zu danken, daß er nicht des Junkers Nase sei, die werde was zu leiden haben in der Welt draußen, und wenn er sie mal halb heimbringe, so habe er von großem Glück zu sagen.

Das setzte aber noch was ab, ehe Kurt der Schiefe auf seinem Hengste saß und denselben zum Tore hinaushatte. Dem Hengst hatte es hier gefallen; wahrscheinlich meinte er, für seine alten Beine sei die Tagereise hinlänglich groß gewesen, er drehte sich immer wieder dem Stalle zu statt dem Tore, und lautes Lachen vom Turme her begleitete jedesmal des Hengstes sinniges Streben. Kurt ward immer zorniger, der Hengst immer eigensinniger; der Ausgang des Kampfes wäre bei Kurts Ungeübtheit nicht zweifelhaft gewesen, aber der alte Herr fühlte Erbarmen, Knechte bugsierten Roß und Reiter zum Tore hinaus und machten es zu. Da begriff endlich der Hengst, woran er war, und zottelte mißmutig weiter, St. Urban zu, welches der Herr von Önz ihm zur Nachtherberge angeraten hatte. St. Urban war ein junges Kloster, aber bereits ein reiches; reich war es begabt worden, lag in der korn-, wild- und fischreichsten Gegend der Schweiz, noch jetzt wachsen um dasselbe herum die schönsten Edelkrebse von der Welt.

Das Kloster war zwei gute Stunden von Önz, der Weg führte durch Wald und Sumpf, hie und da glitzerte ein kleiner See durch das junge Laub. Der Herr von Önz war der Mönche guter Freund, jagte und tafelte oft mit ihnen und nicht zu ihrem Schaden, er hatte eine offene Hand, war kein Schmarotzer und gehörte nicht zu den Strauchdieben, welche das Brandschatzen von Witwen, Waisen, Klöstern für eine Ehre halten und davon leben. Fast hätte Kurt diesen Nachmittag ein Abenteuer erlebt. Eine wilde Jagd stob an ihm vorüber mit Holla und Hussassa; wahrscheinlich war es der Herr von Aarwangen mit seinen Gesellen. Die letzten im Zuge, Stallbuben vermutlich, spotteten im Vorbeifliegen des unbehülflichen, schwerfälligen Reiters, waren aber längst entschwunden, als Kurt die Lanze eingelegt, den Hengst in mühseligen Trab gesetzt hatte; überflüssige Bewegung schien derselbe nicht zu lieben, um so mehr wunderte sich Kurt, als er bald darauf den Kopf aufwarf, die Nase hoch in die Lüfte hielt, in fröhliches Gewieher ausbrach und einen stattlichen Galopp anschlug. Der alte Bursche hatte das Kloster gewittert und gebärdete sich fast wie ein Hund, welcher, in ferner Haft gehalten, sich losgerissen hat und die Nähe seines Herrn wittert. Die Mönche empfingen Kurt gastlich, warteten gut ihm auf mit Speise, Trank und Rat; sie rieten ihm, gen Zürich sich zu wenden, die Stadt liege mit ihren Nachbarn in beständiger Fehde, auf beiden Seiten sei Hülfe willkommen, Sold und Beute reich. Die guten Aussichten machten Kurt früh munter, hellgemut und wohlgenährt wollte er zu Pferde weiter. Der Hengst aber war anderer Meinung, wollte nicht vom Flecke, tat wie wütend mit Bocken, Beißen, Schlagen; er zeigte viel Gesinnung, weder mit Liebe noch mit Gewalt brachte man ihm eine andere Meinung bei, er hatte seinen Beruf erkannt, er begriff, wo er hingehöre, da wollte er bleiben lebendig oder tot. Voll Zorn und ohne Rat stand Kurt da; die Knechte lachten, sie rieten auf den wahren Grund und hatten ihre Freude dran. Die Mönche waren gute und verständige Menschen, sie begriffen, daß Kurt nicht den gleichen Beruf zum Kloster hatte wie der Hengst, und es denn doch ein grober Zwang gewesen wäre, wenn man ihm denselben aufgedrungen hätte; sie schenkten ihm einen tüchtigen Klepper, damit er in die Welt hinaus seinem Berufe nachreiten könne. Der Klepper paßte auch besser zu Kurt als der steife Hengst; er war Stall und Kloster satt, trug rasch und gern den Junker ins Freie, und der Junker fand sich alle Tage besser im Sattel zurecht, fand aber keine Abenteuer und leer den Weg. Hie und da stießen ihm Gestalten auf, welche ihm verdächtige Blicke zuwarfen oder scheu huschten über den Weg; er begriff gleich, was sie trieben, ihn gelüstete oft, vom Klepper zu springen und mit ihnen zu laufen. Das war doch ganz ein ander Leben, im grünen Walde, auf keinen Weg beschränkt, durch kein Gesetz gebunden, ein freies Leben zu führen als so umherzutraben, hie und da vor einer Burg zu harren, lange umsonst, bis endlich ein graues Gesicht den Bescheid brachte, der Ritter sei nicht zu Hause, und in seiner Abwesenheit öffne sich die Burg nicht, so am Hungertuche nagen oder vorliebnehmen zu müssen, was Landleute aus gutem Willen gaben, ungefähr wie heutzutage die gemeinsten Bettler.

So ritt er mehrere Tage am gleichen Stück, welches man jetzt in einem Tage durchreiten kann. Damals waren noch keine obrigkeitlichen Wegknechte und keine obrigkeitlichen Ingenieure, von denen die letztern immer für neue Straßen sorgen, die erstern zuweilen für die alten; und wenn man auch politische Parteien hatte, so war es doch noch keiner in Sinn gekommen, die Vaterlandsliebe in der Straßenliebe zu verkörpern und im Glanze derselben in aller Stille sich zu mästen.

So war Kurt gezogen, bis an einem heißen Mittage er in einer Herberge hörte, selben Abend noch werde er zu Zürich am Tore sein, ohne daß er scharf zu reiten brauche. Das machte ihm denn doch bange; seit er in der Welt war, fühlte er, daß das Präsentieren eben nicht seine starke Seite sei; er sann vor der Herberge, wo er über Mittag eingeritten, ernstlich über die Rede nach, welche er zu Zürich am Tore halten wolle, denn er hatte gehört, sein Glück dort hänge hauptsächlich von seiner Rede ab. Reden sei dort die gangbarste Münze.

Ungewohnte Arbeit macht durstig; der Krug mit Züricher Rebensaft wurde Kurt mehr als einmal gefüllt, über dem letzten schlief er ein, wahrscheinlich in der Hoffnung, da er die rechte Rede nicht ersinnen konnte, eine zu träumen, eine Kunst, welche wirklich imstande wäre, manchem Rednertalent beträchtlich auf die Beine zu helfen. Er träumte wirklich, aber leider keine Rede, er hatte aber auch keine nötig; er träumte von einem großen, schwarzen Eber, er sah ihn durch die Büsche brechen, er streckte ihm den Speer entgegen, der Speer glitt ab, Kurt glitt aus, mit seinen Hauern hieb der Eber Kurt in die Seite; er fuhr auf, und vor ihm hielt auf hohem Rosse ein stolzer Ritter, der ihn mit der Lanze etwas unsanft geweckt hatte. Kurt verstand sonst nicht Spaß und hätte ein solch Wecken sich gern verbeten, aber er war zu verblüfft dazu und gab knurrigen Bescheid auf die gestellten Fragen. Als der Ritter vernommen, wer der große Bursche sei, und was er da wolle, was Kurt auch ohne Rückhalt sagte, lud der Ritter ihn ein, mit ihm zu reiten, wo er ein besseres Leben und reichere Beute fände, denn er sei der Freiherr von Regensperg. Gerade der war Zürichs mächtigster und kühnster Feind.

Solchen Reichtum und prächtigen Haushalt hatte Kurt nie gesehen, wie er ihn in Regensperg fand. Da war des Herrn von Önz Wohnsitz Bettlerwerk dagegen, ein solch bewegtes Leben hatte er sich kaum geträumt: Jagden, Fehden, Besuche wechselten jeden Tag, und wenn irgendwie eine ruhige Beschäftigung vorgenommen wurde, so war es eine in der Halle hinter dem Humpen, wobei es oft laut genug herging.