Dem Polizeichef und seinem Helfershelfer war das Opfer völlig gleichgültig. Sie wollten den Fall so schnell wie möglich abschließen, bevor die Presse sich daran festbiss. Wenn man den Polizeichef dann nach der Mordrate fragte, konnte er guten Gewissens erwidern, die Aufklärungsquote sei gestiegen. Auf diese Weise hatte er die Möglichkeit, die Debatte an sich zu reißen und die Statistik sowie die dazugehörigen Opfer unter den Teppich zu kehren.

»Sonst noch etwas, Lieutenant?«, erkundigte sie sich.

»Jawohl, Gamble. Sie sind Detective bei der Polizei von Los Angeles. Verhalten Sie sich entsprechend und fallen Sie nicht aus der Rolle.«

Ein Klicken. Er hatte aufgelegt.

Eine Weile verging. Lena klappte ihr Telefon zu und blickte die Auffahrt entlang und hinüber zu ihrem Haus. Ein leichter Westwind wehte, und sie hörte trotz des Motorengeräuschs das Rascheln der Palmen. Sie überlegte, warum sie Polizistin hatte werden wollen. All die Gründe, warum sie sich für diesen Beruf entschieden hatte. Und sie wusste, dass sie es schaffen würde. Ganz gleich, wie sie sich jetzt auch fühlen mochte, sie würde sich behaupten.

Lena schaltete das Radio ab, rollte die Auffahrt entlang und machte sich über die Serpentinenstraße auf den Weg nach Hollywood. Sie öffnete die Fenster und ließ den kalten Wind durchs Auto peitschen, bis sie sich endlich beruhigt hatte und die Gedanken an Klinger im Rückspiegel verschwunden waren. Sie freute sich schon darauf, endlich wieder einen richtigen Fall zu bearbeiten. Doch sie hatte auch Angst davor.

Als sie die Gower Street erreichte, wurde die Straße gerade. Sie passierte das Monastery of the Angels, betrachtete kurz die Statue der Jungfrau Maria auf dem Hügel, biss dann die Zähne zusammen und trat den ganzen Weg bis zum Franklin Boulevard das Gaspedal durch. Kurz darauf war sie auf dem Hollywood Boulevard und bog in die Ivar Avenue ein.

Sie sah den Transporter des Leichenbeschauers hinter einer Reihe schwarzweißer Streifenwagen mitten auf der Straße stehen. Jemand hatte gelbes Absperrband an der Ecke Hollywood Boulevard bis zur Ivar Avenue und zur Yucca Street quer über den Gehweg gespannt. Der Wagen der Kriminaltechnik war schon da, parkte rückwärts in der Seitengasse und versperrte den Zugang. Als Lena einen Blick über die Straße warf und den Kleinbus eines Nachrichtensenders mit dazugehöriger Videokamera bemerkte, verstand sie den Grund. Der Wagen sollte offenbar als Sichtschutz dienen.

Sie drehte sich zur Straße um. Offenbar war der Parkplatz gegenüber vom Knickerbocker Hotel von der Polizei mit Beschlag belegt worden. Nachdem sie sich bei einem mit einem Klemmbrett bewaffneten Polizisten eingetragen hatte, stellte sie ihren Wagen ab.

Das merkwürdige Gefühl in ihrer Brust meldete sich zurück, zusammen mit einem Anflug von Selbstzweifeln, die flackerten wie eine Glühbirne, die kurz davor war, den Geist aufzugeben. Als sie mit ihrem Aktenkoffer den Gehweg entlangmarschierte, sah sie kurz zu dem Hotel hinüber. Marilyn Monroe und Joe DiMaggio hatten ihre Flitterwochen im Knickerbocker verbracht. Elvis hatte während seiner Dreharbeiten zu Love Me Tender dort gewohnt. Allerdings war das schon lange her. Inzwischen war das Knickerbocker ein Seniorenheim für russische Einwanderer in einem Viertel, wo ansonsten Obdachlose und Junkies das Straßenbild prägten.

Jemand rief ihren Namen. Lena hob den Kopf und stellte fest, dass ein weiterer Kleinbus eines Nachrichtensenders eingetroffen war.