Ich kann mich einmal für die moderne Klexerei nicht begeistern.
SCHWARZ (an den Staffeleien, seine Farben präparierend)
Dem Impressionismus dankt es die heutige Kunst jedenfalls, dass sie sich alten Meistern ohne Erröten an die Seite stellen darf.
GOLL
Für ein Stück Schlachtvieh mag sie ja ganz angebracht sein.
SCHÖN
Nur um Gottes willen keine Aufregung!
LULU
(fällt Goll um den Hals und küsst ihn).
GOLL
Man sieht dein Negligé. Du musst es herunterziehen.
LULU
Ich hätte es am liebsten weggelassen. Es geniert nur.
GOLL
Er wäre imstande und malte es hin.
LULU (nimmt den Schäferstab, der an der spanischen Wand lehnt, auf das Podium steigend, zu Schön)
Was würden Sie jetzt sagen, wenn Sie zwei Stunden Parade stehen müssten?
SCHÖN
Meine Seele verschriebe ich dem Teufel, um mit Ihnen tauschen zu dürfen.
GOLL (sich rechts setzend)
Kommen Sie hierher. Hier ist nämlich mein Beobachtungsposten.
LULU (das linke Beinkleid bis zum Knie hinaufraffend, zu Schwarz)
So?
SCHWARZ
Ja …
LULU (es um eine Idee höher raffend)
So?
SCHWARZ
Ja, ja …
GOLL (zu Schön, der auf dem Sessel neben ihm Platz genommen hat, mit einer Handbewegung)
Ich finde sie nämlich von hier aus noch vorteilhafter.
LULU (ohne sich zu rühren)
Ich bitte sehr! Ich bin von allen Seiten gleich vorteilhaft.
SCHWARZ (zu Lulu)
Das rechte Knie weiter vor, bitte.
SCHÖN (mit einer Geste)
Der Körper zeigt vielleicht feinere Linien …
SCHWARZ
Die Beleuchtung ist heute zum mindesten halbwegs erträglich.
GOLL
Sie müssen sie flott hinwerfen! Fassen Sie Ihren Pinsel etwas länger!
SCHWARZ
Gewiss, Herr Medizinalrat.
SCHÖN
Behandeln Sie sie als Stillleben!
SCHWARZ
Gewiss, Herr Doktor. (Zu Lulu.) Sie pflegten den Kopf um eine Idee höher zu halten, Frau Medizinalrat.
LULU (den Kopf hebend)
Malen Sie mir die Lippen etwas geöffnet.
SCHÖN
Malen Sie Schnee auf Eis. Wenn Sie sich dabei erwärmen, dann wird Ihre Kunst sofort unkünstlerisch.
SCHWARZ
Gewiss, Herr Doktor!
GOLL
Die Kunst, wissen Sie, muss die Natur so wiedergeben, dass man wenigstens geistig dabei genießen kann!
LULU (den Mund etwas öffnend, zu Schwarz)
So – sehen Sie. So halte ich sie halb geöffnet.
SCHWARZ
Sobald die Sonne kommt, wirft die Mauer von gegenüber warme Reflexe herein.
GOLL (zu Lulu)
Du musst dich in deiner Stellung überhaupt so verhalten, als ob unser Velasquez hier gar nicht vorhanden wäre.
LULU
Ein Maler ist doch auch eigentlich gar kein Mann.
SCHÖN
Ich glaube nicht, dass Sie von einer rühmlichen Ausnahme so ohne weiteres auf die ganze Zunft schließen dürfen.
SCHWARZ (von der Staffelei zurücktretend)
Ich hätte mir im vergangenen Herbst doch lieber ein anderes Atelier mieten müssen.
SCHÖN (zu Goll)
Was ich fragen wollte – haben Sie die kleine O’Morphi schon als peruanische Perlenfischerin gesehen?
GOLL
Morgen sehe ich sie mir zum viertenmal an. Der Fürst Polossow führte mich hin. Sein Haar ist vor Entzücken schon wieder dunkelblond geworden.
SCHÖN
Sie finden sie also auch so fabelhaft?
GOLL
Wer will das je im Voraus beurteilen!
LULU
Ich glaube, es hat geklopft.
SCHWARZ
Entschuldigen Sie mich einen Augenblick. (Geht zur Türe und öffnet.)
GOLL
Du darfst ihn getrost etwas unbefangener anlächeln.
SCHÖN
Dem macht das gar nichts.
GOLL
Und wenn! – Wozu sitzen wir beide denn hier!
Dritter Auftritt
ALWA SCHÖN. DIE VORIGEN.
ALWA (noch hinter der spanischen Wand)
Darf man eintreten?
SCHÖN
Mein Sohn.
LULU
Das ist ja Herr Alwa!
GOLL
Kommen Sie nur ungeniert herein!
ALWA (vortretend, reicht Schön und Goll die Hand)
Herr Medizinalrat … (Sich nach Lulu umwendend.) Seh ich recht? – Wenn ich Sie doch nur für meine Hauptrolle engagieren könnte!
LULU
Ich würde für Ihr Stück wohl kaum gut genug tanzen.
ALWA
Aber Sie haben doch einen Tanzlehrer, wie man ihn an keiner Bühne Europas findet!
SCHÖN
Was führt dich denn hierher?
GOLL
Sie lassen hier wohl auch insgeheim irgendjemanden porträtieren?
ALWA (zu Schön)
Ich wollte dich zur Generalprobe abholen.
SCHÖN
(erhebt sich).
GOLL
Lassen Sie denn heute schon in vollem Kostüm tanzen?
ALWA
Versteht sich. Kommen Sie mit. In fünf Minuten muss ich auf der Bühne sein. (Zu Lulu.) Ich Unglücklicher!
GOLL
Ich habe ganz vergessen – wie nennt sich doch Ihr Ballett?
ALWA
»Dalailama«.
GOLL
Ich glaubte, der wäre im Irrenhaus.
SCHÖN
Sie meinen Nietzsche, Herr Sanitätsrat.
GOLL
Sie haben recht. Ich verwechsle die beiden.
ALWA
Ich habe dem Buddhismus auf die Beine geholfen.
GOLL
An den Beinen erkennt man den Bühnendichter.
ALWA
Die Corticelli tanzt den jugendlichen Buddah, als hätte sie am Ganges das Licht der Welt erblickt.
SCHÖN
Solang die Mutter noch lebte, tanzte sie mit den Beinen …
ALWA
Als sie dann frei wurde, tanzte sie mit dem Verstande …
GOLL
Jetzt tanzt sie mit dem Herzen!
ALWA
Wenn Sie sie sehen wollen?
GOLL
Danke.
ALWA
Kommen Sie doch mit!
GOLL
Unmöglich!
SCHÖN
Wir haben übrigens keine Zeit zu verlieren.
ALWA
Kommen Sie mit, Herr Medizinalrat. Im dritten Akt sehen Sie Dalailama in seinem Kloster, mit seinen Mönchen …
GOLL
Mir wäre es lediglich um den jugendlichen Buddah zu tun.
ALWA
Was hindert Sie denn?
GOLL
Es geht nicht. Es geht nicht.
ALWA
Wir gehen nachher zu Peters. Da können Sie Ihrer Bewunderung Ausdruck geben.
GOLL
Dringen Sie nicht weiter in mich. Ich bitte Sie.
ALWA
Sie sehen die zahmen Affen, die beiden Brahmanen, die kleinen Mädchen …
GOLL
Bleiben Sie mir nur um Gottes willen mit den kleinen Mädchen vom Halse!
LULU
Reservieren Sie uns eine Proszeniumsloge auf Montag, Herr Alwa!
ALWA
Wie konnten gnädige Frau daran zweifeln.
GOLL
Wenn ich zurückkomme, hat mir der Höllenbreugel das ganze Bild verpatzt!
ALWA
Das wäre doch kein Unglück. Das lässt sich übermalen.
GOLL
Wenn man dem Caravacci nicht jeden Pinselstrich expliziert …
SCHÖN
Ich halte Ihre Befürchtungen übrigens für unbegründet.
GOLL
Das nächste Mal, meine Herren!
ALWA
Die Brahmanen werden ungeduldig! Die Töchter Nirvanas schlottern in ihren Trikots!
GOLL
Verdammte Klexerei!!
SCHÖN
Man wird uns auszanken, dass wir Sie nicht mitbringen.
GOLL
In fünf Minuten bin ich zurück. (Stellt sich links vorn hinter Schwarz und vergleicht das Bild mit Lulu.)
ALWA (zu Lulu)
Mich ruft leider die Pflicht, gnädige Frau.
GOLL (zu Schwarz)
Sie müssen hier ein wenig mehr modellieren. Das Haar ist schlecht. Sie sind nicht genug bei der Sache …
ALWA
Kommen Sie.
GOLL
Nun nur hopp! Zu Peters bringen mich keine zehn Pferde.
SCHÖN (Alwa und Goll folgend)
Wir nehmen meinen Wagen, der unten steht.
Vierter Auftritt
SCHWARZ. LULU.
SCHWARZ (beugt sich nach links, spuckt aus)
Pack! – Wäre doch das Leben zu Ende! – Der Brotkorb! – Brotkorb und Maulkorb! Jetzt bäumt sich mein Künstlerstolz. (Nach einem Blick auf Lulu.) Diese Gesellschaft! – (Erhebt sich, geht nach rechts hinten, betrachtet Lulu von allen Seiten, setzt sich wieder an die Staffelei.) Die Wahl würde einem schwer. – – Wenn ich Frau Obermedizinalrat ersuchen darf, die rechte Hand etwas höher.
LULU (nimmt den Schäferstab so hoch sie reichen kann, für sich)
Wer hätte das für möglich gehalten!
SCHWARZ
Ich bin wohl recht lächerlich?
LULU
Er kommt gleich zurück.
SCHWARZ
Ich kann nicht mehr tun als malen.
LULU
Da ist er.
SCHWARZ (sich erhebend)
Nun?
LULU
Hören Sie nicht?
SCHWARZ
Es kommt jemand …
LULU
Ich wusste es ja.
SCHWARZ
Es ist der Hausmeister. Er fegt die Treppe.
LULU
Gott sei Dank.
SCHWARZ
Sie begleiten Herrn Obermedizinalrat wohl auf seine Praxis?
LULU
Das fehlte mir noch!
SCHWARZ
Weil Sie es nicht gewohnt sind, allein zu sein.
LULU
Wir haben zu Hause eine Haushälterin.
SCHWARZ
Die Ihnen Gesellschaft leistet?
LULU
Sie hat viel Geschmack.
SCHWARZ
Wofür?
LULU
Sie zieht mich an.
SCHWARZ
Sie gehen wohl viel auf Bälle?
LULU
Nie.
SCHWARZ
Wozu brauchen Sie denn dann die Toiletten?
LULU
Zum Tanzen.
SCHWARZ
Sie tanzen wirklich?
LULU
Csardas – Samaqueca – Skirtdance …
SCHWARZ
Widert Sie denn das nicht an?
LULU
Sie finden mich häßlich?
SCHWARZ
Sie verstehen mich nicht. – Wer gibt Ihnen denn den Unterricht?
LULU
Er.
SCHWARZ
Wer?
LULU
Er.
SCHWARZ
Er?
LULU
Er spielt Violine. – – –
SCHWARZ
Man lernt jeden Tag ein neues Stück Welt kennen.
LULU
Ich habe in Paris gelernt. Ich nahm Stunden bei Eugenie Fougère. Sie hat mich auch ihre Kostüme kopieren lassen.
SCHWARZ
Wie sind denn die?
LULU
Grünes Spitzenröckchen bis zum Knie, ganz in Volants, dekolletiert natürlich, sehr dekolletiert und fürchterlich geschnürt. Hellgrüner Unterrock, dann immer heller. Schneeweiße Dessous mit handbreiten Spitzen …
SCHWARZ
Ich kann nicht mehr …
LULU
Malen Sie doch!
SCHWARZ (mit dem Spachtel schabend)
Ist Ihnen denn nicht kalt?
LULU
Gott bewahre! Nein.
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