Auch ihre Kleider verteilt sie. Das neue seidene kriegt die Ane Doczys, und die Erbstücke kommen an Elske. Dann legt sie noch ihr Leichenhemde bereit und was ihr sonst im Sarge angezogen werden soll. Und dann ist sie fertig.
Draußen auf dem Hof spielen die Kinder. Sie denkt: »Ihr Armen werdet schlechte Tage haben, wenn die Busze erst da ist.«
Dann geht sie hinüber zur Ane Doczys, kurz nachdem der Ansas dagewesen ist, und sagt: »Dem Menschen kann leicht etwas zustoßen. Ich weiß, daß ich von dieser Reise nicht wiederkommen werde.«
Die Ane ist sehr erschrocken und sagt: »Warum sollst du nicht wiederkommen? Nach Tilsit ist bloß ein Katzensprung. Und es soll ja auch ein Versöhnungsfest sein.«
Die Indre lächelt bloß und sagt: »Wir werden ja sehn. Darum versprich mir, daß du auf die Kinder achtgeben wirst und dem Großvater schreibst, wenn es ihnen nicht gut geht.«
Die Ane weint und verspricht alles, und die Indre geht heim. Sie bringt die Kinder zu Bett und betet mit ihnen und stärkt sich in dem Herrn ...
In der Frühe, lang' vor der Sonne, fahren sie ab.
Er, der Ansas, hat seine Sonntagskleider an, und auch sie hat sich geschmückt, denn es soll ja ein Versöhnungsfest sein. Sie trägt die rote, grüngestreifte Marginne, den selbstgewebten Rock, in dem sie vor neun Jahren mit ihm zur Versprechung nach der Kirche gefahren ist, und ein klares Mädchenkopftuch gegen die Sonnenstrahlen.
Auch zu essen und zu trinken hat sie mitgenommen und in dem vorderen Abschlag verstaut.
Er ist auf Klotzkorken und hat die leichten Wichsstiefel in der Hand. Im letzten Augenblick bringt er noch etwas angetragen, in Sackleinwand gepackt, das wirft er neben sich vor das Steuer und sieht sie verstohlen dabei an, als ob er eine Frage erwartet.
Aber sie fragt nichts.
Wie er das Großsegel setzt, gewahrt sie, daß ihm die Hände zittern. Er will sich nichts merken lassen und sagt: »Es ist ein hübsches kleines Windchen, wir können zu Mittag in Tilsit sein.«
Sie sagt: »Mir ist es gleich.«
Und er meint: »Ob es hin auch noch so rasch geht, zurück muß man kreuzen.«
Dann wirft er das Schwert aus und setzt auch den Raginnis, das kleine Vorsegel. Er sitzt nun halb zugedeckt von all der Leinwand, so daß sie ihn kaum sehen kann.
Der Kahn fährt wie an der Leine, und rings in dem Wasser glucksen die Fischchen.
Über das weite Haff hin ist es nach Westen wie eine blaugraue Decke gebreitet, nur drüben die Nehrung steht dunkelrot im Morgenschein.
Wie sie um die Windenburger Ecke herumkommen, dort, wo die Landzunge sich spitz in das Wasser hineinstreckt, lockert er erst die Segelleine und wirft dann mit raschem Griff das Steuer um, denn von nun an geht es mit vollem Wind geradeswegs nach Osten.
So oft sie zum Vater nach Minge fuhr, vor dieser Stelle hat sie schon immer Angst gehabt, denn wenn irgend einmal ein Unglück geschehen ist, dann war es nur hier.
Und sie sucht in ihrer ungewissen Angst das liebe Minge, das in der Ferne ganz deutlich zu sehen ist, und denkt bei sich: »Ach Vater, wenn du wüßtest, was für einen schlimmen Weg die Indre fährt.«
Aber sie ist still im Herrn. Nur die gefährliche Stelle macht ihr das Herz eng.
Und dann fährt der Kahn glatt auf die Mündung zu, die mit ihren Grasbändern rechts und links schon lang' auf sie zu warten scheint.
Da liegt nun vor ihr der breite Atmathstrom, breit wie die Memel selber, von der er ein Arm ist, und das hübsche kleine Windchen macht auf dem Wasser ein Reibeisen.
»Zwei Mundvoll mehr wären gut,« sagt der Ansas halb abgewandt zu ihr herüber, »denn wenn der Gegenstrom auch schwach ist, der Kahn merkt ihn doch.«
Sie denkt bloß: »Ich möchte nach Minge.« Aber Minge liegt längst im Rücken. Denn drüben ist schon Kuwertshof, das einsam zwischen Wasserläufen gelegene Wiesengut, von dem die Leute sagen, daß, wer darauf wohnen will, sich Schwimmhäute anschaffen muß, sonst kann er nicht vor und nicht zurück.
»Auch ich kann nicht vor und nicht zurück,« denkt sie, »und muß stillhalten, wie er es bestimmt.«
Nun macht der Strom den großen Ellbogen nach Süden hin, und die Segel schlagen zur Seite, so daß sie ihn mit seinem ganzen Körper sehen kann. Sie sitzt auf der Paragge, dem Abschlag vorn an der Spitze, und er hinten am Steuer. Der Mast steht zwischen ihnen.
Ihr ist, als will er sich vor ihren Blicken verstecken. Er rückt nach rechts, er rückt nach links, aber es hilft ihm nichts.
»Du armer Mann,« denkt sie, »ich möchte nicht an deiner Stelle sein.« Und sie lächelt ihn traurig an, so leid tut er ihr.
Auf der rechten Seite kommt nun Ruß, der große Herrenort, in dem so viel getrunken wird wie nirgends auf der Welt. Vor dem Rußner Wasserpunsch fürchten sich ja selbst die Herren von der Regierung.
Zuerst mit den vielen Flößen davor der Anckersche Holzplatz und eine Sägemühle und dann noch eine und noch eine.
Die Dzimken, die Flößer, die mit den Hölzern stromab aus Rußland kommen, sitzen in ihren langen, grauen Hemden auf der Floßkante und baden sich die Füße. Hinter ihnen rauchen die Kessel zum Frühstücksbrot.
»Er wird mir wohl Gift 'reintun,« denkt sie. Aber noch hat sie das mitgebrachte Essen in ihrer Hand, und was anderes wird sie nicht zu sich nehmen.
Die Insel Brionischten kommt mit ihrer neuen Sägemühle. Auch hier liegen Holztriften fest, und die Dzimken, die Tag und Nacht Musik machen müssen, fassen schon an, die Kehlen zu stimmen.
Eins von den Liedern kennt sie:
Lytus lynòju, rasà rasòju,
O mûdu abùdu lovò gulèju.
Sie denkt: »Wenn alles so wäre wie einst, dann würden wir jetzt mitsingen.«
Die Dzimken winken ihnen auch einladend mit den Händen, aber keines von ihnen beiden grüßt wieder. Und viele andere haben ihnen während der Fahrt noch zugewinkt, aber niemals haben sie Antwort gegeben.
Hinter Ruß kommt, wie wir ja wissen, eine traurige Gegend. Links das Medszokel-Moor, wo die Ärmsten der Armen wohnen, rechts das Bredszuller Moor, das auch nicht viel wert ist. Aber dahinter erhebt sich auf Hügeln und Höhen der Ibenhorst, der weitberühmte Wald, in dem die wilden Elche hausen.
Und sie muß an jenen Frühlingstag denken, vor sieben Jahren. Sie trug damals die Elske im sechsten Monat und war in der Wirtschaft schon wenig mehr nütze. Da sagte er eines Tages zu ihr: »Wir wollen nach Ibenhorst fahren, vielleicht daß wir die Elche sehen.« Aber er nahm nicht wie heute die Waltelle – das Mittelboot –, denn damit kommt man in den kleinen Seitenflüssen nicht vorwärts, sondern den Handkahn. In dem fuhren sie nun eng aneinander gedrückt durch das Gewirr der fließenden Gräben, durch Rohr und Binsen, stunden- und stundenlang. Und sie hatte den Kopf auf seinem Schoß liegen und sagte einmal über das andere: »Ach, was brauchen wir Elche zu sehen, es ist ja auch so ganz wunderschön.« Und schließlich sahen sie doch einen. Es war ein mächtiger Bulle mit einem Geweih rein wie zwei Mühlenflügel.
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