Nachdem sie die durch die Enthauptung entstandene Wunde gemustert hatte, betrachtete sie das Gesicht des Opfers. Die Züge von Jane Doe Nr. 99 waren durch schwere Misshandlungen entstellt. Bis auf die sanften braunen Augen war nicht viel ausgespart worden. Einerseits fiel es Lena nicht leicht, sie anzusehen, andererseits machte sie einen so schutzlosen Eindruck, dass es schwer war, den Blick abzuwenden.

»Haben Sie sie schon vermessen?«

»Eins siebzig«, erwiderte Medina. »Sechzig Kilo. Sie hatte eine Brustvergrößerung, und ihr Nabel ist gepierct. Der Ring liegt da drüben auf dem Tisch. Ich vermute, dass sie eine Schönheit ist, wenn wir ihre Nase und ihre Wangenknochen erst rekonstruiert haben. Ein richtiges Klasseweib. Außerdem muss der Kerl, der ihr das angetan hat, ziemlich kräftig sein.«

Lena machte Platz, während Madina ein Skalpell auswählte und die Brust der Frau öffnete. Sie erinnerte sich an ihre erste Autopsie. Sie hatte auch in diesem Raum stattgefunden. Lena hatte kaum hinschauen können und den Großteil der Zeit die Fliesen an der Decke gezählt. Bevor man im vergangenen Jahr die Beleuchtung ausgewechselt hatte, waren es siebenhundertneunundzwanzig gewesen. Inzwischen war die Anzahl auf siebenhundertfünfzehn gesunken.

Madina warf Lena einen Blick zu und legte dann die Lunge des Opfers in einen extragroßen Plastikbehälter.

»Sie ist in der Stadt aufgewachsen«, stellte er fest. »Jane Doe ist kein Mädchen vom Lande.«

»Woran merken Sie das?«

»An den schwarzen Flecken auf ihrer Lunge. Betrachten Sie nur diese Kohleablagerungen. Das kommt nicht vom Rauchen, sondern von der Luftverschmutzung. Vor dreißig Jahren hätte nur die Lunge eines Bergarbeiters so ausgesehen.«

Lena untersuchte das Gewebe. Jane Does Lunge war mit dunkelgrauen Punkten übersät, die Holzkohlestückchen ähnelten.

»Sie ist doch noch so jung.«

Der Pathologe lachte auf. »Aber sie atmet seit zwanzig Jahren, Lena. Tag für Tag. Zwanzig Jahre ohne Pause. Warum, glauben Sie, leiden so viele Kinder an Asthma? Die Antwort ist nicht weiter schwer. Denken Sie nur an die Freeways.«

Medina wandte sich wieder der Leiche zu. Lena beobachtete, wie er die Operation beendete, und half ihm dann, Jane Does Hände mit Tinte zu bestreichen und Abdrücke von ihren Handflächen und Fingerspitzen zu nehmen. Seltsamerweise hatte Lena das Gefühl, dass der frische Duft des Parfüms der Frau kurz den Gestank im Raum überdeckte. Allerdings war der Eindruck schon im nächsten Moment wieder verschwunden. Als sie fertig waren und der Hausfotograf seine letzte Runde gemacht hatte, bildete der Körper keine Einheit mehr.