Wie sie das Tuch am Halse geknotet hat, so daß es die Ohren bedeckt und die Augen verschattet, da weiß er sich vor Entzücken gar nicht zu lassen.
»Nein, wie schön die Frau Gemahlin ist!« ruft er einmal über das andere. »Nie hat dieser Spiegel etwas Schöneres gesehen!«
Und sie bemerkt fast erschrocken, wie der Ansas sich freut.
Im Rausgehen wendet er sich noch einmal um und fragt den jungen Mann, ob er wohl weiß, wie die Züge gehen.
»Zur Ankunft oder zur Abfahrt?« fragt der junge Mann.
Und Ansas meint, das wäre ganz gleich.
Da lächelt der junge Mann und sagt, bald nach viere komme einer an, und gegen sechse fahre einer ab. Man habe also die Auswahl.
Ansas bedankt sich und sagt, als sie draußen sind: »Wir wollen lieber die Abfahrt nehmen, denn da sieht man ihn in der Ferne verschwinden.«
Aber bis sechs ist noch viel Zeit. Was kann man da machen?
Der Indre ist alles egal. Sie denkt bloß: »Wenn es doch geschehen soll, warum hat er dann noch so viel Geld für mich ausgegeben?«
Und in ihr Herz kommt wieder einmal die Hoffnung zurück.
Ansas ist vor einer Mauer stehen geblieben, auf der ein Zettel klebt:
Jakobsruh
heute vier Uhr
Großes Militärkonzert
ausgeführt von der Kapelle
des litauischen Dragonerregiments Prinz Albrecht.
Und darunter steht alles gedruckt, was sie spielen werden.
Der Stein in Indres Brust ist nun ganz leicht geworden; kaum zu fühlen ist er. Aber sie hat Zweifel, ob bei einem solchen Vergnügen, das augenscheinlich für die Deutschen bestimmt ist, auch Litauer zugegen sein dürfen – und dazu noch in ihrer Landestracht.
Aber Ansas lacht sie aus. Wer sein Eintrittsgeld bezahlt, ist eingeladen, gleichgültig ob er »wokiszkai« spricht oder »lietuwiszkai«.
Indre zweifelt noch immer, und nur der Gedanke, daß es ja ein litauisches Dragonerregiment ist, welches die Musiker hergibt, macht ihr Schamhaftigkeit etwas geringer.
So fahren sie also in einer Droschke nach Jakobsruh, jenem Lustort, der bekanntlich so schön ist wie nichts auf der Welt. Bäume so hoch und schattengebend wie diese hat Indre noch nie gesehen, auch nicht in Heydekrug und nicht in Memel. Am Haff, wo es nur kurze Weiden gibt und dünne Erlen, könnte man sich von einer solchen Blätterkirche erst recht keinen Begriff machen.
Aber trotz ihrer Freude ist ihr vor dem fremden Orte noch bange genug, denn ringsum sitzen an rotgedeckten Tischen lauter städtische Herrenleute, und als Ansas vorangeht, einen Platz zu suchen, recken alle die Hälse und sehen hinter ihnen her. Es ist, um in die Erde zu sinken.
Ansas dagegen fürchtet sich nicht im mindesten. Er findet auch gleich einen leeren Tisch, wischt mit dem Schnupftuch den Staub von den Stühlen und befiehlt einem feinen deutschen Herrn, ihm und ihr Kaffee und Kuchen zu bringen. Genau so, wie es die anderen machen.
So ein mutiger Mann ist der Ansas. Man fühlt sich gut geborgen bei ihm, und alle die Angst war ein Unsinn.
Nicht weit von ihnen ist eine kleine Halle aufgebaut mit dünnen Eisenständern und einem runden Dachchen darauf. Die füllt sich mit hellblauen Soldaten! O Gott, so vielen und blanken Soldaten! Während es doch sonst nur drei oder vier schmutzige Vagabunden sind, die Musik machen.
Zuerst kommt ein Stück, das heißt »Der Rosenwalzer«. So steht auf einem Blatt zu lesen, das Ansas von dem Kassierer gekauft hat. Wie das gespielt wird, ist es, als flöge man gleich in den Himmel. Dicht vor den Musikern haben sich zwei Kinderchen gegenseitig um den Leib gefaßt und drehen sich im Tanze. Da möchte man gleich mittanzen.
Und hat sich doch vor einer Stunde noch in Todesnöten gewunden!
Wie das Stück zu Ende ist, klatschen alle, und auch die Indre klatscht.
Rings wird es still, und die Kaffeetassen klappern.
Ansas sitzt da und rührt sich nicht. Wie sie ihn etwas fragen will – so gut ist sie schon wieder mit ihm –, da macht er ihr ein heimliches Zeichen nach links hin: Sie soll horchen.
Am Nebentisch sprechen ein Herr und eine Dame von ihr.
»Wenn eine Litauerin hübsch ist, ist sie viel hübscher als wir deutschen Frauen,« sagt die Dame.
Und der Herr sagt: »In ihrer blassen Lieblichkeit sieht sie aus wie eine Madonna von – –«
Und nun kommt ein Name, den sie nicht versteht. Auch was das ist: »Madonna«, weiß sie nicht. Für ihr Leben gern hätte sie den Ansas gefragt, der alles weiß, aber sie schämt sich.
Da fängt sie einen Blick des Ansas auf, mit dem er gleichsam zu ihr in die Höhe schaut, und nun weiß sie, was sie schon im Laden geahnt hat: Er ist stolz auf sie, und sie braucht nie mehr Angst zu haben.
Dann hört die Pause auf, und es kommt ein neues Stück. Das heißt »Zar und Zimmermann«. Der Zar ist der russische Kaiser. Daß man von dem Musik macht, läßt sich begreifen. Warum aber ein Zimmermann zu solchen Ehren kommt, ein Mensch, der schmutzige Pluderhosen trägt und immerzu Balken abmißt, bleibt ein Rätsel.
Dann kommt ein drittes Stück, das wenig hübsch ist und bloß den Kopf müde macht. Das hat sich ein gewisser Beethoven ausgedacht.
Aber dann kommt etwas! Daß es so was Schönes auf Erden gibt, hat man selbst im Traum nicht für möglich gehalten. Es heißt: »Die Post im Walde«. Ein Trompeter ist vorher weggegangen und spielt die Melodie ganz leise und sehnsüchtig von weit, weit her, während die andern ihn ebenso leise begleiten. Man bleibt gar nicht Mensch, wenn man das hört! Und weil die Fremden, die Deutschen, ringsum nicht sehen dürfen, wie sie sich hat, springt sie rasch auf und eilt durch den Haufen, der die Kapelle umgibt, und an vielen Tischen vorbei dorthin, wo es einsam ist und wo hinter den Bäumen versteckt noch leere Bänke stehen.
Dort setzt sie sich hin, schiebt das neue Kopftuch aus den Augen, damit es nicht naß wird, und weint, und weint sich all die – ach, all die ausgestandene Angst von der Seele.
Und dann setzt sich einer neben sie und nimmt ihre Hand. Sie weiß natürlich, daß es der Ansas ist, aber sie ist vor Tränen ganz blind.
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