Du hast mir nichts zu sagen, richtig?«
»Kannst du Gedanken lesen?«
»Es ist doch dein Fall, oder, Lena?«
Etwas an dieser Frage kam ihr merkwürdig, ja, sogar unpassend, vor, weshalb sie sich zurücklehnte, um sie sich durch den Kopf gehen zu lassen.
»Es ist doch dein Fall, richtig?«, wiederholte er.
»Was ist los, Denny?«
»Ich bin nicht ganz sicher. Man hat mich vorab über den Mord informiert. Mein Kontaktmann wollte sichergehen, dass ich im Bilde bin.«
»Wer ist dein Kontaktmann?«
Ramira zögerte. »Eben so ein Typ, den ich kenne. Allerdings haben alle hier den gleichen Anruf gekriegt. Und jetzt würde mich der Grund interessieren.«
Falls es sich um eine Multiple-Choice-Prüfung gehandelt hätte, wären ihr sämtliche möglichen Antworten falsch erschienen. Aber das war im Moment nicht ihre Hauptsorge.
»Ich muss los, Denny.«
»Schon gut. Ich fahre jetzt ins Parker Center. Vielleicht bekomme ich ja das Ende der Sitzung noch mit, damit ich mir den Abend nicht umsonst um die Ohren geschlagen habe.«
Lena zuckte zusammen. »Vielleicht könntest du mal ein Wörtchen mit deinem Bekannten reden.«
Sie klappte das Telefon zu, ehe er antworten konnte, und hoffte, dass sie ihm im Parker Center nicht in die Arme laufen würde. Dann parkte sie aus, bog links ab, um den Reportern aus dem Weg zu gehen, fuhr einmal um den Block und nahm dann die Gower Street zum Sunset Boulevard. Das Abendessen hatte sie ausfallen lassen, da sie die leblosen Augen des Opfers, die ihr aus dem Müllsack entgegen starrten, noch zu deutlich vor sich hatte. Aber jetzt knurrte ihr Magen. Als sie den Parkplatz am Gower Gulch erreichte, stellte sie fest, dass bei Starbucks keine Schlange stand, und hastete in den Laden. Fünf Minuten später war sie wieder unterwegs und klickte sich durch ihre Anrufliste, bis sie Howard Bensons Nummer fand. Benson war ein Mitstudent an der Polizeiakademie gewesen und nun in der Vermisstenabteilung beschäftigt. Nachdem feststand, dass sie das Opfer nicht identifizieren konnten, hatte ihr erster Anruf Benson gegolten. Doch das war nun schon über drei Stunden her, und er hatte sich noch nicht gemeldet. Nach dem sechsten Läuten nahm er endlich ab.
»Entschuldige, Lena, aber deine Informationen waren ziemlich dürftig.«
»Morgen kriegst du mehr«, erwiderte sie. »Ich habe nur gehofft, du könntest etwas Auffälliges in deiner Datenbank haben.«
»Eine weiße Frau, Mitte zwanzig, blond, verschwunden in Südkalifornien. Davon habe ich jede Menge zu bieten. Nichts Auffälliges dabei.«
Lena schwieg. Sie hatte Benson nicht mobil, sondern im Büro angerufen. Er klang müde und gereizt.
»Tut mir leid, Lena. Ich kann dir nur sagen, dass wir weitere Einzelheiten brauchen.«
»Was hältst du davon, die Suche auf die letzten vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden zu begrenzen?«
»Hab ich bereits versucht. Noch immer eine ellenlange Liste. Viele junge Leute zieht es ins südliche Kalifornien. Und nicht wenige davon sind blonde Ausreißerinnen. Nur dass ihr Traum nicht in Erfüllung geht und sie stattdessen auf den Straßen einen Alptraum leben.«
Lena dachte über seine Worte nach, als sie an der Auffahrt zum Freeway beschleunigte und den 101 in Richtung Innenstadt nahm. Wenn Jane Doe gestern Nacht ermordet worden war, war es noch zu früh.
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