Ich
fragte ihn nun um Rat, was ich mit den Toten machen solle und wie ich
es angreifen müsse, um sie aus dem Schiff zu bringen. Er antwortete
mir, die Leute des Schiffes seien wahrscheinlich wegen irgendeines
Frevels auf das Meer verzaubert; er glaube, der Zauber werde sich
lösen, wenn man sie ans Land bringe; dies könne aber nicht geschehen,
als wenn man die Bretter, auf denen sie lägen, losmache. Mir gehöre
von Gott und Rechts wegen das Schiff samt allen Gütern, weil ich es
gleichsam gefunden habe; doch solle ich alles sehr geheimzuhalten
trachten und ihm ein kleines Geschenk von meinem Überfluß machen; er
wolle dafür mit seinen Sklaven mir behilflich sein, die Toten
wegzuschaffen. Ich versprach, ihn reichlich zu belohnen, und wir
machten uns mit fünf Sklaven, die mit Sägen und Beilen versehen waren,
auf den Weg. Unterwegs konnte der Zauberer Muley unseren glücklichen
Einfall, die Segel mit den Sprüchen des Korans zu umwinden, nicht
genug loben. Er sagte, es sei dies das einzige Mittel gewesen, uns
zu retten.
Es war noch ziemlich früh am Tage, als wir beim Schiff ankamen. Wir
machten uns alle sogleich ans Werk, und in einer Stunde lagen schon
vier in dem Nachen. Einige der Sklaven mußten sie an Land rudern, um
sie dort zu verscharren. Sie erzählten, als sie zurückkamen, die
Toten hätten ihnen die Mühe des Begrabens erspart, indem sie, sowie
man sie auf die Erde gelegt habe, in Staub zerfallen seien. Wir
fuhren fort, die Toten abzusägen, und bis vor Abend waren alle an
Land gebracht. Es war endlich keiner mehr an Bord als der, welcher
am Mast angenagelt war. Umsonst suchten wir den Nagel aus dem Holze
zu ziehen, keine Gewalt vermochte ihn auch nur ein Haarbreit zu
verrücken. Ich wußte nicht, was anzufangen war; man konnte doch
nicht den Mastbaum abhauen, um ihn ans Land zu führen. Doch aus
dieser Verlegenheit half Muley. Er ließ schnell einen Sklaven an
Land rudern, um einen Topf mit Erde zu bringen. Als dieser
herbeigeholt war, sprach der Zauberer geheimnisvolle Worte darüber
aus und schüttete die Erde auf das Haupt des Toten. Sogleich schlug
dieser die Augen auf, holte tief Atem, und die Wunde des Nagels in
seiner Stirne fing an zu bluten. Wir zogen den Nagel jetzt leicht
heraus, und der Verwundete fiel einem Sklaven in die Arme.
"Wer hat mich hierhergeführt?" sprach er, nachdem er sich ein wenig
erholt zu haben schien. Muley zeigte auf mich, und ich trat zu ihm.
"Dank dir, unbekannter Fremdling, du hast mich von langen Qualen
errettet. Seit fünfzig Jahren schifft mein Leib durch diese Wogen,
und mein Geist war verdammt, jede Nacht in ihn zurückzukehren. Aber
jetzt hat mein Haupt die Erde berührt, und ich kann versöhnt zu
meinen Vätern gehen."
Ich bat ihn, uns doch zu sagen, wie er zu diesem schrecklichen
Zustand gekommen sei, und er sprach: "Vor fünfzig Jahren war ich ein
mächtiger, angesehener Mann und wohnte in Algier; die Sucht nach
Gewinn trieb mich, ein Schiff auszurüsten und Seeraub zu treiben.
Ich hatte dieses Geschäft schon einige Zeit fortgeführt, da nahm ich
einmal auf Zante einen Derwisch an Bord, der umsonst reisen wollte.
Ich und meine Gesellen waren rohe Leute und achteten nicht auf die
Heiligkeit des Mannes; vielmehr trieb ich mein Gespött mit ihm. Als
er aber einst in heiligem Eifer mir meinen sündigen Lebenswandel
verwiesen hatte, übermannte mich nachts in meiner Kajüte, als ich mit
meinem Steuermann viel getrunken hatte, der Zorn. Wütend über das,
was mir ein Derwisch gesagt hatte und was ich mir von keinem Sultan
hätte sagen lassen, stürzte ich aufs Verdeck und stieß ihm meinen
Dolch in die Brust. Sterbend verwünschte er mich und meine
Mannschaft, nicht sterben und nicht leben zu können, bis wir unser
Haupt auf die Erde legten. Der Derwisch starb, und wir warfen ihn in
die See und verlachten seine Drohungen; aber noch in derselben Nacht
erfüllten sich seine Worte. Ein Teil meiner Mannschaft empörte sich
gegen mich—Mit fürchterlicher Wut wurde gestritten, bis meine
Anhänger unterlagen und ich an den Mast genagelt wurde. Aber auch
die Empörer erlagen ihren Wunden, und bald war mein Schiff nur ein
großes Grab. Auch mir brachen die Augen, mein Atem hielt an, und ich
meinte zu sterben. Aber es war nur eine Erstarrung, die mich
gefesselt hielt; in der nächsten Nacht, zur nämlichen Stunde, da wir
den Derwisch in die See geworfen, erwachten ich und alle meine
Genossen, das Leben war zurückgekehrt, aber wir konnten nichts tun
und sprechen, als was wir in jener Nacht gesprochen und getan hatten.
So segeln wir seit fünfzig Jahren, können nicht leben, nicht sterben;
denn wie konnten wir das Land erreichen? Mit toller Freude segelten
wir allemal mit vollen Segeln in den Sturm, weil wir hofften, endlich
an einer Klippe zu zerschellen und das müde Haupt auf dem Grund des
Meeres zur Ruhe zu legen. Es ist uns nicht gelungen.
1 comment