– Sie gab sogleich ihrem Auge und Tone eine freudige Maske: denn sie stellte ihre Tränen nicht, wie Katholiken Christus seine, in Reliquien-Phiolen auf Altären zur Anbetung aus. Er konnte die Einladung zu seiner Pontaks-Krankenkommunion recht schicklich mit einem langen Dank für die Vermittlung anfangen, die ihm die Hülfsquellen dazu geöffnet hatte. Sie stand langsam auf und ging mit zum Weinlager; aber er war nicht so gescheut, daß er sie anfangs geführet hätte, oder vielmehr so herzhaft; er hätte leichter einem Mädchen seine Hand (nämlich mit Eheringen) als seinen Arm angeboten. Ein einziges Mal in seinem Leben hatte er eine mailändische Gräfin aus dem Schauspielhause heimgeführet – welches freilich nicht zu glauben wäre, wenn es nicht die Bewandtnis hätte, daß er mußte, weil sie, als eine Fremde, nach der Verirrung von allen ihren Leuten, in einer kotigen Nacht ihn als einen schwarzen Abbate beim Arme ergriffen und sie in ihren Gasthof zu bringen befehligt hätte. Er aber wußte zu leben und geleitete sie bloß bis an das Portal seiner Quintei und wies ihr mit dem Finger den Gasthof, der aus einer andern Gasse mit dreißig lichten Fenstern vorschauete.
Dafür kann er nichts. Aber heute war er kaum mit der Müden bis ans Ufer des Teichs, worein die abergläubische Furcht vor dem hexenden Mißbrauch das reine Blut ihres linken Arms gegossen hatte, gekommen: als er in der Angst, sie falle mit ihrem übrigen Blute die Küste hinunter, sich des siechen Armes ganz kühn bemächtigte. So setzen viel Pontak und ein wenig Mut einen Konrektor allzeit instand, ein Fräulein zu fassen. Ich beteuere, noch vor dem Lagerbaum des Weins, vor dem Fenster, verharrte er in der führenden Stellung. Welche sanfte Gruppe im Halbschatten der Erde, da das dunkle Gewässer der Nacht immer tiefer fiel, weil das Silberlicht des Mondes schon am kupfernen Turmknopf widerprallte! Ich nenne die Gruppe sanft, weil sie aus einem doppelt verbluteten Mädchen, aus einer Mutter, die ihr den Dank für das Glück ihres Kindes noch einmal mit Tränen bringt, und aus einem frommen, bescheidnen Menschen besteht, der beiden einschenkt und zutrinkt, und der in seinem Geäder einen brennenden Lavastrom verspürt, der durch sein Herz kochend zieht und der es endlich Stück vor Stück zu zerschmelzen und mitzutreiben droht. – Ein Talglicht stand außen zwischen den drei Bouteillen und den drei Gläsern, wie die Vernunft zwischen den Leidenschaften – deswegen schauete der Konrektor in einem fort an die Fensterscheiben: denn auf ihnen färbte sich (die Finsternis der Stube diente zur Spiegelfolie) unter andern Gesichtern, die Fixlein gern hatte, auch das liebste ab, das er nur im Widerschein anzublicken wagte, das von Thiennette. –
Jede Minute wurde ein Föderationsfest, und jede Sekunde wurde der Vorsabbat dazu. Der Mond schimmerte schon aus dem Abendtau und der Pontak aus den Augen, und die Bohnenstangen warfen kürzeres Schattengegitter. – Die Quecksilberkügelchen der Sterne hingen, immer mehr zusammenfließend, im Flor der Nacht. – Der heiße Dunst des Weines setzte beide wieder wie Dampfmaschinen in Gang.
Nichts macht das Herz voller und kühner als Auf-und Abgehen in der Nacht. Fixlein führte jetzt das Fräulein ohne Bedenken. Des zerritzten Armes wegen konnte Thiennette nur die Hand umklammernd in seinen legen, und er, um ihr das Fest halten durch seines halb abzunehmen, drückte ihre Finger, so gut er konnte, mit seinem Arme an seine Brust. Man müßte keine Lebensart haben, um seine zu meistern. Inzwischen sind Geringfügigkeiten die Proviantbäckerei der Liebe; – die Finger sind die elektrischen Auslader eines an allen Fibern glimmenden Feuers; – Seufzer sind Leittöne konvergierender Herzen, und das Allerschlimmste und Stärkste dabei ist ein Unglück: denn die Flamme der Liebe schwimmt, wie die von Naphtha, gern auf Tränenwasser. – Zwei Tränentropfen, einer im fremden, einer im eignen Auge, setzten aus zwei konvexen Linsengläsern ein Mikroskop zusammen, das alles vergrößerte und alle Leiden zu Reizen machte. Gutes Geschlecht! Auch ich halte jede Unglückliche für schön, und vielleicht bist du schon darum den Namen des schönen wert, weil du das leidende bist!
Und wenn der Professor Hunczovsky in Wien die Wunden aller Glieder in Wachs nachbildete, um seinen Schülern ihre Heilung zu lehren: so stell' ich, du gutes Geschlecht, die Risse und Narben deiner Seele in kleinen Bildern dar, wiewohl nur um rohe Hände abzuwehren, damit sie dir keine neuen machen. – –
Thiennette empfand nicht den Verlust der Erbschaft, sondern der Erblasserin so tief; – und das eines Zuges wegen, den sie schon seiner Mutter so erzählet hatte wie jetzt ihm. Wenn sie nämlich in den zwei letzten Krankennächten der Rittmeisterin, in denen ihr das fieberhafte Wachen nichts zeigte als die Nachtleiche und die Trauerkutschen ihrer Gönnerin, am Fuße des Bettes den starren Augen gegenüber saß: so glitten ihr oft, aber ohne es zu merken, schnelle Tropfen über die Wangen, weil sie in Gedanken sich das schwere unbehülfliche Ankleiden der Wohltäterin für den Sarg vormalte. Einmal nach Mitternacht wies die Kranke mit dem Zeigefinger auf ihre eignen Lippen. – Thiennette verstand sie nicht – stand auf und bog sich über ihr Angesicht. – Die Schwache wollt' es entgegenheben und vermocht' es nicht – und ründete bloß die Lippen. – Endlich durchfuhr Thiennetten die Mutmaßung, daß sie die Gelähmte, deren erstorbene Arme kein geliebtes Herz mehr an ihres ziehen konnten, selber umarmen sollte. – O da drückte sie plötzlich heiß und tränend ihren heißen Mund an den kältern – und sie schwieg auch wie die Sprachlose und umarmte allein, ohne umarmt zu werden. Gegen vier Uhr zuckte der Finger wieder; – sie sank wieder auf den starren Mund – aber es war kein Zeichen gewesen: denn der Mund ihrer Freundin war unter dem langen Kusse starr und kalt geworden....
Wie tief ging jetzt nicht vor dem unendlichen Ewigkeits-Antlitz der Nacht die Schneide des Gedankens in Fixleins warme Seele: »O du Arme neben mir! Keinen Glückszufall, kein Abendrot hast du, wie jetzt am Himmel nachglimmt, etwan zu einer Aussicht auf einen Sonnentag; – ohne Eltern bist du, ohne Brüder, ohne Freunde, nur so allein auf einem ausblühenden ausgeleerten Platze der Erde, und du zurückgelassene Herbstblume schwankest einsam und erfroren über den Grummetstoppeln der Vergangenheit.« – Das war der Sinn seiner Gedanken, deren innere Worte waren: »Das arme Fräulein! nicht einmal einen Lehnsvetter hat sie, es nimmt sie keiner von Adel, und sie altert so vergessen, und sie ist doch so herzensgut – mich hat sie glücklich gemacht – ach hätt' ich die Vokation zur hukelumischen Pfarrei in der Tasche, ich machte einen Versuch.«.... Ihr beiderseitiges Leben, das ein enges schneidendes Bindwerk des Schicksals so nahe ineinanderknüpfte, trat jetzt mit Flor behangen vor ihn, und er lenkte geradezu – denn ein blöder Mann ist in anderthalben Stunden in den kühnsten umgesetzt und verbleibt es nachher – seine Freundin zur letzten Flasche zurück, um damit alle aufschießende Disteln und Passionsblumen der Traurigkeit zu ersäufen. Ich merke im Vorbeigehen an, daß das dumm ist: die zerritzte Rebe ist voll Wasseradern wie voll Trauben, und ein sanft beklommenes Herz weichen die Getränke der Freude nur zu Tränen auf.
Wer mir nicht beipflichtet, den bitt' ich jetzt nur den Konrektor anzusehen, der meinen Erfahrungssatz wie ein Syllogismus beweiset.
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