»Wir konnten nur aus ihm herausholen, dass er vor etwa einer Stunde zu diesem Müllcontainer gegangen ist. Er hat die Tüten herausgefischt und gedacht, seine nächsten Mahlzeiten seien gesichert.«

»Fröhliche Weihnachten«, fügte Banks hinzu. »Genug Proviant für eine Woche.«

»Wie heißt er?«, fragte Lena.

Sweeney spähte in den Streifenwagen. »Danny Bartlett, sechzehn Jahre alt, aus Little Rock, Arkansas. Letzten August ist er von zu Hause ausgerissen und hier gelandet. Als er die erste Tüte aufgemacht hat, war er noch voll drauf. Nichts Essbares und auch kein Nirwana.«

»Nur seine eigenen Dämonen«, ergänzte Banks. »Der kleine Stinker ist ausgerastet.«

Sweeney nickte. »Der Typ, der drüben im Tiny’s die Küche betreibt, hat den Kurzen rumschreien gehört und die Polizei gerufen. Mehr wissen wir auch noch nicht.«

Lena wandte sich wieder zum Müllcontainer um. Während Sweeney eine Wasserflasche aus der Tasche nahm und mit zitternder Hand einen Schluck trank, erschien endlich Ed Gainer vom Büro des Leichenbeschauers. Lena holte ein frisches Paar Gummihandschuhe aus ihrem Aktenkoffer.

»Dann wollen wir mal sehen«, sagte sie.

Alle traten gleichzeitig einen Schritt vor. Langsam, aber entschlossen. Als sie vor dem grünen Müllsack standen, zog Lena die Plastikfolie auseinander und versuchte, beim Anblick des langen blonden Haars nicht zusammenzuzucken.

Es dauerte einen Moment, bis ihr das Ausmaß des Grauens klar wurde. Und noch einen weiteren, bis sie wieder durchatmen konnte.

Es war ein Bild wie aus einem Alptraum. Die junge Frau war schätzungsweise Anfang zwanzig. Der Täter hatte ihre Leiche fein säuberlich zerstückelt. Obwohl auch ihr Gesicht nicht verschont geblieben war, standen ihre Augen weit offen. Sie waren goldbraun.

Sweeney und Banks wichen zurück. Lena hörte, wie ihr früherer Partner noch einen Schluck Mineralwasser hinunterstürzte, als wäre es starker Schnaps. Jemand zündete eine Zigarette an. Als Gainer ein Stoßgebet an seinen Schöpfer murmelte, drehte sich Lena wieder zu der Leiche um und ließ den Anblick auf sich wirken. Sie wusste, dass sie es wieder einmal mit einem Beweis dafür zu tun hatten, dass die Evolution auf dem Rückzug war. Von Menschlichkeit oder gar Zivilisation fehlte in diesem Fall jede Spur. Und noch dazu hatte sie keinen Partner. Sie war im Alleinflug unterwegs und ganz und gar auf sich allein gestellt.

4

Ihr erster Eindruck war der richtige gewesen.

Das hier war nicht der Tatort. Der Täter hatte die Leiche in der Gasse zwischen der Ivar und der Cahuenga Avenue unweit des Hollywood Boulevard lediglich entsorgt. Sie war günstig gelegen, denn zwei Auffahrten zum Hollywood Freeway befanden sich nur drei Häuserblocks entfernt. Also würden sie hier nichts finden, und wenn sie alles Zentimeter um Zentimeter absuchten. Weit und breit waren weder ein Portemonnaie noch eine Handtasche oder etwas, das die Mordwaffe hätte sein können, zu sehen.

Lena beobachtete, wie die Mitarbeiter der Spurensicherung seine Gerätschaften zusammenpackten, und überlegte.

Es gab keine Verbindung, denn kein vor Ort entdeckter Gegenstand würde ihnen Hinweise auf den Täter liefern.