Deine Ideale liegen auf einem andern Gebiete als die eines Lohnarbeiters.
SCHWARZ
Ich verstehe von alledem kein Wort.
SCHÖN
Ich spreche von den menschenunwürdigen Verhältnissen, aus denen sich das Mädchen dank seiner Führung zu dem entwickelt hat, was sie ist!
SCHWARZ
Wer denn?
SCHÖN
Wer denn? – Deine Frau.
SCHWARZ
Eva??
SCHÖN
Ich nannte sie Mignon.
SCHWARZ
Ich meinte, sie hieße Nelli?
SCHÖN
So nannte sie Dr. Goll.
SCHWARZ
Ich nannte sie Eva …
SCHÖN
Wie sie eigentlich hieß, weiß ich nicht.
SCHWARZ (geistesabwesend)
Sie weiß es vielleicht.
SCHÖN
Bei einem Vater, wie sie ihn hat, ist sie ja bei allen Fehlern das helle Wunder. Ich verstehe dich nicht …
SCHWARZ
Er ist im Irrenhause gestorben …?
SCHÖN
Er war ja eben hier!
SCHWARZ
Wer war da?
SCHÖN
Ihr Vater.
SCHWARZ
Hier – bei mir?
SCHÖN
Er drückte sich, als ich kam. Da stehen ja noch die Gläser.
SCHWARZ
Sie sagt, er sei im Irrenhause gestorben.
SCHÖN (ermutigend)
Lass sie Autorität fühlen! Sie verlangt nicht mehr, als unbedingt Gehorsam leisten zu dürfen. Bei Dr. Goll war sie wie im Himmel, und mit dem war nicht zu scherzen.
SCHWARZ (kopfschüttelnd)
Sie sagte, sie habe noch nie geliebt …
SCHÖN
Aber mach’ mit dir selber den Anfang. Raff dich zusammen.
SCHWARZ
Geschworen hat sie!
SCHÖN
Du kannst kein Pflichtgefühl fordern, bevor du nicht deine eigene Aufgabe kennst.
SCHWARZ
Bei dem Grabe ihrer Mutter!!
SCHÖN
Sie hat ihre Mutter nicht gekannt. Geschweige das Grab. – Ihre Mutter hat gar kein Grab.
SCHWARZ (verzweifelt)
Ich passe nicht hinein in die Gesellschaft.
SCHÖN
Was hast du?
SCHWARZ
Einen grauenhaften Schmerz.
SCHÖN (erhebt sich, tritt zurück, nach einer Pause)
Wahr’ sie dir, weil sie dein ist. – Der Moment ist entscheidend. Sie kann morgen für dich verloren sein.
SCHWARZ (auf die Brust deutend)
Hier, hier.
SCHÖN
Du hast eine halbe … (sich besinnend.) Sie ist dir verloren, wenn du den Augenblick versäumst!
SCHWARZ
Wenn ich weinen könnte! – Oh, wenn ich schreien könnte!
SCHÖN (legt ihm die Hand auf die Schulter)
Dir ist elend …
SCHWARZ (sich erhebend, anscheinend ruhig)
Du hast recht, ganz recht.
SCHÖN (seine Hand ergreifend)
Wo willst du hin?
SCHWARZ
Mit ihr sprechen.
SCHÖN
Recht so. (Begleitet ihn zur Türe rechts.)
Fünfter Auftritt
SCHÖN. Gleich darauf LULU.
SCHÖN (zurückkommend)
Das war ein Stück Arbeit. (Nach einer Pause, nach links sehend.) Er hatte sie doch vorher ins Atelier gebracht …?
(Fürchterliches Stöhnen von rechts.)
SCHÖN (eilt an die Tür rechts, findet sie verschlossen)
Mach’ auf! Mach’ auf!
LULU (links aus der Portiere tretend)
Was ist …
SCHÖN
Mach’ auf!
LULU (kommt die Stufen herab)
Das ist grauenvoll.
SCHÖN
Hast du kein Beil in der Küche?
LULU
Er wird schon aufmachen …
SCHÖN
Ich mag sie nicht eintreten.
LULU
Wenn er sich ausgeweint hat.
SCHÖN (gegen die Tür stampfend)
Mach’ auf! (Zu Lulu.) Hol’ mir ein Beil.
LULU
Zum Arzt schicken …
SCHÖN
Du bist nicht bei Trost.
LULU
Das geschieht Ihnen recht.
(Es läutet auf dem Korridor. Schön und Lulu starren einander an.)
SCHÖN (schleicht nach hinten, bleibt in der Tür stehen)
Ich darf mich jetzt hier nicht sehen lassen.
LULU
Vielleicht der Kunsthändler.
(Es läutet.)
SCHÖN
Aber wenn wir nicht antworten …
LULU
(schleicht nach der Tür).
SCHÖN (hält sie auf)
Bleib. Man ist sonst auch nicht immer gleich bei der Hand. (Geht auf den Fußspitzen hinaus.)
LULU
(kehrt zu der verschlossenen Tür zurück und horcht).
Sechster Auftritt
ALWA SCHÖN. DIE VORIGEN. Später HENRIETTE.
SCHÖN (Alwa hereinführend)
Sei bitte ruhig.
ALWA (sehr aufgeregt)
In Paris ist Revolution ausgebrochen.
SCHÖN
Sei ruhig.
ALWA (zu Lulu)
Sie sind totenbleich.
SCHÖN (an der Tür rüttelnd)
Walter! – Walter!
(Man hört röcheln.)
LULU
Gott erbarm’ dich …
SCHÖN
Hast du kein Beil geholt?
LULU
Wenn eines da ist … (Zögernd nach rechts hinten ab.)
ALWA
Er mystifiziert uns.
SCHÖN
In Paris ist Revolution ausgebrochen?
ALWA
Auf der Redaktion rennen sie sich den Kopf gegen die Wand. Keiner weiß, was er schreiben soll.
(Es läutet auf dem Korridor.)
SCHÖN (gegen die Tür stampfend)
Walter!
ALWA
Soll ich sie einrennen?
SCHÖN
Das kann ich auch. Wer da noch kommen mag! (Sich emporrichtend.) Das freut sich des Lebens und lässt es andere verantworten!
LULU (kommt mit einem Küchenbeil zurück)
Henriette ist nach Hause gekommen.
SCHÖN
Schließ’ die Tür hinter dir.
ALWA
Geben Sie her. (Nimmt das Beil und stößt es zwischen Pfosten und Türschloss.)
SCHÖN
Du musst es kräftiger fassen.
ALWA
Es kracht schon. (Die Tür springt aus dem Schloss. Er lässt das Beil fallen und taumelt zurück.) – – (Pause.)
LULU (auf die Tür deutend, zu Schön)
Nach Ihnen.
SCHÖN
(weicht zurück).
LULU
Ihnen wird – schwindelig …?
SCHÖN
(wischt sich den Schweiß von der Stirn und tritt ein).
ALWA (auf der Chaiselongue)
Grässlich!
LULU (sich am Türpfosten haltend, die Finger zum Mund erhoben, schreit jäh auf)
Oh! – Oh! (Eilt zu Alwa.) Ich kann nicht hier bleiben.
ALWA
Grauenhaft!
LULU (ihn bei der Hand nehmend)
Kommen Sie.
ALWA
Wohin?
LULU
Ich kann nicht allein sein.
(Mit Alwa nach links ab.)
SCHÖN
(kommt von rechts zurück, ein Schlüsselbund in der Hand; die Hand zeigt Blut; zieht die Tür hinter sich zu, geht zum Schreibtisch, schließt auf und schreibt zwei Billetts).
ALWA (von links kommend)
Sie zieht sich um.
SCHÖN
Sie ist fort?
ALWA
Auf ihr Zimmer. Sie zieht sich um.
SCHÖN
(klingelt).
HENRIETTE
(tritt ein).
SCHÖN
Sie wissen, wo der Doktor Bernstein wohnt.
HENRIETTE
Gewiss, Herr Doktor. Gleich nebenan.
SCHÖN (ihr ein Billett gehend)
Bringen Sie das hinüber.
HENRIETTE
Im Falle, dass der Herr Doktor nicht zu Hause ist?
SCHÖN
Er ist zu Hause. (Ihr das andere Billett gebend.) Und das bringen Sie auf die Polizeidirektion. Nehmen Sie eine Droschke.
HENRIETTE
(ab).
SCHÖN
Ich bin gerichtet.
ALWA
Mir erstarrt das Blut.
SCHÖN (nach rechts)
Der Narr!
ALWA
Es ist ihm wohl ein Licht aufgegangen?
SCHÖN
Er hat sich zu viel mit sich selbst beschäftigt.
LULU
(auf den Stufen links in Staubmantel und Spitzenhut).
ALWA
Wo wollen Sie denn jetzt hin?
LULU
Hinaus. Ich sehe es an allen Wänden.
SCHÖN
Wo hat er seine Papiere?
LULU
Im Schreibtisch.
SCHÖN (am Schreibtisch)
Wo?
LULU
Rechts unten. (Kniet vor dem Schreibtisch nieder, öffnet eine Schublade und leert die Papiere auf den Boden.) Hier. Es ist nichts zu fürchten. Er hatte keine Geheimnisse.
SCHÖN
Jetzt kann ich mich von der Welt zurückziehen.
LULU (kniend)
Schreiben Sie ein Feuilleton. Nennen Sie ihn Michel Angelo.
SCHÖN
Was hilft das – (nach rechts deutend.) Da liegt meine Verlobung!
ALWA
Das ist der Fluch deines Spiels!
SCHÖN
Schrei es durch die Straßen!!
ALWA (auf Lulu deutend)
Hättest du, als meine Mutter starb, an dem Mädchen gehandelt, wie es recht und billig gewesen wäre.
SCHÖN (nach rechts)
Da verblutet meine Verlobung!
LULU (sich erhebend)
Ich bleibe nicht länger hier.
SCHÖN
In einer Stunde verkauft man die Extrablätter. Ich darf mich nicht auf die Straße wagen.
LULU
Was können Sie denn dafür?
SCHÖN
Deshalb gerade! Mich steinigt man dafür!
ALWA
Du musst verreisen.
SCHÖN
Um dem Skandal freies Feld zu lassen!
LULU (an der Chaiselongue)
Vor zehn Minuten noch lag er hier.
SCHÖN
Das ist der Dank, für das, was ich für ihn getan habe! Wirft mir in einer Sekunde mein ganzes Leben in Trümmer!
ALWA
Mäßige dich, bitte!
LULU (auf der Chaiselongue)
Wir sind unter uns.
ALWA
Und wie!
SCHÖN (zu Lulu)
Was willst du der Polizei sagen?
LULU
Nichts.
ALWA
Er wollte seinem Geschick nichts schuldig bleiben.
LULU
Er hatte immer gleich Mordgedanken.
SCHÖN
Er hatte, was sich ein Mensch nur erträumen kann!
LULU
Er hat es teuer bezahlt.
ALWA
Er hatte, was wir nicht haben!
SCHÖN (jäh aufbrausend)
Ich kenne deine Gründe.
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