Sie würde glauben, auf ein Nest von Schlangen zu treten.
Und da kommt ihr der Gedanke, Klarheit zu schaffen über das, was gewesen ist. Jetzt gleich im Augenblick. Denn später kommt sie vielleicht nie.
Sie faßt sich also ein Herz.
»Willst du mir nicht sagen, mein Ansaschen, was du in der Sackleinwand hast?«
Er fährt hoch, als hätte ihn eine aus dem Schlangennest in den Fuß gebissen, aber er schweigt und wendet den Kopf weg. Sie kann sehen, wie er zittert.
Da erhebt sie sich und legt die Hand auf seine Schulter, aber sie hütet sich wohl, der Sackleinwand zu nahe zu kommen.
»Mein Ansaschen,« sagt sie, »es ist ja jetzt wieder ganz gut zwischen uns, aber ehe du nicht alles gestehst, geht die Erinnerung an das Böse nicht weg.«
Er bleibt ganz still, aber sie fühlt, wie es ihn schüttelt.
»Und dann, mein Ansaschen,« sagt sie weiter, »geht es auch wegen des lieben Gottes nicht anders. Ich hab' vorhin beten wollen, aber die Worte blieben mir im Halse. Denn du standest mir nicht bei. Darum sag es schon, und dann beten wir beide zusammen.«
Da fällt er vor ihr auf seine Knie, schlingt die Arme um ihre Knie und gesteht alles.
»Mein armes Ansaschen,« sagt sie, als er zu Ende ist, und streichelt seinen Kopf. »Da müssen wir aber tüchtig beten, damit der liebe Gott uns verzeiht.«
Und sie läßt sich neben ihm auf die Knie nieder, faltet ihre Hände mit den seinen zusammen, und so beten sie lange. Nur manchmal muß er nach dem Steuer sehen, und dann wartet sie, bis er fertig ist.
Zum Schluß segnet sie ihn, und er segnet sie, und dann stehen sie wieder auf und sind guter Dinge.
Nur was in der Sackleinwand ist, hat er vergessen zu sagen.
Sie zeigt darauf hin und will es wissen.
Aber er wendet sich ab. Er schämt sich zu sehr.
Da sagt sie: »Ich werde selber öffnen.« Und er wehrt ihr nicht.
Und wie sie den Sack aufreißt, was findet sie da? Zwei Bündel grüne Binsen findet sie, mit Bindfaden aneinander gebunden. Weiter nichts.
Sie lacht und sagt: »Ist das die ganze Zauberei?«
Aber er schämt sich noch immer.
Da errät sie langsam, daß er damit nach dem Umschlagen des Kahnes hat davonschwimmen wollen, wie die Schuljungens tun, wenn sie im tiefen Wasser paddeln.
»Solch ein Lunterus bin ich geworden!« sagt er und schlägt sich mit den Fäusten vor die Brust.
Aber sie lächelt und sagt: »Pfui doch, Ansaschen, der Mensch soll sich nicht zu hart schimpfen, sonst macht er sich selber zum Hundsdreck.«
Und so hat sie ihm nicht nur verziehen, sondern richtet auch seine Seele wieder auf. – – –
Wie sie sich neben ihn setzt – denn er will sie nun ganz nahe haben –, da merkt sie, daß sie mit ihrem Leibe den Gang des Steuers behindert, darum breitet sie zu seinen Füßen das weiße Reisetuch aus, das sie im vorderen Abschlag verwahrt hat, und legt sich darauf – doch so, daß ihr Kopf auf seine Knie zu liegen kommt. Und nun ist es genauso wie damals in Ibenhorst, als die Elske noch unterwegs war.
Und so fahren sie dahin und wissen vor Glück nicht, was sie zueinander reden sollen.
Von den Uferwiesen her riecht das Schnittgras – man kann den Thymian unterscheiden und das Melissenkraut, auch den wilden Majoran und das Timotheegras – und was sonst noch starken Duft an sich hat ... Der Stromdamm zieht vorüber wie ein grünblaues Seidenband. Wo zufällig der Rasen den Abhang hinuntergeglitten ist, da leuchtet er wie ein Schneeberg. Und der Mondnebel liegt auf dem Wasser, so daß man immer ein wenig aufpassen muß.
Außer den plumpsenden Fischchen, die nach den Mücken jagen, ist nicht viel zu hören. Nur die Nachtvögel sind immer noch wach. Kommt ein Gehölz oder ein Garten, dann ist auch die Nachtigall da und singt ihr: »Jurgut – jurgut – jurgut – wazok, wazok, wazok« ... Und der Wachtelmann betet sein Liebesgebet: »Garbink Diewa«. Sogar ein Kiebitz läßt sich noch ab und zu hören, obgleich der doch längst schlafen müßte.
Und dann kommt mit einemmal Musik. Das sind die Dzimken, die ihre Triften während der Nacht am Ternpfahl festbinden müssen. Aber Gott weiß, wann die schlafen! Bei Tage rudern sie und singen, und bei Nacht singen sie auch.
Ihr Feuerchen brennt, und dann liegen sie ringsum. Einer spielt die Harmonika, und sie singen.
Da hört man auch schon das hübsche Liedchen »Meine Tochter Symonene«, das jeder kennt, in Preußen wie im Russischen drüben. Ja, ja, die Symonene! Die zu einem Knaben kam und wußte nicht wie! Das kann wohl mancher so gehen. Aber der Knabe ist schließlich ein Hetmann geworden, wenigstens hat die Symonene es so geträumt.
»Der Willus muß ein Pfarrer werden,« bittet die Indre schmeichelnd zu Ansas empor.
»Der Willus wird ein Pfarrer werden,« sagt er ganz feierlich, und die Indre freut sich. Denn was in solcher Stunde versprochen wird, das erfüllt sich gleichsam von selber.
So fahren sie an dem Floß vorbei, und bald kommt ein nächstes. Darauf spielt einer gar die Geige. Und die andern singen:
»Unterm Ahorn rinnt die Quelle,
Wo die Gottessöhne tanzen
Nächtlich in der Mondenhelle
Mit den Gottestöchtern.«
Ansas und Indre singen mit. Die Dzimken erkennen die Frauenstimme und rufen ihnen ein »Labs wakars!« zu. Zum Dank für den Gutenachtgruß will Ansas ihnen was Freundliches antun und läßt sich die Mühe nicht verdrießen, das Segel einzuziehen und an dem Floß anzulegen.
Nun kommen sie alle heran – es sind ihrer fünfe –, und der Jude, dem die Trift gehört, kommt auch.
Ansas schenkt jedem etwas von dem Rosenlikör ein, und sie erklären, so was Schönes noch nie im Leben getrunken zu haben.
Und dann singen sie alle zusammen noch einmal das Lied von den Gottestöchtern, von dem Ring, der in die Tiefe fiel, und den zwei Schwänen, die das Wasser getrübt haben sollen.
Zum Abschied reicht Ansas allen die Hand, und die Indre auch.
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