Als Klinger das Wort ergreifen wollte, unterbrach der Polizeichef ihn mit einer barschen Handbewegung.

»Raus mit der Sprache, Gamble. Wer ist Ihr Verdächtiger?«

»Bis dahin ist es noch ein langer Weg«, erwiderte sie. »Mir ist klar, dass Sie lieber etwas anderes hören wollten, Chef, aber so ist es nun einmal. Wir müssen ganz bei null anfangen.«

»Was ist mit Zeugen?«

»Wir haben jeden Ladenbesitzer und Mitarbeiter in der Straße vernommen. Es gibt keine Zeugen.«

Sie konnte seinen Blick nicht deuten und bemerkte nur, dass der Polizeichef völlig anders reagierte als erwartet. Es war fast, als hätte er einen Schlag in die Magengrube bekommen, der ihm den Atem raubte. Doch sein Verstand arbeitete fieberhaft, und sie merkte ihm an, dass er angestrengt nachdachte. Wäre er ein Verdächtiger in einem Vernehmungszimmer gewesen, sie hätte vermutet, dass er schuldig war und ihr etwas verschwieg.

Wieder bedachte er sie mit einem durchdringenden Blick. »Dann wissen Sie also nicht einmal, wer das Opfer ist?«

»Wir haben keine Ausweispapiere gefunden.«

»Was ist mit ihrer Kleidung?«

Wortlos schüttelte Lena den Kopf. Das Opfer war unbekleidet gewesen.

»Ich will Ihnen sagen, was mir zu schaffen macht, Detective, nämlich, dass sich die Sache zu einem komplizierten Fall mit langwierigen Ermittlungen auswachsen könnte. Wenn Sie innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden nichts in Erfahrung bringen, stehen die Chancen hoch, dass das auch so bleiben wird. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Ihre Aussichten auf einen Ermittlungserfolg sinken um gottverdammte fünfzig Prozent.«

Diese Wahrscheinlichkeitsrechnung hätte der Polizeichef sich in Lenas Augen sparen können. Als sie sich umdrehte, stellte sie fest, dass Denny Ramira den Sitzungssaal betrat und auf Senator West zuging. Aus ihrem Händeschütteln schloss sie, dass die beiden einander kannten.

Offenbar war der Reporter auch dem Polizeichef aufgefallen. »Ich möchte über diesen Fall nichts in der Zeitung lesen, Detective. Und auch nichts im Fernsehen darüber sehen. Falls Sie also irgendwelche Absichten in dieser Richtung verfolgen, sind Sie raus aus der Sache, kapiert? Dann fliegen Sie hochkant und werden nie wieder einen Fuß in ein Polizeirevier setzen. Haben Sie mich verstanden?«

Sie sah ihn abfällig an.

»Entweder schwimmen Sie mit dem Strom«, fuhr er fort, »oder Sie können sich einen neuen Job suchen. Ist Ihnen das klar, Detective? Begreifen Sie, wie ernst die Lage ist und wo ich die Grenzen setzte?«

»Schon verstanden, Chef.«

»Wir haben es hier nicht mit Schusswaff engebrauch unter Beteiligung eines Polizeibeamten zu tun, sondern mit einem Mord. Und ich verlange einen Verdächtigen und eine Festnahme.«

Während der Polizeichef eine Pause einlegte, um Luft zu holen, sprang Klinger wie auf ein Stichwort für ihn in die Bresche. Plötzlich wurde Lena klar, wer die Pressevertreter verständigt hatte. Gewiss war es Klinger gewesen, der alles in seiner Macht Stehende tat, um ihr Steine in den Weg zu legen.

»Wir wollen Berichte«, verkündete er. »Der Polizeichef möchte über alles auf dem Laufenden gehalten werden. Es interessiert niemanden, ob sich die Sache dadurch doppelt so lange hinzieht. Machen Sie einfach Ihre Arbeit, und zwar streng nach Vorschrift, Gamble. Wir sind jetzt Ihre Partner und werden uns nicht als stille Teilhaber abspeisen lassen. Wenn Sie rechts abbiegen wollen, fragen Sie vorher um Erlaubnis. Vor dem Lingsabbiegen besorgen Sie sich eine richterliche Anordnung. Wir behalten Sie im Auge, nur damit Ihnen das klar ist.