Der Schreibtisch ihres Vorgesetzten stand ganz vorne im Großraumbüro. Wenn er also eine Tür schließen wollte, bedeutete das, dass er sich im Büro des Captains befand und nicht belauscht werden wollte.
In den letzten Monaten war Lena mit Fällen von Schusswechseln unter Beteiligung eines Polizeibeamten förmlich zugeschüttet worden. Derartige Ermittlungen verschlangen viel Zeit, verursachten jede Menge Verwaltungsarbeit und waren deshalb das genau Gegenteil dessen, was sie an ihrem Beruf liebte. Noch schlimmer war, dass der Befehl, sie aus der gewöhnlichen Ermittlungstätigkeit herauszunehmen, direkt aus dem Büro des Polizeipräsidenten im fünften Stock kam. Lena sah das als klares Zeichen dafür, dass man in der Chefetage einen Sündenbock brauchte und sie ausgesucht hatte, um für die Ergebnisse im Fall Romeo zu büßen. Immerhin hatte der letzte gefallene Dominostein eine Dienstmarke getragen, wieder ein Schlag ins Kontor der Polizei. Doch allmählich machte es ihr zu schaffen, dass kein Ende der Strafarbeit abzusehen war. Der neue Polizeichef Richard S. Logan, sein Kofferträger Lieutenant Ken Klinger und die Bürokraten im fünften Stock waren offenbar recht nachtragend. Noch immer hatte Lena keinen neuen Partner, und sie machte sich langsam Sorgen, dass an den Gerüchten, die in der Abteilung kursierten, etwas Wahres sein könnte: Die Lawine der Fälle von Schusswechseln unter Beteiligung eines Polizeibeamten würden nie enden, weil man versuchen wollte, sie auszuhungern und ihr das Leben so lange zur Hölle zu machen, bis sie freiwillig um eine Versetzung ersuchte oder, noch besser, ihren Hut nahm.
Als Barrera sich wieder meldete, klang seine Stimme klarer, allerdings noch immer besorgt.
»Es ist etwas passiert«, sagte er. »Eine Leiche in Hollywood.«
»Warum ausgerechnet ich?«
»Weil Sie in der Nähe sind. Die Tote wurde einen halben Häuserblock nördlich des Hollywood Boulevard gefunden. Das ist eine Seitengasse zwischen der Ivar Avenue und der Cahuenga Avenue.«
»Also hinter dem Tiny’s.«
»Genau. In der Gasse hinter der Kaschemme.«
Lena wollte schon nach einem Stift greifen, hielt aber inne. Es war unnötig, dass sie sich die Adresse notierte. Vor ihrer Beförderung in die Eliteabteilung Raub und Tötungsdelikte im letzten Februar hatte sie, erst als Streifenpolizistin, dann als Detective, in Hollywood gearbeitet und kannte das Viertel, ja, sogar die besagte Kneipe und die Seitengasse hinter der Ivar Avenue. Der Tatort befand sich mitten im Stadtzentrum, nur einen Häuserblock westlich der Vine Avenue.
»Kennen wir den Namen des Opfers?«, fragte sie.
»Wir haben überhaupt nichts in der Hand. Ich weiß nur, dass die Kollegen aus Hollywood bereits dort sind und uns den Fall übergeben werden.«
Barrera war ihr Verbündeter. Als sie hörte, wie seine sonst so feste Stimme zitterte, setzte sie sich auf einen Hocker an den Küchentresen. Für gewöhnlich wurden Tötungsdelikte von den Detectives vor Ort bearbeitet. Dass man den Fall an höhere Ebene weiterleitete, konnte nur eines von zwei Dingen bedeuten: Er war entweder medienwirksam oder ganz besonders grausig.
»Warum wir, Frank?«
»Eine schlimme Sache, Lena, wirklich schlimm. Das Mädchen wurde total zerstückelt.«
»Also kriege ich nach acht Monaten wieder einen Fall, nur weil ich in der Nähe wohne?«
Barrera räusperte sich. »Jetzt kommt die schlechte Nachricht, der eigentliche Grund meines Anrufs, Lena. Der Befehl stammt vom Polizeichef persönlich. Erst dachte ich, es wäre wieder einer dieser Fälle von Schusswaffengebrauch unter Beteiligung eines Polizeibeamten, aber Fehlanzeige.«
»Was mag dahinterstecken?«
»Irgendwie macht mich die Sache stutzig. Entweder hat er Druck von außen gekriegt, Sie einzusetzen, oder es ist eine Art ...«
Falle, dachte Lena. Der Lieutenant brauchte den Satz gar nicht zu beenden. Sie hatte schon verstanden. Der Polizeichef wollte sie loswerden und hoffte, ihr etwas unterschieben zu können, um ihren Abschied zu beschleunigen. Vielleicht würde dieser Fall ja ihr letzter sein.
»Was ist mit einem Partner?«, erkundigte sie sich.
»Sie sind auf sich allein gestellt.
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