Es ist zu spät für mich. Ich bin dem Glück nicht gewachsen. Ich habe eine höllische Angst davor. Wach auf! Ich habe sie nicht angerührt. Er öffnet den Mund. – Mund auf und Augen zu wie die Kinder. Bei mir ist es umgekehrt. Wach auf! Wach auf! (Kniet nieder und bindet ihm sein Taschentuch um den Kopf.) Hier flehe ich zum Himmel, er möge mich befähigen, glücklich zu sein. Er möge mir die Kraft geben und die seelische Freiheit, nur ein klein wenig glücklich zu sein. Um ihretwillen, einzig um ihretwillen.

Neunter Auftritt

LULU. DIE VORIGEN.

LULU (tritt aus dem Schlafkabinett, vollständig angekleidet, den Hut auf, die rechte Hand unter der linken Achsel; zu Schwarz, den linken Arm hebend)

Würden Sie mich hier zuhaken. Meine Hand zittert.

Zweiter Aufzug

Sehr eleganter Salon. Rechts hinten Entreetür. Vorne rechts und links Portieren. Zu der links führen einige Stufen hinan. An der Hinterwand über dem Kamin in prachtvollem Brokatrahmen Lulus Bild als Pierrot. Links ein hoher Spiegel. Davor eine Chaiselongue. Rechts ein Schreibtisch in Ebenholz. In der Mitte einige Sessel um ein chinesisches Tischchen.

Erster Auftritt

LULU. SCHWARZ. Dann HENRIETTE.

LULU

(in grünseidenem Morgenkleid steht regungslos vor dem Spiegel, runzelt die Stirn, fährt mit der Hand darüber, befühlt ihre Wangen, trennt sich vom Spiegel mit einem missmutigen, halb zornigen Blick, geht nach rechts, sich mehrmals umwendend, öffnet auf dem Schreibtisch eine Schatulle, zündet sich eine Zigarette an, sucht unter den Büchern, die auf dem Tisch liegen, nimmt eines zur Hand, legt sich auf die Chaiselongue, dem Spiegel gegenüber, lässt, nachdem sie einen Moment gelesen, das Buch sinken, nickt sich ernsthaft zu, nimmt die Lektüre wieder auf).

SCHWARZ (Pinsel und Palette in der Hand, tritt von rechts ein, beugt sich über Lulu, küsst sie auf die Stirn, geht nach links die Stufen hinan, wendet sich in der Portiere um)

Eva!

LULU (lächelnd)

Befehlen?

SCHWARZ

Ich finde, du siehst heute außerordentlich reizend aus.

LULU (mit einem Blick in den Spiegel)

Es kommt auf die Ansprüche an.

SCHWARZ

Dein Haar atmet eine Morgenfrische …

LULU

Ich komme aus dem Wasser.

SCHWARZ (sich ihr nähernd)

Ich habe heute furchtbar zu tun.

LULU

Das redest du dir ein.

SCHWARZ (legt Pinsel und Palette auf den Teppich und setzt sich auf den Rand der Chaiselongue)

Was liest du denn da?

LULU (liest)

Plötzlich hörte sie einen Rettungsanker die Treppe heraufwinken.

SCHWARZ

Wer in aller Welt schreibt denn so ergreifend?

LULU (liest)

Es war der Geldbriefträger.

HENRIETTE (durch die Entree, eine Hutschachtel am Arm, setzt eine Tablette mit Briefen auf den Tisch)

Die Post. – Ich gehe der Putzmacherin den Hut bringen. Haben gnädige Frau noch etwas zu befehlen?

LULU

Nichts.

SCHWARZ

(winkt ihr, sich zu entfernen).

HENRIETTE

(verschmitzt lächelnd ab).

SCHWARZ

Was hast du vergangene Nacht denn alles geträumt?

LULU

Das hast du mich heute doch schon zweimal gefragt.

SCHWARZ (erhebt sich, nimmt die Briefe von der Tablette)

Ich zittere vor Neuigkeiten. Ich fürchte jeden Tag, die Welt könnte untergehen. (Zur Chaiselongue zurückgekehrt, Lulu einen Brief gebend.) An dich.

LULU (führt das Billett zur Nase)

Die Corticelli. (Birgt es in ihrem Busen.)

SCHWARZ (einen Brief durchfliegend)

Meine Samaquecatänzerin verkauft – für 50 000 Mark!

LULU

Wer schreibt denn das?

SCHWARZ

Sedelmeier in Paris. Das ist das dritte Bild seit unserer Verheiratung. Ich weiß mich vor meinem Glück kaum zu retten.

LULU (auf die Briefe deutend)

Da kommt noch mehr.

SCHWARZ (eine Verlobungsanzeige öffnend)

Sieh da! (Gibt sie Lulu.)

LULU (liest)

Herr Regierungsrat Heinrich Ritter von Zarnikow beehrt sich, Ihnen von der Verlobung seiner Tochter Charlotte Marie Adelaide mit Herrn Dr. Ludwig Schön ergebenste Mitteilung zu machen.

SCHWARZ (einen anderen Brief öffnend)

Endlich! Es ist ja eine Ewigkeit, dass er darauf lossteuert, sich vor der Welt zu verloben. Ich begreife nicht, ein Gewaltmensch von seinem Einfluss. Was steht denn seiner Heirat eigentlich im Wege!!

LULU

Was ist das, was du da liest?

SCHWARZ

Eine Einladung, mich an der internationalen Ausstellung in Petersburg zu beteiligen. – Ich weiß gar nicht, was ich malen soll.

LULU

Irgendein entzückendes Mädchen natürlich.

SCHWARZ

Wenn du mir dazu Modell stehen willst?

LULU

Es gibt doch, weiß Gott, auch andere hübsche Mädchen genug.

SCHWARZ

Ich gelange aber einem andern Modell gegenüber, und wenn es pikant wie die Hölle ist, nicht zu dieser vollen Ausbeutung meines Könnens.

LULU

Dann muss ich ja wohl. – Ginge es denn nicht vielleicht auch liegend?

SCHWARZ

Am liebsten möchte ich das Arrangement wirklich deinem Geschmack überlassen. (Die Briefe zusammenfaltend.) Dass wir nicht vergessen, Schön jedenfalls heute noch zu gratulieren.